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Einzelausstellung von Bernard Lokai

Bernard Lokai - Ausstellung in Buchen 2017

Sie, die eigenen Vorstellungen und Erinnerungen schweben wie Geister durch das künstlerische Handwerk und werden viel zu oft auch noch als schöpferische Kräfte verklärt. So vertieft Kunst sich in das eigene Innere, wird zur téchne phantastiké 2 und das Bild schlussendlich in dieser, an den eigenen Vorbildern orientierten techne mimetiké 3 zu einem scheinbar authentischen Ausdruck, einer Umstülpung des Inneren des Künstlers auf die Leinwand und heraus kommt dieses scheinbar Persönlichste in der Darstellung von der Art einer doxo-mimetiké 4.
Die zeitgenössische Kunst aber lehnte einst, als sie entstand, jede Form der Selbstgewissheit, der Selbstüberzeugung sowohl, was die künstlerische „Technik“ als auch was das Wissen um Kunst betrifft ab. Sich an die Tradition zu halten, weil sie erhaben, heroisch oder einfach nur ehrwürdig ist, war nicht ihr Ziel.

Zeitgenössische Malerei begann mit dem Versuch, sich von der Kunst phantastiké 5 so radikal wie möglich zu lösen und, seit der Postmoderne nun mit grenzenloser Lust an deren Stelle eine Kunst eikastiké 6 zu ermöglichen. Dazu muss der Maler sich der Möglichkeit und nicht der Wirklichkeit der eigenen Bilder überlassen können. Denn die eigenen Bilder geben nie die Fülle möglicher Bilder von selbst, mithin widerstandslos heraus.
Als diese Binnenwirklichkeit erreichen sie nicht die Fülle des Möglichen, wovon sie ja nur eine aller möglichen Verwirklichungen im Geiste ist. Und ganz nebenbei vermerkt an dieser Stelle sei, dass ein „biografischer“ Deutungsansatz immer aus den o.g. Gründen viel zu kurz greifen muss, geht es doch in dieser Malerei darum, aus einem mimetischen Verhältnis des Künstlers zu seinen Vorbildern, seiner Phantasie, ein physisches, materielles Verhältnis zum Malen selbst werden zu lassen.

Die Herausgabe des Möglichen versucht sich zunächst einmal assoziativ. Bilder, Farben, Formen, die selbst gar nichts zu tun haben mit den Bildern und dem Erlebnis des Traumas, tauchen auf und werden beim Malen hinzugefügt. Ein lichtes Blau aus einem ganz anderen Zusammenhang wird aufgetragen, einzelne Farbelemente entwickeln sich aus sich selbst heraus und ziehen sich durch Gruppen innerhalb eines Blocks oder bleiben als einzelne Bildelemente enthalten; manche funktionieren auch nur als Elemente eines Übergangs von einem zu einem anderen Bild eines Blocks, oder imponieren als eine Art bildliche Klammer, die Teil-Blöcke in horizontaler oder vertikaler Richtung gruppiert.

Sich der „physis“ (Aristoteles) des Malens auszusetzen ist die Bedingung der Möglichkeit, dass das Bild oder die Blöcke einzeln wie zu mehreren sich von sich selbst her zur Gestalt oder zum Aussehen bringen. So wirkt im Bild kein mimetisches Verhältnis zur eigenen Vorstellung und Erinnerung wie zwischen einem Ideal und dem adäquaten Abbild davon, sondern in dieser physischen Dynamik entwickelt sich das Bild aus sich selbst heraus.
Der Künstler ist damit auch kein „Meister“ mehr der Idee, der er zum Ausdruck verhilft, sondern eher einer, der etwas, was an sich selbst schon ist, zum Sein verhilft.

Bernard Lokai - Ausstellung in Buchen 2017

Schauen wir nur auf die Entwicklung der zeitgenössischen abstrakten Kunst der letzten Jahrzehnte, dann wirken die großen Schlachtengemälde des „Goldenen Zeitalters“ wie wohl überlegte und strategisch ausgeklügelte Scharmützel um kleine Territorien angesichts einer sich heillos und immer schneller wandelnden Welt als ubiquitärer Kriegsschauplatz, der sich rhizomatisch ausbreitet und global verwirklicht.
Bernard Lokai hat in der Riesenschlacht um das Sein 7 gewissermaßen eine Art asymmetrischer Kriegsführung eingeschlagen. Zugegeben, eine Wortwahl, die schnell eine falsche Richtung einschlagen kann, die aber etwas ins gedankliche Bild setzt, was dem Prozess des Malens schon recht nahe kommt.
Es gibt keinen Entwurf, keine Skizze. Es gibt am Anfang auch keine große „Schlachtordnung“, keine Leitidee, mit der Lokai den Themen der Zerstörung, von Tod und Verlust begegnet. Ohne téchne mimetiké, ohne vorauseilende Vortsellung einer Gesamtkonzeption, ohne fertige Festlegung der „Maltechnik“ und auch ohne gesetzte Bestimmung des „Materials“ wird begonnen. Alles entwickelt sich aus sich selbst heraus.

Lokai begegnet den eigenen Erinnerungsbildern wie den Blöcken selbst in einem asymmetrischen Prozess. Jeder Block, jedes Element eines Blocks beeinflusst oder reagiert auf einen anderen. Manchmal werden Blöcke ganz ausgetauscht, in eine neue Reihung gebracht, einzelne Elemente werden zu eigenen Blöcken. Sand aus Nordafrika kommt in den Prozess, wird in die Farben gestreut, Erde aus Südfrankreich mit dem Spachtel unter gedrückt.

In seinen großen Malwerken neueren Datums erkennen wir Elemente des Graffiti‘ bzw. des Postgraffiti‘ und der Street- oder Urban Art. Dort, seit den 68er Jahren aus den großen Wallpaintings in Hamburg an der Großen Freiheit – welch ein bezeichnender Ort an sich selbst schon – hervorgegangen, wurden die Graffiti, Tags, Paste Ups, Stencils und Sticker vornehmlich als politische Botschaften einer künstlerischen Stadtguerilla verstanden und die Stadt, der städtische, öffentliche Raum wurde selbst wiederum zum Ausstellungsraum von Kunst erweitert.

Lokai benutzt Elemente des Postgraffitis nicht als Schablonen und Träger von politisch und kulturell subversiven Botschaften, sondern reduziert diese Elemente zu kontextlosen, freischwebenden Zeichen, die ihre subversiven und subkulturellen Eigenschaften auf seine Bilder nun selbst applizieren. In der Gesamtkomposition sind diese gestischen Elemente Bereiche des Manuellen, das kontrastierend und objektivierend sich von den Bereichen des Technisch-künstlichen, einer Hochdruck-Sprühtechnik, die in den meisten Werken die Farbgrundlage bildet, absetzt.
Ihre Ephemerität richtet sich allein auf seine eigene Malerei, ist pure Eigeninitiative und Stil. Wie aufgesetzte, beliebige, sinnlose „Schmierereien“ an Hauswänden wirken sie und man möchte sie tunlichst abwaschen, beseitigten, damit sie das Stadt- bzw.- das Landschaftsbild nicht weiter verschandeln.

Seinen Blöcken fehlen diese Zeichenelemente weitgehend und da wo man sie zu erkennen glaubt, sind sie viel enger im Bild selbst integriert. Mancher mag Zeichen erkennen, Zeichen, die noch etwas bezeichnen wie Fadenkreuze, Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel. Einige der Bilder bzw. Bildteile in Block B und J wirken wie Mauerputzwerk, viele könnten ganz als Vorlagen für Wallpaintings benutzt werden. Lokai befördert in seinen Blöcken noch die „freien“ Assoziationen der Betrachter.
Ganze Tage assoziativer Überlassung an das „Material“ verändern wie in einem Guerillakrieg ständig die Lage. Die ein und die andere Farbe, manche Bildelemente, verschiedene Materialien finden zusammen, ein „Mit-Sein“ 8 gewissermaßen, bilden Gruppen innerhalb der Blöcke, lösen sie wieder auf, finden neue. Es ist wie mit der Kernphysik: treffen Elemente direkt aufeinander, werden starke Kräfte frei, lösen sich die Abgrenzungen auf, überschreiten ihre eigenen, materiellen Grenzen, entfalten ihre Kraft zur eigenen Dekonstruktion.

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