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Einzelausstellung von Bernard Lokai

Bernard Lokai - Ausstellung in Buchen 2017

Dekonstruktion aber ist bei Bernard Lokai nicht Selbstzweck. Den Prozess als solchen zur Ansicht zu bringen, wie dies heute allenthalben gerne vorgeführt wird, ist nicht Lokai‘ Unterfangen. Die Loslösung von den eigenen Erinnerungs- und Vorstellungsbildern hat nicht ihr Ziel darin, alles aufzulösen; Lokais ordnender Verstand bleibt weiter aktiv. Lokais Auge wandert zwischen den einzelnen Bildelementen und den Blöcken hin und her, er hängt Blöcke um, gruppiert sie neu, ersetzt ein Blockelement durch ein anderes, manche durch neue, überarbeitet mehrfach einzelne Passagen, Elemente, Gruppen. Er organisiert und er optimiert und dies will beileibe kein Prozess um des Prozesses willen, l‘ art pour l’art, sein.
Sein Hauptaugenmerk aber gilt stets der Gefahr der Redundanz, der jeder Serie ausgesetzt ist.

Das ist ihr Wesenskern, dass, da wo Serialität wirkt, es zu einer „Überwirkung“, einer Überschreibung von Signifikanz kommt. Das kennt jeder vom Film, der der Tod des Einzelbildes sein kann und oft auch ist. Und wie einst der Fotograf Toscani quasi die Filme anhielt und so in Form von Einzelbildern daraus in der viel beachteten und heiß diskutierten Benetton-Werbekampagne zur Ansicht brachte, was die Serialität des Films überzeichnet, verdeckt, in Redundanz gebracht hat, so wirken Lokais Blöcke gegen ihre Serialisierung.

Nachrichten in gefilmten Sequenzen vom Tod und der Zerstörung Aleppos laufen täglich Gefahr, in der Flut der Serienbilder, Tod und Zerstörung zu nivellieren. Den Film anzuhalten und ein Einzelbild des Schreckens, nicht der Nachricht des Schreckens zur Ansicht zu bringen, also das zu versuchen, was ein Film eo ipso nicht kann, muss also formal in Lokais Blöcken gewährleistet sein. Und das ist es.
Lokais Blöcke funktionieren formal wie Serienbilder, aber so, dass jedes einzelne Bild sich gegen seine Redundanzgefahr, gegen seine Nivellierung behaupten kann. Wie? Indem für Lokai formal das Format der Einzelbilder wichtig und der Abstand zwischen den einzelnen Bildern von ganz zentraler Bedeutung ist. Das Format soll den Blick des Betrachters auf jedes einzelne Bild wie auch auf einen ganzen Block ermöglichen. Soll den Block lesbar machen in vertikaler und horizontaler Richtung, in Zweier-, Vierer-, Achter-Gruppen, diagonal und auch zufällig als spontaner Augenfall auf eine beliebige Stelle innerhalb eines Blockes als Ausgangspunkt.

 

Bernard Lokai - Ausstellung in Buchen 2017

Die Abstände zwischen den einzelnen Blockbildern, denen Lokai unendlich viel Aufmerksamkeit und Mühen gewidmet hat, sind weder zufällig noch nach rein „ästhetischen“ Gesichtspunkten gewählt. Der leere Raum zwischen den Elementen ist in einem komplementären Sinn konstitutiv für den gesamten Block, für die einzelnen Blockbilder untereinander wie diese selbst. Leere Räume und einzelne Bilder scheinen sich auf den ersten Blick auszuschließen, aber dem ist hier nicht so. Sie gehören zusammen, ergänzen einander komplementär.
Wie die Buchstaben, Schrift und Sprache so funktionieren Lokais Blöcke. Buchstaben sind die Grundgestalten, die Zeichen aller schriftsprachlichen Gebilde. Die Buchstaben verknüpfen sich in vielfältigsten Kombinationen zu Wörtern und diese wiederum in eben solcher Vielfalt zu Sätzen. Buchstaben aber werden wie Wörter in einem Satz durch einen Abstand getrennt, der ihre vielfältigen Kombinationen und lautlichen Konnotationen – nicht unerheblich für Wortneuschöpfungen, Witz und andere Formen der sprachlichen Ambiguität – erst möglich macht.

Was wir eben ‚dynamis koinonias‘ genannt haben, wird nun noch deutlicher. In seinen Blöcken spielt Lokai nicht einfach mit Schärfe und Unschärfe, Vorder- und Hintergrund, bringt spielerisch unterschiedliche Maltechniken und -materialien zusammen, sprüht, wischt, reibt dem bloßen Zufall folgend. ‚Dynamis koinonias‘ meint ja mehr „Miteinander-sein-können“, also keine reinen „Zufallsbekanntschaften“. Das, was auch unter Einfluss des Zufalls, aber mehr noch der inneren und physikalischen Textur des Materials selbst zur Aussicht kommt, ist also weder ein Bild, das sich in einer Art unkontrolliertem Prozess selbst malt, noch eins, dem der „Meister“ von Beginn an seinen geistigen Stempel, seine eigenen Vorbilder aufprägt.
Diesen Vorgang zu beschreiben soll das „Bild“ eines asymmetrischen Mitgangs erleichtern. Weder führt das Material noch die Spontaneität oder Genialität des zeitgenössischen Malers hier Regie. Alle diese téchne- und doxo-mimetisch dominierten Auffassungen von Kunst sind letztlich Schein-Nachahmungen 9 und bleiben oberflächlich und manieristisch, wenn wir Manierismus so verstehen, wie der Begriff ursprünglich gemeint war: den Möglichkeiten nach.

 

Im Gegensatz dazu beschreibt Lokai seine Auseinandersetzung mit seinen inneren Bildern und den auf der Leinwand entstehenden, asymmetrischen Assoziationen als einen Dialog, der ihn hinter seine Vorstellungs- und Erinnerungsbilder von Zerstörung, Verlust und Tod mitnimmt, ja sogar an die Frage: wie heute Malerei überhaupt noch möglich ist?
Dort stellt sich also hinter der Frage nach den eigenen Erlebnissen und deren Erinnerungen bzw. Vorstellungen die grundsätzlichere Frage: wie kann zeitgenössische Malerei Zerstörung, Verlust und Tod beikommen und zwar so, dass die Frage nicht nur auf den Maler und seine Vorstellungen selbst gerichtet ist als diese eine Möglichkeit, ‚a la maniera‘.
Sie geht zwar von den eigenen Erfahrungen aus, bleibt aber dort nicht stehen. Krieg in Syrien, die schier endlos dauernde Zerstörung Aleppos – heute ist es Mossul im Irak – war bislang kein besonderes Sujets der künstlerischen Auseinandersetzungen, nicht bei den bekannten Malerzeitgenossen.

Mag sein, dass die Herausforderung an die Malerei zu groß ist, Zerstörung und Verlust nicht nur auf den Grund zu gehen, sondern auch in einer Art Gegenbild gegen die nivellierende Bilderflut der Medien zur Ansicht zu bringen. In den Medien hat Aleppo seinen Ort, besser Un-Ort oder Epizentrum, im Schlaf- oder Wohnzimmer oder ‚à la main‘, wo immer auch Digital TV, Smartphone, Tablet oder PC ihren Platz heute finden. So allgegenwärtig die Themen unserer Zeit auch sind, letztlich sehen wir nichts mehr in der seriellen Bilderflut.

Auch der Verlust eines Freundes bringt große Erschütterung ins eigene Dasein und so ein wenig das Universum durcheinander. Denn nichts ist ab da wie vorher. Verlust hat als absoluter, was der Tod ist, das Unwiederbringliche in sich. Und wie kann ein Bild oder eine Serie von Bildern mit etwas Unwiederbringlichen umgehen?
Wir wissen aus der Psychologie, dass Verleugnen und Verdrängen hier nicht viel hilft. Wir wissen im kritischen Blick auf uns selbst, dass bloße Erinnerungen an den Freund ihn selbst in der Erinnerung selten so wiederbringen, wie er und die Freundschaft wirklich waren.

Erinnerungen, diese Form der Anwesenheit von etwas Abwesendem, von etwas unwiederbringlich schon verlorenem, sind nicht selten Trugbilder und ebenso oft sind wir es, die meinen, das wir selbst es sind, die uns täuschen. Das mag sein, aber was wäre, wenn wir es letztlich nicht mit einem uns selbst täuschenden Verhalten, mit unserer Selbsttäuschung zu tun haben, sondern dahinter die Täuschung, der ‚Trug‘ des Freundes selbst aufscheint. Nicht ein willentlicher, ein vordergründiger Trug, sondern viel tiefer, ein Trug, eine Täuschung des Lebens des Freundes selbst wie der unser aller Leben?

Zerstörung, Verlust und final der Tod stellen uns heute die „letzten Fragen“. Was ist der Mensch lautet die eine, der wir nicht entkommen können. Und so haben wir die ‚Prima Philosophia‘ zu Höchstleistungen der Mystifikation des Unbekannten getrieben. Was in früheren Epochen Mysterien und Kultus-Kunst waren ist heute von wissenschaftlicher Forschung verdrängt worden und in medialen Lebensentwürfen rationalisieren wir das Bild des Todes wie die von Zerstörung und Verlust. Ohne es zu merken, haben wir die intellektuelle Erfahrung der Welt unseren anderen Lebensentwürfen vorangestellt, Wissenschaft und Kunst erklären uns die Welt noch bevor wir sie erleben. Dem Tod haben wir ein Mädchen zur Seite gestellt, dem memento mori das carpe diem.

Der Tod tanzt oder hält wach wie Beuys formulierte. Er ist gleichermaßen bedrohlich, fremd, unbekannt wie inspirierend; der Totenschädel ist besetzt mit Diamanten, die den Wert kühler Sinn-Projektionen moderner Lebensentwürfe bemessen.
Andy Warhol hat seinem individuellen Todesbild ein serielles, medial konfiguriertes Bild des Todes in seinem Werk gegenüber gestellt.
Er hat sein individuelles Todesbild formal entpersönlicht, hat es jeder formal-ästhetischen Tiefe enthoben. Da gibt es kein Dahinter, nur ein fast schon zur self fulfilling prophecy gediehener gesellschaftlicher Umgang mit dem Tod, in der der Umgang mit dem Tod als ein maschinelles Gestaltungsideal funktioniert; fein säuberlich und gnadenlos präzise arbeiten die ‚Electic Chairs‘ wie die alltäglichen Beerdigungsrituale ohne jede individuellen Handschriften.

Warhol, der im Jahr 1968 selbst nur knapp ein Attentat überlebte, blieb aber auch als Künstler im symbolischen Bannkreis des Todes. In schreiender Farbigkeit lehnen sich seine Serienbilder sowohl gegen die mediale Abstumpfung von Hinrichtungen, gegen deren flüchtig vorbeistreifenden Medienmeldungen wie auch gegen seine und die menschliche Vergänglichkeit auf.
Warhol will, dass der Betrachter Stellung bezieht, gegen die mediale, serielle Nivellierung der Grausamkeiten der Todesstrafe, aber auch gegen den Tod selbst. Gegen dessen uninspirierte Anonymität und Banalität. Aber so sehr er sich auch zeitlebens mit dem Tode auseinandersetzte, es ging ihm um die Entmystifizierung eines gesellschaftlichen Bewusstseins und Umgangs mit dem Tod; es ging ihm um deren Aufklärung mit den Mittel der Kunst.

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