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Einzelausstellung von Bernard Lokai

Bernard Lokai - Ausstellung in Buchen 2017

Aber was ist, wenn all‘ die mementi, die Mädchen, Totenschädel und sonstigen Allegorien der Vergänglichkeit (vanitas), die uns ein Leben lang im Bannkreis des Todes metaphysisch-nihilistisch umklammert wach halten, aufgeklärt wären, und der Tod und damit das Leben nichts anderes wäre als ein sinnloser Vorgang, dessen Schöpfung so ohne Tiefe, ohne metaphysisches Dahinter ist, wo es also auch für die Künste schließlich nichts zu finden gibt, wenn der Tod lediglich dem Leben eine passagere Bedeutung zuweist, die der Mensch nur allzu gern annimmt, aber nicht annehmen muss, was dann?

Dass diese Frage so abwegig nicht ist, hielt J. P. Sartre bereits in dem eindringlich erschütternden Satz fest: „Jeder Tod ist ein Mord.“ Und weist auf den Betrug für den anderen, für Freund und Partner hin. Und er hat Recht, denn kein Tod ist einfach nur ein „natürlicher“ Tod. Er ist Trennung und Bruch, Bruch vieler uneingelöster Versprechen und Beziehungen, Mord, heimtückisch, unvorhersehbar und chancenlos für die Lebenden wie die Betroffenen. Dies alles und mehr ist der Tod für uns, selbstverständlich nicht intentional.

Die Guilloche auf der Lünette der Uhr des alten Klosters Sao Francisco im Zentrum des Brasilianischen Salvador de Bahia zeigt in goldenen, vom salzigen Seewind schon teilweise bis zur Unkenntlichkeit verwitterten Buchstaben: „Ferriunt omnes, ultima necat.“ 10 Aber so können und wollen wir unser Leben nicht sehen. Denn unser Bewusstsein betreibt ein ganz anderes Spiel. Es funktioniert im Gegensatz dazu komplementär und kumulativ. Seine Inhalte, seine Vorstellungen, Bilder und Erinnerungslinien stehen in einem ständigen Vervielfältigungsprozess, in fortwährender Anreicherung und also Akkumulation.
Für das Bewusstsein gibt es nicht die Endlichkeit, sondern die Unendlichkeit als Bezugssystem. Vom Tod ausgehend, sucht es dessen Überwindung, denn der Mensch will leben und nicht sterben, er will seine gegebene Zeit überschreiten, generativ wie für sich selbst. Deshalb trägt der Mensch die Idee der Unendlichkeit immer schon in sich, wirkt diese Idee rekursiv auch in ihn hinein, in sein Denken, Empfinden und Handeln, auch in die Kunst.

Der Künstler, der Maler malt immer gegen die Zeit, wenn er denn „gut“ ist. Und so hinterlässt er uns seine „ewigen“ Werke als sein Bewusstsein seiner Zeit, seiner Geschichte, wenn sein Körper schon längst ins Nichts gesunken ist. Sein Körper stirbt, seine Ideen in seinen Werken bleiben uns wohl möglich lange erhalten.
Wir sind zwar aus der Endlichkeit geboren wie das Universum selbst und der Urknall unserer Geburt war nichts anderes als der Beginn eines Lebens aus dem Tod. Der Tod, die Vergangenheit und Vergänglichkeit von allem haben uns das Leben geschenkt und das Bewusstsein, dass auch wir endlich sind. Auch das Bewusstsein und die Idee der Unsterblichkeit, der wir mit Leidenschaft begegnen und die den Künstler aus der amorphen Dauer wie, im besten Fall, aus der Nivellierung des „Jedermann“ heraushebt. Und seine Waffe gegen den Tod ist sein Werk.

Bernard Lokai - Ausstellung in Buchen 2017

Von Aleppo wird nichts übrig bleiben, nichts, was auch nur im Entferntesten mit dem Aleppo vor dessen derzeitiger Auslöschung zu tun hat wie auch von Hans-Jörg Holubitschka nichts Lebendiges mehr bleibt, außer seine Werke, außer die Bilder von Zerstörung, Verlust und Tod von Bernard Lokai, die auch eine künstlerische Auseinandersetzung mit ihnen sind und die vielleicht nie zu Ende geht wie der dialog interieur, der fortan die Gespräche mit dem Freund und Malerkollegen aufbewahrt und fortführt.
Viele dieser Bilder und Geschichten werden Erinnerungen sein, die von Mund zu Mund wandern und so von sich erzählen, werden im Gedächtnis bewahren, was es so in Wirklichkeit nie gab, aber was das Bewusstsein aus seiner metaphysischen Umklammerung nicht herzugeben bereit ist, jedenfalls nicht so ohne weiteres, so ohne Widerstand.

Wenige Bilder werden Zerstörung, Verlust und Tod als solche zeigen, nicht Aleppo und Hans-Jörg, nicht die Erinnerung an sie. Sie werden dem Betrug des Todes nicht auf den Leim gehen, werden eben keine Stelen in einem Heiligtum errichten, sondern helfen, vergessen zu machen, was an unverarbeiteten Klischees von Vorstellungen und Erinnerungen, diesem nihilistischen Vandalismus des eigenen Bewusstseins abgelegt ist. Und nur so den Blick freigeben auf das, was bleibt, was wirklich währt: der ewige künstlerische Kampf gegen Zerstörung, Verlust und Tod, der dem Leben, dem uneinholbar sich Wandelnden und dem Vergangenen Sinn und Würde verleiht.

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