Torsten Paul - Seite 2

Brücke über Genres

Dagegen wirken die Altstadtskizzen, Colonata und Pittigliano wie Stilleben dörflicher Vergangenheit, wie toskanische Reminiszenzen. Trotz ihrer strengen, gradlinigen und detailgetreuen Ausführungen schaffen sie es, sich in unsere Erinnerungen zu schleichen, sie anzustoßen und längst vergangene Bilder, Szenen und Erlebnisse aus ihrer Abwesenheit wieder auftauchen zu lassen. So wirken sie wie ein paar Anfangstöne einer ganzen Partitur der Erinnerung, holen scheinbar längst Vergessenes wieder zurück in die Gegenwart, so, als wären die Tritte und Stimmen, die Gerüche und die Kühle in den alten Gassen wiedererlebt.

So ähnlich muss es demjenigen gehen, der die Mauer erlebt hat. Beklemmend und monströs ist die Nähe dieses sozialistischen Bauwerks, jedenfalls für einen wie mich, der ich, außer ein paar Aufenthalten in der damals eingemauerten Stadt nie „drüben“ gelebt habe.

Zeigt sich Torsten Paul in seinem plastischen Werk als ein Vertreter der modernen Skulptur, die seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts sich vehement gegen die Technisierung der Kunst mit Mitteln der Bildhauerei vor allem gewandt hat, indem sie Inhalt und Form auf dem ursprünglichsten aller skulpturalen Felder wieder gesucht und zusammengeführt hat, dem menschlichen Körper, transformiert er traditionelle und moderne Bildsprachen in die Malerei.

In seiner Malerei finden wir ebenso keine neue Technik, keine neuen Maltechniken in wilden Bildkompositionen. Realismus fällt einem unwillkürlich ein, will aber nicht so ganz mit seiner Malerei verfangen.
Obwohl die beiden „Mauerwerke“ West-Ost und Ost-West einem stilistischen Realismus post-sozialistischer Prägung durchaus nahe stehen. Es fehlt der Pathos. Und selbst die klaffenden Lücken in der Mauer, die die Blicke auf seelenlose Häuser freigeben, wirken wie eine futuristischen Phantasie absoluter Trostlosigkeit und Unmenschlichkeit.

Zu spät scheint die Mauer zerbrochen. Bonbonfarben und ein eifersüchtig gelber Himmel wollen eine „Aufbruchstimmung“ nicht wirklich aufkommen lassen. Auch nicht auf der „anderen Seite“, wo die Mauer bunter, aber die Häuser grau und der Himmel sein blaues Versprechen auch nicht zu halten gedenkt. Ost-West-West-Ost-Phantasien.

Torsten Paul - Malerei - ArbeitsschuhEinige Werke zeigen Handarbeit. Und so will Torsten Paul seine Kunst auch verstanden wissen. Im Kern, an der Basis ist Paul als Bildhauer, Zeichner und Maler ein Handwerker, der sein Leben mit der Kunst bestreitet, der Kunst schafft wie andere Waren und Güter produzieren.

Hier erkennt man ebenso wenig etwas vom überwiegenden Pathos der zeitgenössischen Kunst des letzten Jahrzehnts selbst, von einer vorgeblichen Andersartigkeit der künstlerischen Kraft, ihrer vermeintlichen Genialität.

Ganz im griechisch-antiken Sinne erkennt man Kunst in Pauls Werk als das, was sie zunächst einmal ist, Techne, also vornehmlich ein „Können“. Wie der antike „architectus“, also der Meister der Baukunst, der dieses besondere Können im Bauwerk zur Vollendung bringt, ist das malerische Werk von Torsten Paul auf eben solches Können sichtbar aufgebaut.

Sowohl zeichnerische Elemente wie auch einer, dem räumlichen Blick verdankten Bildkonzeption finden in den unterschiedlichsten Sujets zusammen. Architektur, Atelierszenen, ein Stiefel, ein Marmorsteinbruch sowie Strandgut und Altagsgegenstände treten dabei schon also solche kontrovers gegen die dominierenden abstrakten, nicht-figurativen Tendenzen der Moderne, spezieller der sog. Postmoderne auf.

Damit nicht zufällig verbunden ist auch eine Rücksicht auf Geschichte, die aber in Pauls Malerei nicht auf Zitate und vergangene Stile als Bau- und Bestandteile der Bildkomposition reduziert wird. Eklektizismus ist diesem Werk fremd. Und gegen das „Erhabene“ stehen allein schon die Sujets seiner Malerei, deren Alltäglichkeit jede Fehldeutung in diese Richtung unterläuft.

Momente von Ironie wie etwa in „Werksgelände, Festhalle“, wo eine gerade nobel gedeckte Tafel verwaist in einer abgewirtschaften Werkshalle steht und man nicht weiß, kommt da noch eine feine Gesellschaft, oder war der Festtermin vor langer Zeit anberaumt und blieb uneingelöst, deuten symbolisch zweideutig auf ein Ende der Geschichte, was den festen Charakter einer Epochenbezeichnung aus der mikroskopischen Perspektive des Sujets konterkariert.

Torsten Paul - Malerei - Werksgelände

Was immer man auch in der symbolischen Zwei- oder Mehrdeutigkeit als ein Ende der Geschichte erkennen möchte, sei es das Ende eines Industriezeitalters oder einer sozialen Gewissheit, es bleibt im Werk insgesamt wie auch hier in diesem Pauls deutliches Monitum erkennbar, dass das künstlerische Streben unabhängig in jeder historischen Epoche und Konstellation auftreten kann, ja muss. Von einem Ende der Kunst ist also auch nichts zu vernehmen.

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