Golfreisen: Andalusien - Seite 2

Die Begegnung von Islam und Christentum

Araber und Christen – die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Andalusien - Cordoba - Kathedrale

Andalusien - Cordoba - KathedraleFast achthundert Jahre dauerte die islamische Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel, von den meisten datiert von 710 bis 1492. Die Präsenz des Maurentums währte noch über ein Jahrhundert länger, bis zur Ausweisung der Moriscos, wie man die zum Christentum zwangskonvertierten Mauren nannte (auch Kryptomuslime genannt), die nach dem Abschluss der Reconquista in Spanien lebten und die schließlich 1614 abgeschlossen war.
Im Sommer 711 n. Chr. begann also die arabische Herrschaft in Spanien mit der Überquerung der Meerenge von Gibraltar und dem Vordringen des arabischen Heerführers Tariq ibn Ziyad in das Reich der Westgoten.
Am 19.Juli stellte er am Fluss Guadalete nahe Cádiz den westgotischen König Rodrigo zum Entscheidungskampf. Rodrigo fiel und nach der Schlacht stand Hispanien wehrlos den muslimischen Eroberern gegenüber offen.

Andalusien - Cordoba - KathedraleDiese Periode von fast einem Jahrtausend, trägt den Namen al-Andalus und bezeichnet also kein geografisches, sondern ein politisch-kulturelles Gebilde von unterschiedlicher Ausdehnung in dieser Zeit. Sie schuf eine Kultur, in der Muslime, Juden und Christen über die Meerenge von Gibraltar zueinander fanden.
Was heute eine Demarkationslinie zwischen „Erster“ und „Dritter Welt“ war, war damals eine Brücke, über die nicht nur Heere und Waren, sondern auch Gedanken und Künste ihren Weg fanden. Techniken und Handwerke sind bis heute geblieben als kulturelles Erbe jener Zeit genau so wie zahlreiche Wörter, Philosophien, sogar Kleidermoden. Und zuletzt jene Formen der Poesie, die islamische, christliche und jüdische Autoren einst in al-Andalus erschufen, die zum Schönsten gehört, was Weltliteratur zu bieten hat.

So ist der Islam, also die maurische Epoche in Hispanien, ein integraler, nicht zu beseitigender Teil der europäischen Geschichte. Die Moschee von Córdoba, der Alcázar von Sevilla und die Alhambra in Granada gehören untrennbar zum mittelalterlichen Europa wie Ritterburgen oder romanische und gotische Kathedralen und wirken wie diese bis in unsere Geschichte heute hinein. Die tausendjährige Begegnung zwischen Abendland und Morgenland schuf einen kulturellen Glanz und eine wirtschaftliche Größe, die weit nach dem politisch-militärischen Zusammenbruch des Kalifats im 11. Jahrhundert, als al-Andalus in zahlreiche kleine Königreiche zerfiel, in Spanien fortwirkte.
Verbunden mit dieser kulturellen Hochzeit steht Córdoba, die glanzvolle Hauptstadt des unabhängigen Kalifenreiches. Sie war im 10. Jh. die bei weitem größte Stadt in Europa. Abgesandte des Kaisers erstarrten in Ehrfurcht angesichts der Pracht der Residenz, deren Bibliothek damals mehr Bücher zählte, als es im übrigen Westeuropa insgesamt gab.

Andalusien - Cordoba - Kathedrale Andalusien - Cordoba - Kathedrale

Der wirkliche Niedergang der Mauren begann, als im 12. Jh. nord-afrikanische Berber-Dynastien die Macht ergriffen und im christlichen Norden der unsägliche Kreuzzugsgedanke um sich griff. Er endete mit der Eroberung der Alhambra von Granada durch die Katholischen Könige Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien im Jahre 1492, deren Gräber man heute in der Kapelle von Malaga besuchen kann.

Doch selbst nach der Eroberung der Alhambra in Granada florierten die Künste, wofür die Zitadelle über der Stadt bis heute steht: ein Sinnbild der spanisch-islamischen Kultur und Vorbild für maurische Architektur und maurisches Dekor, das man heute in aller Welt findet. So ist sie zugleich seit dem 14. Jh. Symbol politischer Schwäche und militärischer Ohnmacht wie sichtbares, atemberaubendes Bauwerk aus der Spätblüte einer zum Untergang bestimmten großen Zivilisation.

Andalusien

Boabdil übergibt 1492 Granada an das spanische Königspaar (Historienbild von 1882)

So entwickelte sich auch al-Andalus zum Objekt romantischer Verklärung, spätestens mit der Veröffentlichung der Erzählungen von der Alhambra des amerikanischen Schriftstellers Washington Irving im Jahr 1832. Hieraus entstand ein Geschichtsbild im 19. Jh., das geprägt wurde vom edlen Mauren, der ritterlich kämpfte, um unschuldig in Not geratene zu verteidigen.

Das geht bis heute in den Mythos von einem maurischen Spanien, wo ein friedlicher Multikulturalismus herrschte, ungetrübt von Spannungen und Auseinandersetzungen und dem die Intoleranz und Aggressivität der katholischen Kirche entgegengesetzt wurde, deren düsteres, grausames Wirken in der Errichtung der menschenverachtenden, eifernden Inquisition zur Unterdrückung aller Andersdenkenden, vor allem der verbliebenen Kryptomuslime gipfelte.

So verwundert es auch nicht, dass jenseits solcher Spätfolgen der alten Gegensätze zwischen Morgen- und Abendland in neuerer Zeit die Vorstellung sich durchgesetzt hat, in der das eigentliche Ideal von al-Andalus gerade in der Überwindung dieser kulturellen Gegensätze liegt.
Wie immer, wenn ein Mythos historische Substanz trägt, kann man Teile an Wahrheit darin finden, die sowohl hinter der grotesken Schönfärberei, die mittelalterliche Geschichte Spaniens sei ein multikulturelles Paradies in immer währendem Frieden, als auch hinter dem romantischen Bild eines friedlichen Miteinander der monotheistischen Offenbarungsreligionen, jenseits von Krieg und blutigen Streit liegt.

Andalusien - AlhambraAndalusien - Alhambra

Es gab dieses Zusammenleben der Religionen und Kulturen (convivencia) tatsächlich, wie es immer wieder Perioden gab, in denen es nicht nur kulturell, sondern auch politisch und militärisch zur Kooperation über die Religionsgrenzen hinweg kam, die auch weltgeschichtlich gesehen wohl ihresgleichen sucht. Historisch verbürgt
huldigten einige christliche Monarchen dem Kalifen von Córdoba, leisteten ihm Tributzahlungen und verheirateten ihre Töchter mit arabischen Prinzen. Die Überlegenheit des islamischen Spanien des 10.Jh., also des Zeitalters des Kalifats von Córdoba, wurde realpolitisch wie kulturell anerkannt, weil man wusste, das das Christentum ihm damals kaum etwas adäquat entgegenzusetzen hatte und man sich lieber friedlich mit ihm arrangierte, als sich in aussichtslose Kriege zu stürzen.

Auch nach dem Zusammenbruch des Kalifats, als es im 11. Jh. zu einer Vielzahl von „kleinen Königreichen“ (taifas) kam, die miteinander in permanenten Kleinkriegen um Macht und Einfluss wetteiferten, scherte man sich wenig um Religionsgrenzen: Muslimische Fürsten riefen Christen gegen ihre muslimischen Gegner zu Hilfe, so wie umgekehrt auch christliche Könige mit Muslimen gegen ihre christlichen Nachbarn ins Feld zogen.

Eine Reihe religiöser Feste wurde gemeinsam gefeiert, Ostern und Fastenbrechen vereinte Muslime und Christen. Das Spanien im 11. Jh. kann man durchaus eine gemeinsame Lebensbehausung, eine morada vital nennen, die die Religionsgrenzen in vielerlei Hinsicht spielend sowohl politisch wie kulturell überwand. Widmet man einen tieferen Gedanken jener Zeit, dann versteht man leichter, das das Nebeneinander der Religionsgemeinschaften mit Sieg und Niederlage allein nicht zu erfassen ist.

Gegen jene Trivialität und neidische, vielleicht auch eifersüchtige Geschichtsvergessenheit spricht vieles, eines aber auf jeden Fall, dass nämlich in vielen Bereichen die Entwicklung des christlichen Spanien von der Durchdringung der überlegenen, islamischen Kultur enorm profitierte, gerade auch, nachdem es militärisch den Sieg errungen hatte.

Bitte lesen Sie weiter auf Seite 3: Die Begegnung von Islam und Christentum.