Einmal auf den Tischen tanzen?
Es begann wie jedes Jahr, Bernd absolvierte gekonnt seinen Pflichtteil der Veranstalung, nach dem so mancher Jahresabschluss in einem anderen Verein schon so sehr in den Morast aus ermüdenden, langwierigen Wiederholungen und daraus folgender Langeweile geredet worden ist; nicht so bei Bernd.
Er brachte seine Grußworte und Höflichkeiten genau so stilvol an Frau und Mann wie der Erwähnung, dass einige liebgewonnene Mitglieder der Seniorengruppe sich auch in diesem Jahr wieder für immer verabschiedet haben.
Organisatorisches musste besprochen, das nächste Jahr vorbereitet und einige Informationen verteilt werden, was niemand so wirklich als vergnügungssteuerpflichtigen Teil dazubieten in der Lage ist. Ein paar humorvolle Worte eingestreut, kurze, prägnate, auf das Wesentlich beschränkte Sätze und das eine oder andere Augenzwinkern kann, wie Bernd das im Repertoir hat, die Zeit verkürzen und die Konzentration entlasten, so dass er sich auch von solche Pflichten einigermaßen unbeschadet entbinden kann.
Und der Schaden kann schnell hoch ausfallen, sitzen dich im Seniorenkreis Hubbelrath Frauen und Männer, die mit großem Selbstbewusstsein solche Veranstaltungen besuchen und keinesweg immer bereit sind, lange Reden zu dulden, zumal, wenn sie wenig zur heiteren Stimmung oder Inhaltliches beitragen.
Und da Bernds Part zwischen den verschiedenen Gängen des Menues einfällt, kann die leiseste Verzögerung oder Langatmigkeit sofort hörbaren Protest hervorrufen – auf das Essen zu warten, ohne trifftigen, wird von den ewig Hungrigen nicht toleriert; also, chapeau.
Eine schöne Tradition in Bernds alljährlichen Auftritt ist der Teil, den er thematisch frei gestaltet und in dem er über die Jahre hinweg verschiedenste Beträge zu unterschiedlichen Themen aus Politik, Kultur und Lebenskunst zum Besten gegeben hat; dieses Jahr hatte er einen Beitrag zur Philosophie vorbereitet, Thema: Apollon und Dionysos.
Dieses alte Gegensatzpaar eines sinnlich, bis rauschhaft extatischen und eines vernünftigen, harmonisch maßvollen bzw. maßhaltenen Lebensentwurf beschäftigte die Geistenwissenschaften und die Künste in den verschiedensten Formen.
So versuchten Philosophie, Psychologie, Soziologie und Kulturissenschaften (etc.) auf der Grundlage dieses Gegensatzes ein formgebendes Realitätsprinzip zu entdecken, dem Bernd kundig nachdachte.
Ein ewiger Streitpunkt ist in der ganzen populären Interpretation geblieben und markierte auch in Bernds Aufzählung von Parallelen in unsere heutige Zeit, ob denn Personen wie donald t. oder Organisationen wie die AfD wirklich dem dionysischen Prinzip zuzuordnen sind?
Wir sehen in beiden einen unbedingten Willen zur Macht am Werke, der die ultimativen Vorstellungen einer „Ordnung“, einer autoritären und nationalistischen Ordnung – sogar mit dem Führerprinzip eingeschlossen – zu verwirklichen sucht, also nur sehr schwer mit den beiden Prinzipien zu beschreiben ist, denn mehr menschengemachte Ordnung findet im Vorstellungsvermögen der Menschheit nicht.
Freud hat es versucht mit den beiden Prizipien Eros und Thanatos, wobei letzteres auf der Lust an der Destruktion beruht. Nietzsche hätte sich allein schon deshalb einer Zuordnung verweigert, weil AfD und donlad t. gleichermaßen nichts mit Kultur und Kunst zu tun haben, weder mit Vernunft noch mit einem Fest der Sinnlichkeit, sieht man sich nur die handelnden Akteure mal an.
So gab Bernd einmal mehr dem Auditorium einiges zu denken mit und als er seinen Vortrag mit dem Schlussatz: …so, jetzt lassen wir…enden wollte, hörte man dann doch einen leisen Zwischenruf: …die Sau raus.
Der blieb aber unbeantwortet, es tanzte niemand auf dem Tisch oder füllte im Rausch die Gläser, und so ging der Abend in schönster apollinischer, also geordneter Sittlichkeit seinen weitere Weg zum nächsten Gang auf dem Menü.
Eine Bermerkung sei noch erlaubt: Noch beim Sektempfang sprach jemand Bernd darauf an, dass es doch einmal an der Zeit wäre, nicht nur den notorischen Siegern der Jahreswertung zu huldigen, sondern die Verlierer, also die, die nicht so oft auf den Fairways erscheinen können und wenn, dann eher auf den hinteren Plätzen landen, auch in die „Hall of Fame“ mit aufzunehmen.
Immerhin bleiben die, die mit Niederlagen, Frust und wenig Anerkennung leben müssen, der Gruppe stets treu, kommen, so oft es die Natur und die Biologie erlaubt, zum Wettkampf und leiden still und unerwähnt am Scoring-Modell.
Bernd nahm diesen Gedanken sehr gerne auf und eröffnete sein Ansprache mit der Ankündigung, dies im nächsten Jahr in sein Manuskript mit aufnehmen zu wollen. Wir finden das eine schöne Geste und sind schon gespannt darauf, was Bernd im nächsten „King’s Speech“ zu den „Verlieren“ – immerhin die Mehrzahl der Mitglieder im Seniorenkreis – zum Besten gibt.