Wien und seine Kultur

Urlaub vom Leben nehmen

Geht Wien auch ohne Sissi und Franz?

Kaiser Franz-Josef, WienKaiserin Sissi, WienNatürlich nicht. Ganz gleich, welche Muse Sie in Wien bei der Hand nimmt, am Ende des Tages landet man doch im Hotel Sacher und Cafe Dehmel bei einem Einspänner oder Braunen und Torte.
Warum sollte es auch gerade in Wien, vielleicht dem Ursprungsort aller Klischees, ohne Klischee gehen? Und ohne Sissi und Franz? Denn, um bei der Wahrheit zu bleiben: Vor den Kaiserappartments warten die längsten Besucher-Schlangen und all die Mozart-Doubles, die um die Wiener Burg herumlungern und überall in der Innenstadt die allabendlichen Kostüm-Konzerte anpreisen, sind einfach aus Wien nicht wegzudenken.
Auch vor dem Palais Palffy stehen die werbenden, leicht untersetzten Kugel-Mozarts, denn hier soll ihr begabteres Vorbild bereits im zarten Kindesalter vorgespielt haben.
So versuchen die springgelenkigen, menschlichen Litfaßsäulen nicht nur ihr Werbematerial an die Frau, den Mann zu bringen, sondern, ganz in der Tradition der Stadt und ihrem Umgang mit dem Tod (siehe hier auf anderen Seiten über Wien), ein lebendiges Ansehen – von (An-)Denken kann man leider nicht sprechen – vom verstorbenen Genie aufrecht zu halten.

Mozart, Wien, Österreich

Mozart-Denkmal Wien

Siegmund Freud, Wien, Österreich

„Sigmund Freud LIFE“ von Max Halberstadt

Wien, die Schöne aus Barock und Klassizismus zu besuchen und alle ihre Kultur-Schönheiten zu genießen gelingt am besten, wenn man, wie der Intellektuelle Ulrich in Musils Mann ohne Eigenschaften beschließt „Urlaub vom Leben“ zu nehmen.

Nur wer sich mutig in die Welt Jenseits des Lustprinzips begibt, kann Wiens Seele erleben.
Es war Siegmund Freud in Wien vorbehalten, die Abgründe des menschlichen Seelenlebens zu erforschen; auf den Florida Keys oder auf Barbados bei Reggae, Rum und Steel Bands wäre das wohl nicht passiert.

In Jenseits des Lustprinzips, geschrieben ab März 1919, erschienen im Dezember 1920, postulierte Freud den Todestrieb, der nach Zurückführung des Lebens in den anorganischen Zustand des Unbelebten, der Starre und des Todes strebt und sah im Wiederholungszwang eine seiner mächtigen Äußerungen, so der Mensch nach Erhaltung und Stillstand, wie es unter anderem auch im ritualisierten Handeln der Zwangsneurose zum Ausdruck kommt, strebt.

Rathaus, WienWien-HofburgDer kleine Exkurs soll nur daran erinnern, woher die Gedanken der Wissenschaft der Seele kommen, um so besser versteht man, was in Wien heutzutage allenthalben erlebt werden kann.
Ja, das ist Wiener Kultur,  zwanghaft wiederholend die Erlebnisse des Tages in den Kaffehäusern zu Grabe zu tragen, oder besser den Tag gleich dort zu beginnen als perfekte Immunisierung gegen eine  drohende erotische (Eros) Anstreckung mit Leben, gar fremden Leben, was aber zum Glück dort selten vorkommt, bleibt der Wiener ja sehr gern und konsequent am Stillstand orientiert unter sich, also seinesgleichen.

In die „Wiener-Kreise“ zu kommen, ist schwerer als ins Fort Knox, oder in Paris, oder Hamburg Freundschaften zu schließen. Dabei sind die Wiener-Kreise nicht gleich Zirkel von Eliten oder ähnlichen exponierten Gruppen, sondern einfach nur Menschen des Alltags im Büro oder im Wohnviertel.

Richtig, es kommen viele Menschen, vor allem Studenten nach Wien, die eine der größten und auch schönsten Universitäten in Europa beherbergt. Aber nach ein paar Jahren haben die meisten davon Wien wieder verlassen.

Mag sein, dass es auch daran liegt, dass Wien bzw. die Wiener zum großen Teil nur an sich selbst glauben. Wer weiß, dass nach 41,3 % der Einwohner mit römisch-katholischem Glaubensbekenntnis schon mit 31,6 % der Wiener die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft ohne Bekenntnis jüngst gezählt wurde.

Das heißt aber nicht, dass der Wiener an nichts glaubt. Er glaubt schon daran, dass nichts einen Sinn macht und damit auch an die Unveränderbarkeit allen Seins in Ewigkeit und deshalb liebt er Kaiser, Sissi und den Klimt, vom der er am liebsten tägliche eine Überdosis bekäme.

Nur, wenn es gegen die Deutschen geht, wird er hysterisch, vor allem beim Fußball. Stellvertretend für alle Österreicher hat das Edi Finger beim legendären Wunder von Córdoba, dem 3:2 der „Kipfeltürkei“ gegen Deutschland für alle Ewigkeit in den Äther geschrieen: „da kommt Krankl, vorbei diesmal an seinem […] Bewacher, ist im Strafraum – Schuss … Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor! I wer‘ narrisch! Krankl schießt ein – 3:2 für Österreich! Meine Damen und Herren, wir fallen uns um den Hals; der Kollege Rippel, der Diplom-Ingenieur Posch – wir busseln uns ab. 3:2 für Österreich durch ein großartiges Tor unseres Krankl. [..] I glaub jetzt hammas gschlagn!“

Wien, ÖsterreichDass der Torschütze auch noch „Krankl“ hieß, sagt schon was. Wie bei Bertha Pappenheim während ihres Aufenthalts im Sanatorium Bellevue 1882 auch bei Benutzung der deutschen Sprache, und nur bei der, einige der Symptome ihrer Erkrankung temporär verschwanden, verschwanden auch hier kurzzeitig vor allem die Halluzinationen und Angstzustände, die die Almdudler regelmäßig befallen, wenn sie gegen Deutschland antreten sollen.

Da aber selbst in dem Diminuativ „Piefke“ noch so viel Identifikation mit dem Aggressor enthalten ist, kann auch der Wiener nicht anders als ständig „narrisch zu wer’n“ und hyperneurotisch in Ganzkörperstarre zu verfallen, wenn er einen von denen erblickt oder gar reden hört.

So ist das Verhältnis von Wienern und Deutschen, Sommers wie Winters auf den Pisten und nacher schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs arg belastet, obwohl doch eine der Blütezeiten von Wien und die längste Geschichtsepoche kaiserlicher Geschlechter mit dem römisch-deutschen Kaiserreich und damit den Habsburgern zusammenfällt, die immerhin über 630 Jahre lang geherrscht hatten, bevor am 12. November 1918, einen Tag nach dem Regierungsverzicht Kaiser Karls I.  und der Ausrufung der Republik Österreich das Ende Hauses Habsburg feststand.

Parlament, WienWas allein in diesen 630 Jahren an kulturellen Hinterlassenschaft heute und für die Ewigkeit in der Stadt der Donau, von der die Alpenrepublikaner ganz ungeniert so tun, als würde er oben am Wiener Hausberg, dem Schneeberg, von dem die Stadt ihr herrliches Trinkwasser bezieht, entspringen und nicht bei den „Piefkes“, an Kunst und Kultur sich erhalten hat, ist beachtlich und kommt locker mit der französischen Metropole mit.

Nach den großen Pestepidemien von 1679 und 1713, die wohl das ganz spezielle Verhältnis zwischen Wien und dem Tod markierten, das aber schon bei der Belagerung der Stadt durch die Osmanen 1529 und 1683 seine Geburtsstunde feierte, blühte Wien regelrecht explosionsartig auf in jeder Hinsicht.

Es entwickelten sich Kanalisation und Straßenreinigung und die Stadt insgesamt zum Kulturzentrum Europas, gipfelnd in der Musik der Wiener Klassik (ca. 1780–1827) von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert, um nur einige zu nennen.

Stephansplatz, Wien

Dem schwarzen Tod von der Schüppe gesprungen baute sich die Stadt zum eignenen Denkmal ihrer selbst aus. Zahlreiche Prunkbauten aus der römisch-deutschen und der österreichischen Kaiserzeit zeugen heute noch vom Glanz jener postmortalen Epoche. Die Liste der Bauten und Denkmäler ist unendlich lang, bitte schauen Sie dafür hier herein: Liste von Sehenswürdigkeiten Wiens bei Wikipedia.

Wien ist zum Verdruss der Wiener Magnet für Touristen aus allen Ländern der Welt, die scharenweise mit dem von munter äppelnden Gäulen gezogenen Fiaker durch die zum Weltkulturerbe zählende Innere Stadt, die Altstadt, in deren Zentrum sich der Stephansdom befindet, kutschiert werden. Hier im 1. Bezirk befinden sich zudem die Staatsoper, die Hofburg, Stadtresidenz der Kaiser, die Kärntner Straße, die am stärksten frequentierte Fußgängerzone Österreichs, bekannte Hotels und Konditoreien und die prunkvolle Ringstraße, die die Altstadt umgibt.

Geradezu unglaublich der Zulauf zu Konzerten von einem der zahllosen Komponisten von Weltrang, die hier über die Jahrhunderte geschafft haben, wie Franz Schubert, Franz Liszt, Johannes Brahms, Johann Strauss (Vater), Johann Strauss (Sohn), Franz Lehar, Joseph Lanner, Anton Bruckner, Gustav Mahler, sowie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Mitglieder der Zweiten Wiener Schule, Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und später Ernst Krenek, die das musikalische Erbe der Wiener Klassik weiterschrieben.

Hundertwasser-Haus, Wien, ÖsterreichZu den meistbesuchten bauwerklichen Sehenswürdigkeiten zählen der Stephansdom, das Schloss und der Tiergarten Schönbrunn, das Belvedere, das Kunsthistorische Museum, die Hofburg, die Albertina, das Riesenrad sowie das MuseumsQuartier.

Wien hat eine berühmte Architekturschule, deren berühmtester Vertreter gewiss Adolf Loos war und die heute noch einigen Einfluss auf die Architektur der Moderne ausübt. In kaum einer anderen Stadt kann man die verschiedenen Stilepochen der Architektur so anschaulich studieren wie in Wien, angefangen bei der romanischen Ruprechtskirche über den gotischen Stephansdom, die barocke Karlskirche, die hochbarocke Jesuitenkirche und die Bauten des Klassizismus.

Dazu die Architektur der Gründerzeit und der Jugendstil mit der Secession, der Stadtbahnstation Karlsplatz und der Kirche am Steinhof von Otto Wagner, sowie, schlussendlich, eins der meistbesuchten Bauwerke der Stadt, das Hundertwasserhaus.

Den Hundertwasser lieben die Wiener wie den Klimt. Nur, dass der Klimt, also nicht direkt der Klimt selbst, halt a bisserl mehr erotisch ist. Seine Frauen eben; also nicht direkt die seinen, die Frauen halt.. Sie verstehen schon, nicht wahr.

 

 

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