Monika M. Seibel Fotografie - Seite 2

Sic transit gloria mundi

Die zeitgenössische Kunst als Ort der Verlässlichkeit des Scheins.

Gleichwohl stellt sich die Frage, wie denn dieser Paradigmenwechsel stattgefunden hat und warum? Monika Seibel zeigt in vielen ihrer Werke die Vergänglichkeit des Seins auf dem ersten Blick in drastischer Form.

Was immer die Gegenstände auf diesen Fotografien sind, ihre Darstellungen sind drastisch, sie sind uns fremd. Auch wäre es unsere eigene Haut. Was die Fotografien von Monika M. Seibel aber nie sind: Darstellungen von Katastrophenszenarien in drastischen Überzeichnungen des memento mori. Wie die Gedichtsammlung Les Fleurs du Mal von Charles Baudelaires, literarischer Prototyp „moderner“ Vanitas-Literatur, die Schönheit des Hässlichen entdeckte, bleibt auch in Monika Seibels Fotografien immer dieses Leuchten vergangener Schönheit damit und ein wenig vom Fetischismus der Warenwelt sichtbar. Als ein Zeichen des carpe diem.

Monika Seibel Fotografie - Fremde HautMemento mori und carpe diem…

sind die wohl bekanntesten und heute kaum noch bedeutenden Sinnsprüche einer mittelalterlichen bis barocken Vanitas-Auffassung. Horaz ließ in seiner gleichnamigen Ode Leukonoë diese Worte sprechen, die aber weit weg waren von dem vergnüglich hedonistischen Verständnis, aus dem Leben ein Fest der Sinne und Vergnügungen zu machen, wie das in der Moderne geschah. Ihre Worte waren epikureisch, Worte der Besinnung auf ein einfaches, erfülltes, diesseitiges und also nicht vertagtes Leben – in der Welt sein.

Monika M. Seibel fotografiert Dinge des alltäglichen Lebens. Hier Stoffe, Kleidungsstücke, Symbole unserer Warenwelt, oft Fetische von Erfolg, Standes- und Gruppenzugehörigkeit, Signaturen des Besonderen, von Individualität und Subjektivität. Nun modernde, zerrissene Fetzen, ausgelaugte Reste unseres Konsumreichtums, fotografische Kreuzigungsszenen moderner Ökonomie. Der Zyklus erinnert an Warholsche Serialität, braucht sie aber nicht. Jedes steht auch einzeln als ein Werk für sich, ist auch motivisch kein bloßer Farbwechsel.

Monika Seibel Fotografie - mementoViel mehr noch als das zeigen die Arbeiten die Ausweglosigkeit und die ganze Ambivalenz des schönen Scheins. Sowohl des Gegenstandes als auch des Symbols. Die Nichtigkeit der Warenwelt, der Verfall von Überfluss und Wohlstand sind aber nur die Oberfläche, schwerer wiegt, dass Kunst ihren Triumpf über das in der Welt sein hier nicht feiert. In diesen Fotografien bleiben jene Melancholie und Ohnmacht, die das Vanitas-Motiv seit Anbeginn an tragen.

Was bleibt, wenn „alles fließt“, wusste schon Platon in großer Nähe zu Heraklit zu sagen: nichts Dauerhaftes. Die Klagelieder des Jeremias, die Wandmalereien in Pompeji, selbst die unerschütterliche Ataraxie der Stoa vermochte nicht, der Endlichkeit des Daseins zu entfliehen. Ohnmacht und Melancholie blieben die Begleiter des Menschen und der Kunst wie Dürers Apokalyptische Reiter, mahnend dass der Mensch sich selbst seinen Untergang bereitet. Die Kräfte der Apokalypse stammen nicht aus Mangel, Mangel an Technik und Selbstbewusstsein. Sie entstehen in der gedankenlosen Maßlosigkeit moderner Selbstgefälligkeit, also aus Eitelkeit, die Mensch und Natur bis ins Letzte von Produktivität und Effektivität ökonomisiert. Ohnmacht und Melancholie finden in den Werken der Fotografin aber noch deutlich ihren verlassenen Ort in all‘ dem.

Die Boten der Apokalypse und die Unsterblichkeit der Kunst.

Monika Seibel Fotografie - undercover-1Mit der Renaissance änderte sich langsam das Selbstverständnis von Kunst, bis es den Spruch des „Sic transit gloria mundi“ in sein Gegenteil übersetzte.

Galt im Griechenland von Platon, dass Kunst Täuschung ist und indem die Kunst nachahmt, täuscht sie den, der das Abbild für die Wirklichkeit hält und gleichzeitig enttäuscht sie den, der den Unterschied bemerkt, denn dann hat die Kunst versagt.
Im Mittelalter, dass von der Vergänglichkeit allenfalls ein „Bild“ übrig bleibt wie „von der gestrigen Rose nur der Name“ (Bernhard von Cluny um 1140 n. Chr.), dass bei aller Virtuosität des Künstlers, die ja auch und gerade in der Vergänglichkeit und Nichtigkeit eine ihrer stärksten Quellen findet, der Künstler selbst wie seine Kunst vergeht, scheint heute das Kunstwerk und die Kunst unsterblich zu werden.

Besonders in den verlassenen Orten der Industrie, den Maschinenhallen und Werkstätten, Kauen und Kantinen bemächtigt sich die Kunst in ihrer modernen Zeichensprache der Graffities den einstigen Verheißungen des Industriezeitalters. Wie Natur die Anlagen überwuchert, transformiert Kunst die Geschichte von Arbeit und Kapital in Fresken der Postmoderne an deren Wänden.

Monika Seibel Fotografie - verlassen-2Der Glaube an die Unsterblichkeit der Kunst feiert auch mit jeder Auktion bei Sotheby’s und Christie’s ein neues Hochamt, doch was trägt ihn? Die Ohnmacht scheint der nie versiegenden Schöpferkraft, der künstlerischen Kreativität gewichen. Von Melancholie ist auf den Vernissagen am East River, Themse und der Spree nichts mehr zu spüren. Allenfalls etwas Neid auf die Kunstbesitzenden und deren Vermögen; aber Neid war kein Vanitas-Motiv.

Nein; gerade weil wir wissen, Künstler, Marktteilnehmer und Agenten wie auch das grundlos überbegeisterte Publikum, dass wir alle im selben Boot sitzen und dass der Mensch das Maß aller Dinge ist, können wir unser in der Welt sein gehörig feiern. Wenn eh‘ morgen alles vorbei ist, carpe diem und auf zur Kunst.

Monika Seibel Fotografie - Neugierde genügtMonika Seibel Fotografie - Neugierde genügtDer Betrachter hat die „neue Sprache“ der Kunst gelernt; sie ist untouchable.
Der Zuschauer ist zwar nicht mehr anonym aber nach wie vor gebannt. Das barocke Theatrum mundi wird zur Video, ja zur Multimedia-Show, in der IT- und Ingenieurskunst zunehmend den grandiosen Part der Vanitas von Jean Tinguely ablösen.

Was hier noch ganz in der Tradition der Darstellung des Scheiterns und der Entlarvung unserer fatalen Maschinenhörigkeit stand wird heute zum Festakt beim Eintritt in die virtuellen Welten mit Ewigkeitsphantasmagorien. Nur dass es keine Trugbilder mehr sind, sondern Installationen, die die Sehnsucht als Triumph über das Scheitern erheben – und, sehr bedauerlich, auch über den „Humor“ der Schweizer Wunschmaschinen.

Wolf Lepenies umschreibt diese moderne Art der Klage innerhalb der zeitgenössischen Belebungskunst: „Der Intellektuelle klagt über die Welt, und aus dieser Klage entsteht das utopische Denken, das eine bessere Welt entwirft und damit die Melancholie vertreiben soll.“

Wie einst im Erhabenen scheint in der Kunst sich heute menschliche Ohnmacht, Nichtigkeit und Vergänglichkeit zur Macht über das Schreckliche des in der Welt Seins zu träumen. Und dieses Sein wie der Wunsch, das Leben festzuhalten scheint käuflich.

Monika M. Seibel zeigt nicht nur Schönheit als käufliche Ware und deren waste of time. Die „Sacchi“ – mühelos mit „Leichensäcken“ assoziiert – könnten vergessene Berufsbekleidung sein, von der Decke einer Wasch-Kaue im „Pott“ hängend, oder Ähnliches aus der durch die Fotografien freigesetzten Assoziationsketten.
Wie das Fett und das Fell in den Beuys’schen Installationen, Schlingensiefs projizierter, „doppeldeutiger“ Hase in seiner Parsifal-Inszenierung  2004 im Bayreuther Festspielhaus, ist der Tod mitten im Leben bzw. im wir-leben-noch des verletzten, todgeweihten Lebens, ein bedeutender Mitspieler. Und Mitspieler meint hier durchaus „Kausalität“, wirkende Ursache.

Bitte lesen Sie weiter auf Seite 3: Der Ort der Vorstellungen und Phantasien.

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