Die bunte Stadt am Harz.
So nannte sie einst Hermann Löns und dies zurecht. Bunt ist ihr Stadtbild, das auch deshalb heute so farbenfroh die vielen Touristen erscheint, weil ein Stadtkommandant für seine Stadt mit seinem Leben eintrat. Anfang April 1945 erhielt Oberst Gustav Petri als Stadtkommandant den Befehl, die Stadt gegen die anrückenden Einheiten der US-Armee zu verteidigen. Da er sich weigerte, diesen Befehl auszuführen, konnte die Stadt am 11. April bei nur geringem Widerstand besetzt werden. Petri wurde daraufhin am 12. April bei Drei Annen Hohne standrechtlich erschossen. Der Stadt blieben indes weitere Zerstörungen erspart.
Zuvor, im Jahr 1944, war die Stadt noch Gelegenheitsziel – Target of opportunity – , als während der sogenannten „Big Week“ am 22 Februar 1944 B-17-Bomber der USAAF die Stadt angriffen; man hätte es auch bleiben lassen können, dann wäre Oberst Petrie zumindest noch am Leben. Das gehört irgendwie mit zur Stadtgeschichte und zum Schicksal von Wernigerode, dass, obwohl sie über viele Jahrhunderte an einer wichtigen Wegstrecke zwischen den großen Städten im Norden Deutschlands und solchen im Osten lag, nichts wirklich in ihren starken Mauern verfing. Es wurde fleißig Handel getrieben, aber wichtige historische Ereignisse und Wandlungen wurden irgendwie dann doch nicht sesshaft – zur historischen Bedeutung von Wernigerode lesen Sie bitte hier…
Das lag vielleicht daran, dass Wernigerode – wir nennen sie die Grafenstadt – vielleicht als die Grafenstadt schlechthin gilt und ihr Name mit zahlreichen Grafen, angefangen vom Graf von Werningerode, eng verbunden ist.
1121 erstmals urkundlich erwähnt, lebten und regierten hier einige Vögte, meist adelige Beamte und Nachfahren des Grafen, denen hauptsächlich die Gerichtsbarkeit unterlag. Erstmals im Jahr 1213 wird die Burg Wernigerode als „castrum“ erwähnt. Am 17. April 1229 wurde der Siedlung das Stadtrecht nach dem Vorbild von Goslar verliehen, trotzdem aber wurden die Geschicke der Stadt stark von der Grafenfamilie durch das gesamte Mittelalter hindurch bestimmt. Es fehlen also die großen Anstrengungen aus dem Volk, aus den Ständen und Stadträten, die Feudalherrschaft einzuschränken.
Trotz Münz- (um 1200) und Stadtrecht (1229) blieb die Gerichtsbarkeit Wernigerodes in der Hand der Grafen, die jedoch seit 1324 Bürger als Stadtvögte und damit als Stadtrichter einsetzten. 1279 wird ein Rat der Stadt genannt, ein Bürgermeister erst 1388.
Das Schicksal von Werningerode als Grafenstadt wurde quasi biologisch bestimmt, als nach dem Aussterben der Grafen von Wernigerode in männlicher Linie durch den Tod des Grafen Heinrich 1429 Wernigerode Sitz der Grafen zu Stolberg wurde, die hier über Jahrhunderte die Oberherrschaft ausübten. So ging also der Feudalismus nahtlos über von einer in eine andere biologische Linie. Stände hatten hier nichts zu melden. Alles blieb beim alten.
Wernigerode stach nie, bis auf wenige rühmliche Ausnahmen aus der Geschichte heraus; das aber muss so sein, um in die Geschichte einzugehen, denn in den Geschichtsbüchern stehen die Ausnahmen, nicht die Regeln. Im Bauernkrieg 1525 z. B. wurden mehrere umliegende Klöster geplündert und teilweise zerstört, so insbesondere das Kloster Himmelpforten – auch Himmelpforte genannt – im heutigen Stadtteil Hasserode, von dem aber kaum noch etwas für Touristen übrig ist.
Etwa 20 Menschen wurden in Wernigerode in Hexenprozessen von 1521 bis 1608 zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Aber weder kann man aus heutiger Sicht davon sprechen, dass es in der Stadt eine eher milde oder besonders strenge Rechtsprechung im Vergleich etwa mit Bamberg gab.
Dort schlug die Geschichte der Hexenverfolgung besonders grausam zu. Seit der Zeit der Hexenverfolgungen wurden Angeklagten in den Hexenprozessen die Teilnahme an geheimen Hexenversammlungen beziehungsweise dem Hexensabbat, beispielsweise in der Walpurgisnacht, vorgeworfen.
Der Brocken wurde 1540 erstmals als ein solcher Treffpunkt und als einer der Hexentanzplätze bezeichnet. Da sich die Bezeichnung „Hexe“ erst im 16. Jahrhundert verbreitete, finden sich auch ältere, dem heutigen Verständnis von Hexen sehr ähnliche Beschreibungen über unterschiedliche Gestalten, die zum „Blocksberg fahren und dort ihre Versammlung haben“. So gilt der Brocken bereits in einem Gedicht um 1300 als Sammelplatz von „Geisterwesen“.
Zu den vielen Sagen trug vielleicht bei, dass auf dem Brockengipfel an über 300 Tagen im Jahr Nebel auftritt. Dadurch sind seltene optische Effekte wie Halos und vor allem das sogenannte Brockengespenst zu beobachten, welches den Wanderern Schrecken einjagt. Beschrieben wurde dieses Phänomen unter anderem von Johann Wolfgang von Goethe, der dreimal den Brocken bestieg. Goethe verarbeitete in seinem Gedicht Harzreise im Winter die Erlebnisse seiner Besteigung. In seinem literarischen Werk Faust I ist der Brocken Handlungsort der Szene Walpurgisnacht. Am Treppenaufgang des Brockengebäudes ist hieraus folgendes Zitat eingemeißelt, welches auch auf vielen Postkarten zu finden ist:
Die Hexen zu dem Brocken ziehn,
Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün.
Dort sammelt sich der große Hauf,
Herr Urian sitzt oben auf.
Dass die Intelligenzbrocken der DDR sich bei Goethe bedienten und eine der beiden Abhörstationen “ Urian“ nannten, die zweite wurde unter dem Decknamen „Jenissej“ geführt, legt unmissverständlich Zeugnis ab von deren zutiefst profanen Denkvermögen.