Sylt. Ursprünglich bis mondän

The Air That I Brease

Die Schöne mit den vielen Gesichtern.

Deutschland - Schleswig-Holstein - Sylt

Deutschland - Schleswig-Holstein - SyltDeutschland - Schleswig-Holstein - SyltSpricht man über Sylt, dann fällt einem unweigerlich Picasso ein und dessen Stil, Portraits von Frauen zu malen. Seine Frauenportraits sind nicht selten wie durch einen zerbrochenen Spiegel betrachtet, durch Spiegelscherben gemalt und zeigen oft mehr als nur ein Gesicht, eher viele Gesichter. So erscheint auch die  größte der nordfriesischen Inseln mitunter und jeder versteht, was gemeint ist, kommt er im gleichen Jahr im Sommer und im Winter nach Sylt. Im Sommer protzt sie regelrecht mit einem vierzig Kilometer langen Weststrand voller Leben, Aktivitäten sportlicher und sonstiger Art, früher mit Nudismus und Hedonismus vor und hinter den Dünen.

Sylt kann gar nicht nur ein Gesicht pflegen. Dazu fehlen die Voraussetzungen. Zur Ostseite liegt das Wattenmeer, das zum Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer gehört und bei Niedrigwasser weitgehend trocken fällt; und das alle sechs Stunden im Wechsel, also zweimal am Tag. Die Form der Insel ist fortgesetzten heftigen Veränderungen unterworfen. Wegen ihrer exponierten Lage in der Nordsee kommt es zu kontinuierlichen Landverlusten bei Sturmfluten, aber selbst normale Jahre, selten in heutigen Zeiten, formen Sylt kontiunierlich weiter. Sylt hat daher viele Gesichter, aber nicht nur die, die durch diese ständigen Veränderungen sichtbar werden.

Sylt ist Stimmung. Jeder Sylt-Besucher, der nicht ganz entfremdet ist von der Natur, liebt an dieser Insel die vielfältigen Stimmung, die im Wechsel von Jahres- und Tageszeiten in besonderer Intensität hier auftreten. Und da der Mensch nun mal in einem positiven Sinne gesprochen abhängig ist von Stimmungen, darf Sylt als ein Großorchester der Natur bezeichnet werden, welches die Besucher wie in einem Konzert auf eine Reise unterschiedlichster Stimmungen mitnimmt.

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Deutschland - Schleswig-Holstein - SyltDeutschland - Schleswig-Holstein - SyltIm Sommer werden die Stimmungen auf der Insel natürlich weitgehend vom Geschäft und Trubel des Tourismus bestimmt. Aktivität ist alles, von sportlichen Aktivitäten bis zum ostentativen sich selbst zur-Schau-stellen. Man kruist im weißlackierten Bentley-Cabriolet oder sitzt plakativ beim Gosch.

Man surft, balanciert die Wellen und den Wind, segelt und tuckert die Küstenlinie entlang, wo Beach-Volleyball von Damen und Herren champions-like präsentiert und Rundum-Bräune im Strandkorb, den Weinkühler vor Augen zelebriert wird.

Im Winter, das ist auf Sylt jene kurze Zeit zwischen Ab- und Anreise großer Schwärme von Touristen, wenn große Schwärme von Vögeln auf ihrem Flug in den Süden hier haltmachen, wenn Strand und Dünen keine Bikinis, sondern Sturmhauben diskret verbergen, dann beginnt die ganz große Stimmung der Insel; die Ruhe und das Licht.

Das vieltausendfache, ausgelassenen Schreien der Vogelschwärme stört sie nicht, im Gegenteil. Es gehört zur Insel wie das sanfte Rauschen der Gräser und Heidebüsche bei starkem Winde, wenn die Wolken im Sturm vorüberfliegen und die Lichtstimmungen im Stundentakt sich ändern; das ist Sylt. Dann kehrt man ein in eine vom Wind geschützte Stube, trinkt den Tee nach friesischer Art und genießt das Prickeln auf der Haut, bis das Gesicht sich entspannt und wieder warm anfühlt.

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Deutschland - Schleswig-Holstein - SyltDeutschland - Schleswig-Holstein - SyltSylt hat 17.713 Einwohner (Stand 2014). Davon lebt annähernd die Hälfte in Westerland. In diesen Zahlen sind die Zweitwohnungsbesitzer nicht enthalten.
Im Jahr 2003 zählte die Insel noch über 20.000 Einwohner und man fragt sich unwillkürlich, warum auf einer so sehr besuchten Insel die Einwohnerzahl sinkt und nicht steigt?
Denn Sylt zählt über 60.000 Gästebetten und im Jahr 870.000 Gäste mit 6,51 Millionen Übernachtungen.
Im Sommer befinden sich täglich rund 150.000 Menschen auf der Insel, also kommen fast zehn auf jeden Einwohner.

Sylt hat ein Ausmaß an Gentrifizierung erreicht, was besorgniserregend ist und einmal mehr zeigt, daß Tourismus – auch der sog. qualitative Tourismus – jenseits jeder Vernunft sich bewegt.

Er bewegt sich seit Jahrzehnten wie eine Caravane im wahrsten Sinne des Wortes, die einzieht und irgendwann wieder wegzieht, allen voran zuerst die großen, dann irgendwann die mittelgroßen und schließlich die kleinen Gefährte; erst kommen Daimler und Rolls Royce, am Ende Caran mit Vorzelt und Selbstversorgung.

Sylt zog den Reichtum an wie das Licht die Fliegen. Kamen am Anfang Industrielle und Wirtschaftsmagnaten und kauften die Häuser in Keitum, bedeckten sie mit schönen Reetdächern und pflegten Grundstücke und Wege zwischen den großen Parzellen, feierten regelmäßig große teils frivole Feste unter geladenen Gästen, so folgten denen rasch die neureichen Follower aus Medien und Dienstleistungsgewerben.

Ihnen folgten Schönheitschirurgen, Maniküre und Pediküre, Hair Stylisten und Szene-Köche, Immobilien- und Bentleyverkäufer, Modedesigner und -läden, die ganze Infrastruktur des Reichtums und Wohlstands, der immer blinder aufstrebenden Bundesrepublik zum Wirtschaftwunder und dessen Wunderkinder.

Deutschland - Schleswig-Holstein - Sylt2014 waren nur noch knapp 14 Prozent der Einwohner mit Hauptwohnsitz Sylt unter 20 Jahre alt und im gleichen Jahr wurde die Geburtsstation des Krankenhauses geschlossen.  Es folgten Ärzte und Versicherungsvertreter, so sie sich nicht ins Inselleben im Wohlstand einkaufen konnten, geblieben ist nichts, was nicht direkt in wirtschaftlichen Verbindungen mit dem Tourismus steht. Das Leben auf der Insel ist ausgestorben, ist einer bedingungslosen Monkultur des schönen Scheins zum Opfer gefallen. So prozediert der Nihilismus des Wohlstandes zur kulturellen und sozialen Armut stets im Gefolge einer materiellen Hybris und eines banalen Hedonismus, der aus den Zeiten der High Society der fünfziger und sechziger Jahre noch herüberwirkt. Das carpe diem der einst so wunderschönen nordfriesischen Insel ist längst schon eingeläutet, die Zeichen von  Vergänglichkeit und Nichtigkeit alles Irdischen, Vanitas und Dekadenz sind ubiquitär anzuschauen. Und alsbald wird Norderney diesem Schicksal wohl folgen; sehr schade.

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