Die City of London

Im Wechsel der Geschichte

Von den Fuggern zur Bank of England.

City of London - Großbritannien

© Hilarmont (Kempten) (CC 3.0)

Begonnen hat alles damit, dass Hanse und Fugger einander zuwuchsen. Die Augsburger Bankiers finanzierten die Entwicklung der Hanse wie den Warenverkehr im engeren Sinne. Und sie standen nicht als Person oder Unternehmer selbst im Kontext der Handelsgeschäfte der Hanse, sondern scheinbar unverbunden damit als deren Finanziers auf einer eigenen Geschäftsebene; sie waren gewissermaßen Geldmittler und Clearing House in einem.
Eine direkte Verbindung von Bankiers und kaiserlicher Macht, die gerne und allerorts heute behauptet wird, gab es damals nicht. Der Übergang in die Neuzeit war noch nicht vollzogen, dazu bedurfte es noch Jahrhunderte. Die Blüte der Hanse und von Venedig, die durch Handel und Geldwirtschaft, neben dem Handwerk, Wissensarbeit, Verwaltung und Kultur ihre produktivsten Kräfte entfalten konnten, wären ohne Bankiers also nicht möglich gewesen – der sog. militärische Komplex wird hier vorübergehend vernachlässigt.

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30 St Mary Axe, EC3, ‚The Gherkin‘ by Robin Webster

Die Geldwirtschaft der damaligen Zeit berechtigt nicht, von einer frühkapialistischen Form zu sprechen. Das verwechselt Vermögen mit Kapital als im wirtschaftlichen Prozess wirkende Produktivkraft und übersieht, dass erst mit der Liquidierung von Vermögen diese Kapitalform historisch möglich wurde. Wir sind also noch weit entfernt von den Anfängen kapitalistischer Geldwirtschaft, gleichwohl wir bereits Gläubiger-Schuldner-Kontrakte in Form von Wechseln erkennen.
Glaubwürdigkeit und Vertrauen erfordern eine, von Personen und Unternehmen unterschiedene Form. Eine Form, die als eigenständige, wirtschaftliche Praxis realisiert wird.

Banken haben zu Fuggers Zeiten diese auf Glaubwürdigkeit basierende Wirtschaftsform erstmals erfunden, als Geschäftsmodell. Nur ein Geschäftsmodell, welches Glaubwürdigkeit zu einem transpersonalen Prinzip erhebt und selbst nicht als ein Unternehmen direkt an den Handelsprozessen beteiligt ist, kann Glaubwürdigkeit in seinen Interessen garantieren. Also ist Glaubwürdigkeit als Geschäftsmodell, nach dem sich alle Handlungen der am Geschäftsmodell und seiner Umsetzung Beteiligten richten müssen, für einzelne Händler, Handelsunternehmer und direkt wie indirekt daran Beteiligter garantiert.

Es wäre zu einfach, jetzt davon zu sprechen, dass die Fugger durch den Verzicht auf direkte Beteiligung am Handel quasi als eine Art Entschädigung die Geldgeschäfte übernehmen durften; diese Art der Beschreibung erklärt wenig und ist obendrein Unfug. Als Bankiers verdienten die Fugger an jedem Handelsgeschäft und ebenso evident war ihr Vorteil, dass sie natürlich auch an allen Geldgeschäften außerhalb der Handelsgeschäfte, die die vermögenden Händler und eine zunehmende Zahl an gut situierten bis vermögenden Bürgern vor allem in den aufstrebenden Städten und Handelszentren tätigten. Ein Vielfaches an Geschäftstätigkeiten war also mit diesem Geschäftsmodell verbunden, war es glaubwürdig, also im Dienste der Sache selbst und im umgekehrten Fall sogar (selbst-) schädlich für eine Bank.

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„Photo by DAVID ILIFF. License: CC BY-SA 3.0“

Mit jedem Geschäftsvorfall, den die Fugger als Bankiers tätigten, bewies sich ihr Geschäftsmodell nicht nur als glaubwürdig, sondern ihre Entscheidungen auch für den einzelnen Geschäftspartner bzw. einzelnen Bankkunden als nachvollziehbar und somit vertrauenswürdig. Die Bank stand nicht gegen die Bedürfnisse ihrer Kunden, sondern als Vermittler zwischen den Geschäften, die Kunden mit Kunden und Kunden mit sich selbst, also als Privatkunden tätigten. Von einer Allianz der damaligen Banken und dem Staat konnte keine Rede sein, sah das Geschäftsmodell diese Form der ‚Beteiligung‘ ja auch gar nicht vor. Aktien bzw. Anleihen auf die Betriebsvermögen der Fugger und andere Banker waren noch lange nicht emittiert, Börsenplätze unbekannt.

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43 Bartholomew Court by Andrew Abbott

Neue Quellen der Staatsausgaben

Dort, wo mit einmal eine Geldwirtschaft blüht, sind die Egoismen der Macht nicht weit. England war im 17. Jhd. eine rasant aufstrebende Kolonialmacht und nur zu gerne bereit, das Erbe der Fugger und der Bankiers der ersten Stunden fortzuführen. Als oberster Repräsentant des Staates England war König Karl (Charles) I. genau so glaubwürdig in Sachen Geld wie die früheren Bankiers, so meinten seine vermögenden Untertanen; aber da hatten sich die wirtschaftlich erfolgreichen Bürger und Händler jener Zeit schwer geirrt. Sie wähnten ihre Vermögen nirgendwo sicherer als im Londoner Tower, über den der König und die Kolonialmacht England wachten.

Damit war es vorbei im Jahr 1640 n. Chr. Charles brauchte dringend Geld für seinen Krieg gegen Schottland. Als die Schlacht geschlagen und die Söldner bezahlt waren die Vermögen perdu, so auch das einstige Vertrauen in Tower, Staat und König. Was dann noch übrig war von all‘ dem schönen Gold, landete gegen eine kleine Depotgebühr bei den ansässigen Goldschmiedebetrieben zur Aufbewahrung. Das Gold wurde quittiert und damit waren die Goldsmith-Notes und, wie der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger trefflich notierte: das „Geld aus dem Nichts“ erfunden.

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Adrian Pingstone in der Wikipedia auf Englisch als gemeinfrei veröffentlicht

Gut zu wissen, dass der Staat, wenn er einmal seine Finger am Geldvermögen seiner Untertanen hatte, dies gilt auch für Bürger in demokratischen Verfassungen, dies in einer Skrupellosigkeit tut und stets bereit ist, zu wiederholen, natürlich zum Wohle aller, die ihresgleichen suchte und sucht. Was sollen dann auch die Londoner Goldschmiede tun, als weiter Papier zu bedrucken. Papier, auf dem nun die Kreditsumme als eine Zahl steht, und damit hat es sich. Aus den Goldsmith-Notes wurde das neue Geld, dem kein Gold mehr als ‚Sicherheit‘ hinterlegt war und wenn schon, hatte doch der König selbst der Evidenz Vorschub geleistet, dass die wahren Langfinger in Buckingham Palace oder auf sonstigen Regierungsbänken sitzen.

So notiert Binswanger weiter, dass „der Ursprung der modernen Geldwirtschaft“ genau hier in London gefeiert werden sollte wie die Londoner Goldschmiede als die „großen Innovatoren der Menschheit“. Damals stiegen keine Feuerwerke auf in den Himmel zur Feier dieses weltbewegenden Anfangs einer bis heute andauernden Innovation, deren technische Erfordernis gering, deren Bedeutung um so größer war.

Auch heute findet sich kein Anlaß, die Feier nachzuholen oder die ‚Rettung des Euros‘ zu feiern, oder gar die Währung von Griechenland. Damals wie heute haftet am Papiergeld der strenge Geruch des Betrugs. Damals begann seine Geschichte mit einem immensen Betrug an den Bürgern und Händlern des von Gottes Gnaden eingesetzten Machtinhabers und des Staates als dessen willfährigen Erfüllungsgehilfen. Und auf dem Raub folgte eine umfassende Verschleierung und Manipulation, die bis heute das große Misstrauen der Bürger gegenüber Banken in enger staatlicher Beziehung wie dies mittlerweile besonders bei Notenbanken der Fall ist, fest begründet.

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Mehr als eine Vorstellung von der britischen Idee einer neokolonialen politischen Ökonomie bekommt man leicht durch einen Blick auf die City of London (1). Politisch und formal betrachtet ist die City of London über die City of London Corporation eine eigenständige Rechtseinheit. Ähnlich wie der Status zwischen Irland und der EU in fiskalischen Angelegenheiten ist die City of London weitgehend politisch eigenständig gegenüber London resp. Großbritannien in allen Angelegenheiten ihrer eigenen politischen Ökonomie. Darin entscheiden nicht wie in einer freiheitlichen Demokratie alle Bürger einer politischen Entität qua Mehrheit der Stimmen, sondern in der City of London entscheiden letztlich Unternehmen und rechtliche Körperschaften mit Mehrheit über ökonomische, hier vor allem Angelegenheiten auf den internationalen Finanzmärkten (2).

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MykReeve (GNU)

City of London - GroßbritannienCity of London - GroßbritannienDieses englische Modell der City of London beinhaltet in der Tradition einiger, seit dem Mittelalter bestehenden Auffassungen, etwa über die Bank of England, weitreichende Befugnisse in der Form einer innerstaatlich autonomen Selbstverwaltung. Diese Befugnisse definieren z. B. die Unabhängigkeit der City of London Police wie auch die Steuerfreit vom Vereinigten Königreich.
Allein die polizeiliche wie die rechtliche Autonomie der City of London in allen Börsenangelegenheit hat diesen kleinen Teil Greater Londons, The City oder auch Square Mile genannten Finanzplatz zu einem der größten der Welt gemacht, der fast alle Kapitalströme der EU wie der Euro-Staaten lenkt und kontrolliert.

Die City of London regiert einen der größten Finanzmärkte der Welt. Im Gewand einer zeremoniellen englischen Grafschaft und im dunklen Herzen der britischen Demokratie, die bereits bei ihrer Geburt, was Geld- und Finanzwirtschaft anging, mausetod war, prosperieren avec elan vital der gigantischen, weltweiten Finanzströme die reichsten Banken weltweit, wie die 1811 gegründete weltgrößte Privatbank N.M. Rothschild & Sons mit der Adresse New Court, St. Swithin’s Lane; die 1694 gegründete, 1946 verstaatlichte und seit 1998 wieder im privaten Eigentum stehende Zentralbank „Bank of England“ (BoE) in der Threadneedle Street; die Londoner Aktienbörse – seit 2004 am Paternoster Square unweit der St. Paul’s Cathedral, aber auch unzählige andere, auch ausländische Banken, Investmentgesellschaften, Versicherungen und internationale Handelskonzerne haben hier eine Adresse.

Sie alle und einige dunkle Adressen mehr bilden mit Englands mächtigsten Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen, die sich hier in der City befinden, neben der Wall Street das Zentrum des globalen Geld- und Finanzwesen. Selbst bis zum Brexit hinderte keine EU-Mitgliedschaft die Bank of England und die City an ihren Geschäften auf der historischen Grundlage eigener Gesetze, die bis ins Jahr 1694 zurückreichen.

Grund für den besonderen, politischen Status der City sind die von der Krone, heute die Selbstverwaltung der City, über die Jahrhunderte verliehenen Privilegien, die seit dem frühen Mittelalter und dem im Jahr 886 verliehenen Recht zur Selbstverwaltung weder aufgehoben noch jemals grundlegend revidiert worden sind. Die City of London ist wie der Vatikan in Italien ein exterritoriales Gebiet und wird nicht zu Unrecht der „Vatikan des Kapitals und der Finanzwirtschaft“ genannt.

Die kleine Quadratmeile in Greater London begann ihren sagenhaften Aufstieg mit der Gründung der privaten Bank of England im Jahr 1694. Das „Grundkapital“ der BoE war letztlich nicht der Kredit über die damals gigantische Summe von 1.2 Mio. Pfund für einen Krieg gegen Frankreich, sondern das Privileg der Bank, Banknoten als nationale Papierwährung in Umlauf zu bringen. Und die Tatsache, dass damit eine Ewigkeitsbeleihung des britischen Volkes verbunden war, also die Herausgabe einer Staatsanleihe mit einer jährlichen Verzinsung von sagenhaften 8% über eine nicht genannte Laufzeit. Damit die BoE nicht pleite gehen konnte, gestattete man ihr ab diesem Zeitpunkt, Papiergeld zu drucken und Wechsel auf die Zukunft auszustellen.

Wenn Marx im Kapital von der Kernproblematik des Kapitalismus, der Akkumulation von Kapital spricht, hier in der City of London fand sie über fünf Jahrhunderte hinweg statt. Und das britische Modell setzt alles daran, dass dies auch so bleibt; warum denn nicht, war es doch für England das schlagende Herz des Empire wie Kohle und Stahl für das Ruhrgebiet und die Bundesrepublik Deutschland.

Was Marx wenig bis gar nicht betrachtete, war, dass die enorme Kapitalakkumulation über die Jahrhunderte hinweg stets gestützt wurde durch den vom Vereinigten Königreich getrennten Steuerstatus der City. Steuerfreiheit meint ja zunächst einmal nichts anderes, dass Erlöse aus Geschäften nicht mit anderen Institutionen und Machtbereichen geteilt werden müssen. Steuerfreiheit heißt mitnichten keine Steuern. Aber im Grundsatz der Steuerfreiheit steckt, dass die Verwendung von Erlösen aus menschlicher Arbeit und wirtschaftlicher Tätigkeit allein in den rechtlichen Ermessensraum fällt, den Arbeit und Kapital sich wie in der City selbst geben.

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„Photo by DAVID ILIFF. License: CC BY-SA 3.0“

Nur so ist die gigantische Kapitalakkumulation möglich, nur so kann eine Geld- und Finanzwirtschaft ungehindert aufblühen. Warum, so bleibt an dieser Stelle die Frage, haben dann die damalige Regierung und die bis heute folgenden auf den inneren Kern ihres Machtanspruches, auf die Steuerhoheit im ganzen britischen Rechtsgebiet verzichtet und der kleinen Enklave dieses Hoheitsrecht eingeräumt und Jahrhunderte lang dort belassen?

Die Besonderheit des englischen Modells liegt in diesem Punkt an der Beziehung zwischen britischer Regierung und der „Krone“, jener „Regierung“ des exterritorialen „Staates“, die gebildet wurde (und wird) durch einen Ausschuss von 12-14 Männern, an deren Spitze der „Lord Mayor of London“ steht und der wiederum von den 108 Händlervereinigungen für jeweils ein Jahr gewählt wird und heute hauptsächlich Repräsentationsaufgaben wahrnimmt.

Historisch betrachtet war die britische Regierung stets dem Ausschuss der Krone, die also nichts mit dem englischen Herrscherhaus, sondern alles mit der Selbstverwaltung der City zu tun hat, unterstellt.

Das erlaubte der Krone resp. dem Ausschuss der City of London, die britischen Steuerzahler für die Marine und die Militärkräfte aufkommen zu lassen, mit deren Hilfe die Oberherrschaft der Krone in den Gebieten ihres Einflussbereiches, hauptsächlich also den, nach der Verwaltungseinheit der City genannten „Kronkolonien“ aufrechterhalten wurde. Sämtliche Aufstände und das waren zahlreiche, wurden überwiegend von der britischen Marine mit brutaler Gewalt niedergeschlagen, ohne dass es die Krone einen Pfennig kostete. Selbst die Kosten für den Aufbau der größten Seemacht der Welt, die hinausfuhr, um Englands Kolonialreich zu beherrschen, das bis auf die kolonialen Besitztümer mit weißer Bevölkerung zu Vierfünftel der City unterstanden, durften die englischen bzw. die britischen Steuerzahler finanzieren. Das war also die dritte Säule der Kapitalakkumulation, die militärische Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs des Finanzkapitals der City bis zu den heute neuen Gebieten der Canary Wharf.

Bitte lesen Sie weiter auf Seite 2: Die City of London – Splendid Isolation

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