Boote - Seite 2

Torsten Paul

Torsten Paul - BooteTorsten Paul - BooteDenn Boote bauen war und ist, wo noch nach alter Tradition ausgeführt, ein Werk bedingungslosen Vertrauens in die Konstruktion und die Ausführung eines Bootes durch den Meister. Fischer vertrauen sich dem Boot, mit dem sie Nacht für Nacht hinaus fahren auf das Meer, bedingungslos an. Wer einmal nur nachts auf den schwankenden Planken eines Fischerbootes im Dunkeln sich Boot und Meer anvertraut hat, weiß, wie dünn, wie zerbrechlich die Nahtstelle zwischen Mensch und Natur sein kann, zwischen dem Dasein des Menschen und der Welt, innerhalb er überlebt, und wie sehr man diesem Handwerk vertrauen können muss, dass die Verbindungen halten und dicht sind, die Befestigungen dem Druck widerstehen, Taue, Seile, jedes noch so kleinste Detail wichtig, lebenswichtig ist.

Und trotzdem sind viele Menschen auf dem Meer geblieben, haben Schmerz, Leid, Trauer, ja sogar Armut und Tod nach Hause geschickt. Aber nie hat man das Handwerk dafür gescholten, wo es keinen Grund dafür gab. Das Meer ist nicht der Feind des Menschen. Das Meer nimmt keine Leben. Der Bootsbau war nie schlampiges Handwerk, sondern stets getragen von großer Achtsamkeit vor dem Meer. Mit achtsamer Sorgfalt, damit begegneten die Bootsbaumeister den Herausforderungen, die das Meer an die Menschen stellt, wollen diese dort quasi auf fremden ‚Terrain‘ ihr Leben sichern.

Die Beziehung zwischen Mensch und Meer könnte man aus der Sicht des Bootsbaumeisters auch mit einem ‚Kunstwort‘ bezeichnen: Hyperrealismus, das zugleich auch eine Stilextreme der Boote von Torsten Paul markiert. Hyperrealismus, wenn man denn so will, treibt das Handwerk des Bootsbauers wie das des Malers, detailgetreue Anverwandlung an die Aufgabe. Wer hier Selbstaufgabe vermutet, liegt nicht falsch, kommt es doch mehr auf die angemessene Lösung der Aufgabe an, als auf eigenes, subjektives Zutun.

So benutzt Paul auch die Farbe bzw. das Farbspektrum in seinen Booten; durchaus neutral, allein der Darstellung der Oberflächenbeschaffenheit und Stofflichkeit der dargestellten Objekte bis ins Detail anvertraut. Licht und Schatten spielen dabei keine Rolle, soll der Gegenstand ja so dargestellt werden, wie er ist, wie wir sie kennen und Boote eben ihrem Wesen nach sind. Und da die Boote nicht „auf See“ operieren, da sie offensichtlich an Land ausgemustert liegen, ist auch der hyperreale Eindruck von Stilleben, fast schon von einer portraithaften Darstellung der Boote naheliegend.

DTorsten Paul - BooteTorsten Paul - Booteas andere Stilextrem markiert eine fast schon abstrakte, nicht-figurative Malweise, die ein wenig an den Einsatz von Symbolfarben, wie wir sie aus dem Impressionismus kennen grenzt. Farbe stellt dabei aber bei Paul den Prozess der Verwitterung, der Veränderung des Materials, hier natürlich hauptsächlich Holz, Metall und die Farbe, den Farbanstrich der Boote selbst dar. Spuren der Verwitterung werden bei Booten mit der Zeit drastisch. Salzwasser, abwechselnd mit Sonneneinstrahlung, Regen, Kälte, Temperaturunterschiede von Tag und Nacht, aber auch die Gebrauchsspuren, die eine lange Zeit der Arbeit eines Fischers auf dem Meer am Bootskörper hinterlassen haben, kontrastieren mit der immer noch sichtbaren Schönheit der Linienführungen der Bootskonstruktion.

Boote sind für Torsten Paul so etwas wie eine hyperrealistische Kosmodizee, eine miniaturisierte Weltordnung, die, wie Nietzsche in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ bzw. sein Freund Rohde unter dem Eindruck der Lektüre der „Geburt der Tragödie“ einst formulierte „nur als aesthetisches Phänomen“ „ewig gerechtfertigt“ sei. Boote sind „jenseits von Gut und Böse“, sie stehen und standen nie in einem marktwirtschaftlichen Verwertungszusammenhang, schon gar im industriellen Maßstab. Mit Booten wurden Welten entdeckt, also standen sie auch am Anfang von Eroberung; sie waren aber per se keine Instrumente von Macht und Herrschaft im ursächlichen Sinne.

Von heute her gesehen beanspruchen Boote und die damit verbundenen und ermöglichten Formen der Arbeit, der Lebenserhaltung, der kulturellen und zivilisatorischen Entwicklung, also einer Einheit von Dasein und Welt den Status einer „transzendenten Sachlichkeit“, den wir durchaus bewusst auch mit Max Beckmanns „künstlerischer Sachlichkeit“ in Beziehung stehend sehen. Hier wie da geht es um die Überwindung der Trennung von Dasein und Welt bis an den Punkt, wo Arbeit und Kunst sich nicht mehr wie feindliche Truppen gegenüber stehen.

Beckmanns künstlerisches Programm der „transzendenten Sachlichkeit“ zielt auf eine moderne Malerei, die weder allein zur transzendenten Kunst der Abstraktion, noch zur Affirmation der klassischen Tradition greift. Beides unterstreicht Paul in seiner Serie: Boote. Kunst muss wie der moderne Mensch den Verlust aushalten, aber keineswegs Verlorengegangenes verleugnen oder romantisch verklärend verdrängen. Kunst kann mit den Mitteln der abendländischen Tradition auf ein schier unerschöpfliches Reservoir an Erinnerungen zurückgreifen, die den Verlust als solchen in unsere Zeit mit nimmt und gegen das Vergessen anmalt.

Das macht das Besondere der Serie: Boote von Torsten Paul aus.
Einerseits das handwerkliche, das gekonnte Bei-der-Sache-Sein, das wie in jeder Form von Malerei Distanz schafft zu dem, was Gegenstand der Darstellung ist, indem es etwas, hier Boote, in etwas anderem, der Malerei sehen lässt, und andererseits auch das ist, was darüber hinausgeht und uns wieder anspricht, fast Vergessenes wieder wissen, erinnern lässt, also, um mit der antiken, griechischen Philosophie zu enden, zu etwas „Unverborgenen“, zur „Aleteia“, zur Wahrheit wird.

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