Hamburg St. Pauli - Seite 2

Vom Fernweh und der Sehnsucht nach zuhause

Hamburg - St. PauliHamburg - St. PauliHamburg - St. Pauli

Fernweh und Sehnsucht der Seeleute.

Man sieht, der Berg birgt viel an Geschichte und lässt eine Festlegung in jegweder Art von Bedeutung nicht zu. Das liegt wahrscheinlich daran, dass der Berg und St. Pauli zum Inbegriff zweier Mythen der deutschen Seele geworden ist, dem Fernweh und der Sehnsucht. Fernweh und Sehnsucht sind keine Krankheiten wie dies das Grimmsche Wörterbuch den Deutschen einreden mochte, sie sind die äußerste Spannkraft der deutschen Seele, ein ewiges Hin-und-Her, die an Schizophrenie grenzende romantische Zerrissenheit, die von der Sehnsucht nach der Welt lebt und sich nach der Heimat verzehrt, was der Extremalpinist Reinhold Messner für sich in das schöne Wort: „Heimatsehnsuchtsverräter“ komponiert hat.

Wollte man mehr wissen über die Seele, aus der Fernweh und Sehnsucht entspringen und Mythen en masse erzeugt, dann wäre der große Dichter der Seefahrt Joseph Conrad, vor allem in seinem Roman: Die Schattenlinie zu befragen; aber wer tut das? Es bleibt wiedersprüchlich in der deutschen Seele, sie erfährt das Fernweh und die Sehnsucht von ausgewiesenen Landratten. Von dem Schmerz, wenn die Seele ihre Flügel ausbreitet, erfahren die Deutschen von der armen Mignon, die Goethe singen lässt: „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide! Allein und abgetrennt / Von aller Freude / Seh ich ans Firmament / Nach jener Seite. / Ach! der mich liebt und kennt, / Ist in der Weite.

Die Sehnsucht der Deutschen ist gewissermaßen ihr Brennglas eines weltumfassenden Schmerzes, in dem die Geliebte wie die Heimat als Lied und Gedicht erscheinen und kaum streckt der Seemann seine Beine aus am heimischen Herd, drängt es ihn wieder hinaus: Lieb und Leid im leichten Leben, / Sich erheben, abwärts schweben, / Alles will das Herz umfangen, / Nur verlangen, nie erlangen… Man hört durch die Worte von Clemens Brentano die sehnsüchtigen Klagen und den Schmerz der Helden und Heldinnen aus Wagners großen Opern, dem Tristan und der Götterdämmerung.

Hamburg - St. Pauli

Hamburg - St. PauliHamburg - St. PauliDavon, von der romantischen Sellen im Aufbruch sang auch der „große Blonde“, dessen Erahrung auf See sich mit ein paar Schifftouren auf dem Starnberger begnügten: Nimm uns mit Kapitän, auf die Reise! / Nimm uns mit mit in die weite, weite Welt! Und es muss auch nicht die große Fahrt gewesen sein, es reicht, als als Sohn des Schlachtermeisters Philipp Albers, genannt „Schöner Wilhelm“, und dessen Frau Johanna Dorothea Rathjen in der Langen Reihe 71 in Hamburg-St. Georg, also nich St. Pauli als jüngstes von sechs Kindern geboren zu sein, um nicht zu wissen, was am Ende jeder Seefahrt unwillkürlich aufkommt: „Nimm mich mit, Kapitän, aus der Ferne! / …/ In der Heimat, da glüh’n meine Sterne, /…/ Nimm mich mit, Kapitän, nach Haus!

So schwankt wie auf öligen Schiffsplanken die deutsche Seele zwischen Heimat- und Sehnsuchtsverrat, zwischen rastloser Ruhe und ruheloser Rast, stets in Gefahr von Bord gespült zu werden und im Meer ihres In-der-Welt-seins zwischen Heimat und fremden Gefilden zu ertrinken.

Ein anderer berühmter von St. Pauli, Freddy Quinn, von dem nur eins sicher ist, dass er nicht in Hamburg geboren wurde, dessen Geburtsort nicht zweifelsfrei feststeht und mal in Wien oder in Niederfladnitz in Niederösterreich sowie in Pula in Istrien vermutet wird – man könnte auch sagen, Freddy ist irgendwo auf See zur Welt gekommen – hat wie kein anderer diese deutsche Seele besungen. Quinns melancholische Lieder, die meist vom Meer, der weiten Welt und von Abschied, Einsamkeit und Fernweh singen mit Titeln wie – Heimweh, Heimatlos, Der Legionär, Die Gitarre und das Meer, Unter fremden Sternen, La Paloma und Junge, komm bald wieder – wurde zum Synonym für die romantischen Nachkriegssehnsüchte der Deutschen.

Hamburg - St. PauliHamburg - St. PauliQuinn, ein Metropolitan eher denn ein Matrose, einer, der in der New Yorker Carnegie Hall ebenso beheimatet war wie in der Hansestadt, der sieben Sprachen gesprochn und in zwölf gesungen hat und dessen Verbundenheit mit der Hafenstadt in seinem Titel: Ehren-Schleusenwärter von Hamburg verbrieft ist, der, von dem nicht einmal sicher ist, wie er namentlich genannt werden sollte, als Franz Eugen Helmuth Manfred Nidl geboren, später Nidl-Petz und auch Manfred Quinn mal namentlich titulierte, verkörpert alles das, was St. Pauli ausmacht, den deutschen Schmelztiegel, in dem die Arbeit im Hafen, die Männer auf den Großen Fahrten und deren Sehnsucht einen Namen kamen.

St. Pauli ist und bleibt dieser Sehnsuchtsort, der Name für den Ort alter und moderner Mythen, die die deutsche Seele nach wie vor herbringt. Hier befindet sich heute ein bedeutendes Quartier aus schicken, hippen Eigentumswohnungen, wie auch Straßenzüge aus alten Zeiten, grenzen beide an eins der berühmtesten Vergnügungs- und Rotlichtviertel Europas, wenn nicht der Welt, jedenfalls das, was man hier mit „Kiez“ bezeichnet, in dem natürlich keine Sperrstunde gilt. Die Reeperbahn, der Spielbudenplatz und weitere Parallel- und Seitenstraßen wie die Herbertstraße und die Große Freiheit vermischen heute kleinbürgerliche Wohnstraßen mit Arbeitergegenden und Eigentums-Protz zu einem Milieu der Sehnsucht zwischen Geld und Muskelkraft und dort, wo Studenten und Künstler eingezogen sind atmet St. Pauli Vielfalt und Toleranz mit ein.

Inbegriff dessen ist das Gebiet des Karolinenviertels, welches sich deutlich vom übrigen Stadtteil abgegrenzt und seinen eigenen Kurs auf St. Pauli sucht. Durch die Aufgabe des Schlachthofgeländes – heute befindet sich dort nur noch der Fleischgroßmarkt – treiben Teile des Viertels in Richtung Schanzenviertel, Stadtteil Sternschanze, und wachsen mehr und mehr mit diesem „Viertel“ zusammen, wobei es Namen und Ort zugleich verliert.

Bitte lesen Sie weiter auf Seite 3: Aus der Traum?t

Über Rieder

Oberbayer

Zeige alle Beiträge von Rieder

Ihr Kommentar

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * markiert.