Jetzt bloß keinen Kitsch.
Capri, ohne Kitsch, das geht gar nicht. Also lassen wir ein Bilder sprechen, sind die doch schon Kitsch genug, ohne das sein zu wollen. Alles hier wird unweigerlich zum Kitsch, dabei existiert die Insel als bewohnt schon seit der Jungsteinzeit und hat wahrlich mehr zu erzählen von ihrer bewegten Geschichte als die sich unaufhörlich auf sie zu und zur Blauen Grotte sich danach hinbewegenden Touristenströme.
Kaiser Tiberius wählte im Jahr 26 Capri zu seinem Regierungssitz und verbrachte dort einen Großteil seiner letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod im Jahr 37 in der Villa Jovis, die über einem senkrecht abfallenden Felsen lag.
Die antiken Schriftsteller Sueton und Tacitus behaupten, der Kaiser habe sich nach Capri zurückgezogen, um in der Abgeschiedenheit einer seiner zwölf Villen besser seinen Lüsten frönen zu können (die von Sueton ausgiebig beschrieben werden). Neben der Villa Jovis gelten heute die Villa Damecuta und der sogenannte Palazzo al mare als Tiberianische Villen.
Unkonventionelles Lusterleben galt hier auf Capri immer schon als attraktive Möglichkeit, dem Leben an Land zu entfliehen. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Capri sogar zu einem Treffpunkt homosexueller Pädophilen und in der Folge zum Fluchtpunkt für Menschen, die alle bürgerlichen Konventionen hinter sich lassen wollten.
Im Jahr 1898 kam Enkel des Firmengründers, Friedrich Alfred Krupp, nach Capri und baute sich dort an einer recht exponierten Stelle die Villa Krupp. Man sagt, er hatte vermutlich schon ab März 1889 eine homoerotische Beziehung mit dem Bauernjungen Giovanni Sangiorgio (* 27. Dezember 1871), die anscheinen so intensiv war, dass er den jungen Capresen in den Familiensitz in Eseen, die Villa Hügel, einlud und ihn über viele Jahre hinweg finanziell unterstützte.
Als ihm in einem Presseskandal unterstellt wurde, er habe mit ihm in Höhlen auf Capri wilde, exzessive Orgien gefeiert, floh er nach Deutschland, wo er kurz darauf mit 48 Jahren starb.
Auch ein anderer, nur weniger bekannter Deutscher, Christian Wilhelm Allers, so sagt man, hatte Affären mit verschiedenen Knaben. Als die italienischen Behörden dahinterkamen und ihn festnehmen wollten, konnte er gerade noch fliehen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Capri beliebt als Winter- und Ferienquartier bei deutschen und anderen Künstlern, Schriftstellern und weiteren Berühmtheiten. Längere Zeit blieben neben den eben erwähnten Friedrich Alfred Krupp und Christian Wilhelm Allers, u. a. Rainer Maria Rilke, Maxim Gorki, Emil von Behring, Theodor Däubler, Curzio Malaparte, Norman Douglas und Axel Munthe auf der „Liebesinsel“. Ferdinand Gregorovius besuchte die Insel 1853 und blieb einen Monat. Darüber berichtete er in seinen „Wanderjahre in Italien“ ausführlich.
Die Maler Karl Wilhelm Diefenbach, Hans Paule und Otto Sohn-Rethel lebten bis zu ihrem Tod auf der Insel. Deutsche Besucher trafen sich damals oft im Hotel Pagano oder dem Lokal Zum Kater Hiddigeigei. 1899 errichteten sich die Deutschen sogar eine eigene Kirche, die bis heute existierende Deutsche Evangelische Kirche auf Capri. Auch ein eigener Friedhof wurde von den Mitgliedern der Fremdenkolonie angelegt: der bis heute existierende Cimitero acattolico, auf dem über 200 Menschen nichtkatholischer Konfessionen beigesetzt wurden.
Ein Jahr nach Krupp 1899 besuchte Alma Schindler, spätere Frau von Gustav Mahler, nach der ersten ihrer zahlreichen Affären mit Gustav Klimt, mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater Capri. Die Insel war in den 1920er Jahren auch ein beliebter Treffpunkt der Futuristen, die ihren Wortführer Filippo Tommaso Marinetti aufsuchten. Russische Exilierte waren zuerst die Revolutionäre, dann die Flüchtlinge nach der Revolution von 1905, welche in einer sehr eng zusammengefügten Emigrantenkolonie vertreten waren. Im Mittelpunkt dieser Gruppen stand während seiner Capri-Aufenthalte Maxim Gorki, der dort auch seinen Roman ‚Die Mutter‘ schrieb.
Der lettische Dichter und Maler Jānis Jaunsudrabiņš verarbeitete Eindrücke von der Insel in seinem 1939 erschienenen Roman Kapri. Claude Debussy widmete den Hügeln von Anacapri (Les collines d’Anacapri) eines seiner Préludes. Auch Francis Bacon weilte gern hier, und Oskar Kokoschka war mehrmals Gast von Monika Mann, die ab Ende 1954 in der Villa Monacone auf Capri lebte.
Sie alle sind gegangen, verweht in den sanften Winden des Tyrrhenischen Meeres, manche Geschichten vergessen wie die des Kaisers Commodus, der im Jahr 181 erst seine Schwester Lucilla und dann 192 auch seine Ehefrau Bruttia Crispina nach Capri verbannte. Die Villa Jovis wurde durch Grabungen des Österreichers Norbert Hadrawa ihrer Kostbarkeiten beraubt und die Objekte in alle Winde verstreut (berühmteste Stücke: der sogenannte „Capri-Altar“ heute im Britischen Museum in London und ein großer Mosaikfußboden im Museo di Capodimonte in Neapel). Heute ist die Villa Jovis trotzdem die wichtigste archäologische Sehenswürdigkeit auf Capri, nur die Geschichten erzählt niemand mehr, außer sie sind kitschig.