Jahresrückblick 2021 - Seite 2

Finissage – Die letzten Tage der Kunst

Ein NFT ist ein Begriff, den die Kunst seit kurzem aus der Welt der Digitalisierung übernommen hat und dort ein nicht ersetzbares (englisch non-fungible), digital geschütztes Objekt bezeichnet. In der Welt des Web 4.0 und der Kryptogelder (nicht Währungen, die gibt es noch nicht) bezeichnet NFT eine Technologie, die auf verketteten, dezentral gespeicherten Informationsblöcken beruht, den sogenannten Blockchains. Jeder dieser Blöcke enthält gewisse Daten über das Objekt sowie den eigenen Hashwert und den des vorherigen Blocks. Einen Hashwert kann man mit einem Fingerabdruck in digitaler Form vergleichen, er ist immer einzigartig und dient somit zur Identifizierung eines jeweiligen Blocks. Dies macht ihn im Gegensatz zu einem Fungible Token nicht austauschbar bzw. kopierbar. Hier findet die NFT-Technologie ihren Sinn, wenn man etwa im Zahlungsverkehr vermeiden will, dass Banken die Sicherung der Transaktionen übernehmen, sondern die Sicherung direkt in jeder Transaktion ohne Mittler wie Banken und Zahlungsdienstleister technologisch gleich mitübertragen wird; alles klar?
Jede Geldtransaktion z. B. kann aus verschiedenen Transaktionsstationen bestehen und die sollen alle sicher sein und anonym, das macht Sinn. Aber was ist der Sinn der NFTs in der Kunst?

Künstler wie Kunstkäufer, Journalisten und Kunsthändler, alle schauen wie gebannt auf die NFT-Technologie, die in der Kunst nichts weiteres ist als eine fälschungssichere Unterschrift, eine digitale Signatur. Nun ist aber gerade in der kleinen Gruppe der lebenden Großmeister der Malerei das geringste Problem die Werk-Provenienz, zumal man ja bei leisestem Verdacht auf eine Fälschung das Werkverzeichnis und den Künstler bei lebendigem Leibe befragen kann: Is it yours? Selbst bei computergenerierten Kunstwerken ließe sich die „Echtheit“, also der Rechner und der geniale Depp dahinter feststellen und befragen; was man am wenigsten braucht ist ein NFT als Echtheitszertifikat. Auch so ein Bild wie die Mona Lisa braucht keinen NFT, obwohl der Künstler Leonardo schon einige Zeit verstorben ist. So halten wir denn fest, jede Signatur unter einem Werk eines zeitgenössischen Künstlers ist mindestens so, wenn nicht gar fälschungssicherer als eine Krypto-Signatur, deren Fälschungssicherheiten man ja nur allzu gut kennt, wenn wieder einmal ein Krypto-Wallet um ein paar Millionen an Bitcoins erleichtert worden ist; soviel zur Sicherheit. Aber verdammt the hell warum dieser Hype dann jetzt?

Schauen wir kurz auf den Künstler Beeple, bekannt durch seine digitalen Kunstwerke. Der nutzte als einer der ersten NFTs als Echtheitszertifikate seiner Pixel-Malerei und verkaufte eines seiner Werke bei – wir sind nun nicht wirklich überrascht – bei Christies für satte 70 Millionen Dollar; apropos, der Erfinder des Internets, Tim Berners Lee, bekam für den heute noch gültigen und weltweit verwendeten Quellcode des World Wide Webs, bekannt als http://www. rund fünf Millionen Dollar. Ausgedruckt auf DIN A4 wäre der Code etwa 500 Seiten lang, das gesamte Internet auf Papier bräuchte so um die 136 Milliarden Din-A4 Blätter, 16 Millionen Bäume oder 0,002 Prozent des Regenwalds im Amazonas-Gebiet; sicherlich alles zu viel, um es in die Living Rooms und WCs der Superreichen zu hängen. Da, wo viele der millionenteuren Werke der aktuellen Großkünstler vor den Blicken der Menschheit verborgen hängen, da passt ein Krypto-Werk spielend noch hin, hat man doch der Living Rooms und Bäder gar viele.

Dem Ende

wohnt ein Zauber inne.

In New York City hat bereits eine Galerie eröffnet, die ausschließlich Werke mit NFTs verhökert. Findige Direktverhökerer in den USA haben die neue Marktlücke erkannt und befriedigen ein an exklusiver Sensationalität sich selbst hochberauschendes Klientel mit NFT-zertifizierter Kunst, die ausschließlich Kunst von Frauen z.B. verhökert, also garantiert nix von Männern oder männlichen binären Künstlern; wie sinnig! Das erinnert ein wenig an die Anfänge der NFT-Kunst. Die begann einst als eher ein Witz, ein witziger Einfall, als jemand Cartoon Figuren, die damals sogenannten Cryptokitties einführte, also nicht gerade große Kunstwerke, die durch NFTs zum Verkaufsschlager geworden sind. Einmal mehr aber ist es der Brite Damien Hirst, der die Sache mal so richtig durchschaut hat und sein geniales Wissen zu Markte trägt. Hirst will bei 10.000 Kunstwerken die Käufer entscheiden lassen, ob sie ein analoges Werk oder ein digitales mit NFT kaufen wollen. Entscheidet sich der Käufer für das NFT, will Hirst das analoge Werk vernichten; da haben wir den neuen Sinn der großen Kunst. Er besteht also in der Vernichtung des Werkes im großen Stil, wobei als Stil allein noch übrigbleibt eine nicht einmal notwendige Signatur. Die kann man dann auch unter alles machen, unter die Bettlaken, Sammeltassen, Klopapierhalter, Töpfe und Pfannen, auch die letzte am Sterbebett; Hauptsache der Name ist bekannt.

In the Streets

of Philadelphia.

Nomen est Omen und so kommen natürlich bei den als große Kunst bestimmten Namen auch nur bestimmte Käufer in Betracht, deren Namen entsprechend ihren Kontoguthaben bzw. deren Kreditwürdigkeit allseits bekannt sind. Die Superreichen, allen voran zurzeit die autoritären Herrscher, Diktatoren, Mörder und Ausbeuter aus den Emiraten und dem Vereinigten Königreich der Saudis – die Liste wird lang, wenn wir uns auf der ganzen Welt nach solchen Herrschaften umsehen – schmücken ihre blutigen Hände und schmutzigen Seelen gerne mit großer Kunst, in der Überzeugung, dass von deren ethischer und kultureller Wertigkeit auch genug auf sie übergehen wird, selbst haben sie ja nicht viel davon.

Und was ist nun mit der Liebe? Nun, das sieht man am Engländer. Der schmeißt seine „analogen“ Werke in den Papierkorb, und siehe da, dort liegt sie nun die große Liebe zur Kunst, die in diesen Kreisen nie eine wirkliche Liebe war, außer vielleicht zum großen Geld und der enttäuschten Vorstellung, zu den Kreisen der Großen aus Wirtschaft und Macht dazuzuzählen, aber das war schnell klar, man gehört eben doch nicht dazu. Man reicht das Pfötchen, schüttelt auf den zahllosen Vernissagen hunderte von schmutzigen Händen – auch saubere sind natürlich dabei – und steht dann als ein Dekor der Macht und der Geltungssucht in schönen, großen Räumen herum, kann mit wenigen nur reden, weil die meisten selbst schon durch die Plauderei über Kunst überfordert sind,; die meisten interessiert nicht einmal das.

Künstler und Kunst sind in dieser Größenordnung zurecht nur noch ein Dekor, weil selbst dann, wenn diese kleine Gesellschaft tatsächlich an den Werken interessiert wären, die Exklusivität des Interesses das allgemeine Interesse der vielen Gesellschaften und noch mehr Menschen an der Kunst limitiert. Sie zahlen einen hohen Preis dafür, dass die Kunst vor ihnen versteckt wird und dann, wenn sie den Weg in die Museen endlich gefunden hat, für viele von ihnen schon wieder zu teuer geworden ist. Rechnet man die Total cost of Ownership der Kultur, dann fließen von den Lohn- und Einkommenssteuern prozentual wesentlich mehr ab als von den Kapitalertragssteuern und die Ölfässer aus Arabien zahlen gleich gar nichts, sondern verdienen an den Tanken den Mehrwert, der ausreicht, Kunst zu kaufen weltweit und schöne große Museen zu bauen, um Kapital und Kaufkraft für die Zeit nach der schmierigen Pampe ins Land zu locken und sich mit fremden Federn zu schmücken und sich einen Anstrich von Kultur und Weltoffenheit zu geben; das sagt mal den Frauen dort und den modernen Sklaven auf den Sportbaustellen, den Hochhausbauten und den Museumsbauten dort. Den Menschen hier bleibt ein Museumsbesuch, der für die meisten der Mittelschicht noch bezahlbar ist, wenngleich die Gesamtkosten viel mehr an Wirkung für viele Menschen mehr bedeuten könnten; aber dafür bräuchte es eine „intelligentia aesthetica“, die sich nur leider nicht zeigt in der großen Kunst.

So nimm denn, große Kunst, deinen Scheck entgegen als Sold für deine Gemeinmachung und bediene willfährig den Markt, der heute eben Krypto-Kunst will, und jeden Preis dafür zu zahlen bereit ist. Nur klage nicht darüber und mühe dich nicht, deine Klage ins Werk hineinzuschreiben, es bleibt, was es ist, große Kunst, die sich nur ganz wenige leisten können. Und doch, wie einfach wäre es, dem bösen Spiel ein Ende zu setzen und Klagen zu beenden. Häng sie doch nicht mehr in die Auktionshäuser in London oder in die Galereien von New York City; noch gehören sie dir, die neuen Werke. Häng sie in die Kneipen in der Düsseldorfer Altstadt auf der Ratinger Straße, wo du einst so unbekannt und hoffnungsvoll dein Altbier getrunken hast, wo du diskutiert hast auch mit Menschen, die nicht nebenan an der Akademie studierten, wo du einer in einer Klasse mit anderen warst und noch keine Klasse für sich. Häng sie nach Oberbilk oder in eine Kneipe in Queens oder am besten, wenn’s passt, in ein Lokal oder irgendeine andere Location in einem „Viertel der Afroamerikaner“, villeicht in die Bronx oder ins „Hell’s Kitchen“ oder einem Viertel für Einwanderer, in die „Streets of Philadelphia“ oder in einer der Städte des Endes des amerikanischen Traums, den „Rust Belt“… es gibt genug davon auf der Welt. Am bestens wäre gewesen, deine Werke wären gar nicht erst in den Museen der Emiraten gelandet, sondern dahin, wohin sie gehören, in die Räume der NGOs dort, der Frauen- und Arbeitervertretungen z. B. Ein wenig intelligentia aethetica dürfte auch ausreichen, damit die Superreichen nicht auf die Idee kommen, die Werke aus den echten Locations stehlen zu lassen; schreib einfach ein Unechtheitszertifikat aufs Bild; auf deinen Namen kommt es doch wirklich nicht an.

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