Mario Feigel Fotografie - Seite 4

Der Seele beim Atmen zuschauen

Wilder Ozean.

Mario Feigel Fotografie - Seelandschaften

Mario Feigel Fotografie - SeelandschaftenDie Seenlandschaften von Mario Feigel bergen auch Biografisches. Selbst einer dieser gente di mare aus dem hohen Norden, in direkter Generation, väterlicherseits, alten Seeleuten auf Motorschiffen und U-Booten folgend, verwundert die fotografische Auseinandersetzung mit dem Thema Seelandschaften wenig.

Aber viel zu kurz gegriffen wäre der Rekurs auf seine Biografie als Deutungsansatz für diese beeindruckenden, teils schwermütigen, immer nachdenklichen Motive an der Schnittstelle zwischen Land und Meer.

Genau dort berühren sich Mensch und Natur und diesen Begegnungen spürt Feigel nach. Wie kann man das Meer lieben, ist es doch ein gänzlich feindlicher, gefährlicher Lebensraum für Menschen? Das Meer ist aber auch – nach wie vor – der Sehnsuchtsort für Menschen schlechthin, Grundlage des weltweiten Handels und kulturellen Austauschs. Seefahrt, Entdeckertum, Streben nach globaler Herrschaft, Wille zur Macht im Kampf mit der Natur. Auch Zurückgeworfenheit auf die elementarsten Sinne und Fähigkeiten des Überlebenswillens, dieser letzten Äußerung des Willen zur Macht.

Mario Feigel Fotografie - SeelandschaftenDas Meer ist aber auch Lebensgrundlage für viele Menschen und mythischer Ort. Ur-Ort vieler der griechischen Urgötter und zahlloser Sagen und Geschichten. Und, das Meer ist Ursprung des Lebens wie imaginärer Ort dessen Endes, letzte Heimstadt nicht nur für Seeleute, Todessehnsuchtsort des Menschen an sich. Sich selbst dem Meer übergeben oder übergeben werden ist eine besondere Form der Exstase. Eine symbiotische Form der Extase, nicht wie bei der Feuerbestattung, bei der der menschliche Körper sich entmaterialisiert und als Geistphantasie bzw. als reine Seele weiterexistiert, die dann, je nach Glaube, durch die transzendenten Welten streift.

Im Meer wird man weder Geistwesen noch verschwindet man, außer, dass man aus den Augen ist. Im Meer bleibt man erhalten, findet eine Rückkehr in den Ursprung statt. Der Tod des Ertrinkens hat etwas von dieser Phantasie, zurück in den Ursprung zu gehen und eins werden mit dem großen Einen und Ganzen, Sein. Zwei Menschen, Liebende, schauen hinaus auf das Meer; gibt es ein romatischeres Motiv? Die Liebe, das Meer, der Tod, das sind die drei unauflöslichen Grundmotive der Romantik, erinnernd an unsere geistige Herkunft aus der alten griechischen Mythologie. Wer besser hat dieses Motiv literarisch festgehalten, als Thomas Mann in der Schlusszene im Tod in Venedig?

Re reist durch die UnterweltIn Feigels Fotografien finden wir auch dieses Motiv in berührend intensiver Art festgehalten. Die ewige, unzerstörbare Weltseele, Werden und Vergehen als Prinzip des Lebens zwischen Liebe und Tod, Eros und Thanatos der Psychoanalyse und unzähligen anderen Motiven.

Schon die Ägypter, bei denen man keinen, dem Griechischen vergleichbaren Ursprungsmythos findet, haben in der mythologischen Erzählung von Astarte und dem unersättlichen Meer aus dem 14. Jhd. a.Chr. auf dem Papyrus Amherst IX, uns leider nur arg fragmentarisch etwas von ihrer Vostellung zwischen dem Kampf der Götter und dem Meer überliefert.

Etwas später berichten ägyptische Hieroglyphen von Priestern der Stadt Heliopolis, die die Schöpfungsgeschichte ganz auf den Sonnengott Atum als Vater der Götter ausrichteten. Er und acht seiner Nachkommen bildeten die Neunheit von Heliopolis. Im Moment der Schöpfung soll Atum, der Selbstentstandene, aus der Urflut geboren worden sein. Durch seine Schöpfungskraft erhob sich aus dem Urgewässer ein Hügel, so dass Atum das erste Land betreten konnte. Daraufhin sei er zur Quelle aller weiteren Schöpfungen geworden.

Im Gegensatz dazu steht der ältere Schöpfungsmythos der Stadt Hermopolis, bei dem vier Götterpaare jeweils ein Element der Schöpfung symbolisierten. Nun und Naunet stellten das Urgewässer dar, Huh und Hauhet die Endlosigkeit des Raums, Kuk und Kauket die Urfinsternis, Amun und Amaunet symbolisieren die Unsichtbarkeit und die Luft.

Mario Feigel Fotografie - SeelandschaftenDas Meer als Motiv der Weltseele läßt uns nicht los, ist es doch Ursprung seit Menschen Gedenken in den verschiedensten Kulturen – und das wir heute von der Naturwissenschaft wissen, das alles Leben auf der Erde im Meer entstand trägt nicht einmal Unerhebliches hierzu bei.

Wichtiger erscheint dann schon der Wandel vom Meer als Ursprung, dem die Götter über Kampf mit dem Meer erst entstehen oder durch göttliche Kraft sich dem Meer entbinden hin zu einem Schöpfungsmythos, bei dem das Meer als Ursprung allen Seins beschrieben ist.

In der Folge dieser Denktradition entwickelten sich die Vorstellungen vom Meer als Sein im Sinne einer individuellen Eschatologie, in der die Vollendung des Daseins, die Erlösung von Schrecken, ekstatische Liebes- und Todessehnsucht etc. zentrale Motive bilden.

Hans Blumenberg ist 1979  der Metapher vom Schiffbruch nach­gegangen und verwies in seinem berühmt gewordenen Aufsatz auf das Maritime als Daseinsmetapher schlechthin. In der Odyssee und dem Mythos von den Argonauten spielt das Meer die Rolle eines Kampfplatzes, in der Sage von Atlantis ist es das Grab einer Urkultur, die Sintflut bestraft und entschuldet die Welt der Sünder.

Das Meer  wird später in den Geschichten der Piraterie beschrieben als vermeintlich rechtsfreier Raum, wird in der Transformation des epischen Helden schlechthin, des Odysseus, im Zeitalter der portugisischen und spanischen Entdeckungen zum Mythos von Wohlstand und Weltherrschaft. Die Repräsentationen des Meeres in der Kartographie, die Motive von Navigation und Irrfahrt, Schiffsreise und Schiffbruch; das Toben des Meeres als Toben des Bildes bei Eugène Delacroix, das Phantasma des Schreckens des Eismeeres und seine literarischen wie bildnerischen Manifestationen, das Motiv des fliegenden Holländers und seine historischen Gründe; die Gischt als Zwischenreich der Imagination und Entmaterialisierung sind nur einige der zahllosen Formen des Meeres als Daseinsmotiv schlechthin.

Feigels Seelandschaften atmen Seeluft. Der genius loci mit seiner ganzen Tradition der Auseinandersetzung und eschatologischen Begegnung zwischen Mensch und Meer wirkt darin.

Bitte lesen Sie weiter auf Seite 5: Dekonstruktionen der Seele: Reflexionen.

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