Mario Feigel Fotografie - Seite 5

Der Seele beim Atmen zuschauen

Reflexionen.

Mario Feigel Fotografie - ReflexionenDie neueren Fotografien von Mario Feigel aus dieser Thematik beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Prozess der Spiegelung bis hin zur Entmaterialisierung des Dargestellten und seiner Metamorphose, also Verwandlung in ein anderes seiner selbst. Das ursprüngliche Spiegelbild-Motiv, wie es etwa die Psychoanalyse im Narzissmus behandelt, besonders durch Kohut für die Entwicklung der Subjektivität des Menschen untersucht wurde, geht von einem einfach Verhältnis von „Original“ und Spiegelbild aus, von einer Identität und Differenz, denn das Spiegelbild ist nicht dasselbe wie das, was sich spiegelt, ist aber auch nicht gänzlich von diesem verschieden.

In der Philosophie spielt der Begriff der Reflexion (Spiegelung) eine ganz zentrale Rolle. Ebenso in der Physik und Mathematik. Die Rückwendung des Geistes auf sich, griechisch epistrophé, wird bereits bei Thomas von Aquin als reflexio bezeichnet. Mit Kant beginnt eine fundamentale Auseindersetzung zur Frage: wie können wir überhaut etwas wissen?, die in der Philosophie und in den Bildenden Künsten bis heute anhält. Einfach gesagt, sind nach Kant Anschauungen ohne Begriffe leer und Begriffe ohne Anschauungen blind.

Was sehen wir, wenn wir etwas sehen? Warum sehen andere Menschen etwas völlig anderes, wenn sie das selbe sehen wie wir? Weil wir nie einfach etwas sehen, sondern schon beim Sehen interpretieren. Diese „Zweiteilung“ – Sehen und Auslegen des Gesehen zugleich – ist für „die ganze Geschichte des abendländischen Denkens“ grundlegend (Heidegger). Also wahrlich keine Kleinigkeit, mit der sich Mario Feigel beschäftigt.

Spiegelung an einer Ebene

Mario Feigel Fotografie - Reflexion im Raum

Original von Pavel Satrapa (Ausschnitt)

In der Geometrie finden wir das Phänomen der Punktspiegelung. Dabei handelt es sich um eine Abbildung, die durch einen Punkt Z (Spiegelpunkt, Zentrum) gegeben ist. Zuweilen wird die Punktspiegelung auch als Raumspiegelung oder Inversion bezeichnet, wobei die Bezeichnung Inversion häufig auch für eine andere Abbildung, die Spiegelung an einem Kreis, benutzt wird.

Eine Punktspiegelung hat genau einen Fixpunkt (das heißt einen Punkt, den die Abbildung unverändert lässt), nämlich das Zentrum Z. Fixgeraden (also die Geraden, die die Abbildung in sich selbst überführt) sind genau die Geraden durch Z. Eine beliebige Gerade g wird auf eine zu g parallele Gerade (Bildgerade) g‘ abgebildet. Soweit die knappe Einführung in die Geometrie.

Was Mario Feigel in dieser Fotoserie zeigt ist, wie sich eine zweidimensionale, geometrische Fläche allein durch Spiegelung in eine dreidimensional anmutende Raumabbildung verwandeln kann. Der Fixpunkt Z der Geometrie wird – für mit räumlichen Sehen begabte Menschen – zu einem räumlichen Fluchtpunkt, also einer Perspektive im Raum.

Diese räumliche Pertspektive ist nicht selbstverständlich und war und ist bis heute ein ganz zentrales Thema in der Malerei und Fotografie. „Item Perspectiva ist ein lateinisch Wort, bedeutt ein Durchsehung.“ So hat Dürer den Begriff der Perspektive zu umschreiben gesucht und gleichsam für seine Zeit definiert.

Die „Durchsehung“ ist als ein „Fensterdurchblick“ zu verstehen und entspricht auch der Definition des Leon Battista Alberti, der seine Erkenntnisse zur Perspektive 1426 in dem Traktat „De Pittura“ (über die Malkunst) niedergeschrieben hat. Bereits einige Jahre zuvor hatte der berühmte Filippo Brunelleschi die erste perspektivisch konstruierten Bildtafeln der Neuzeit (1410 n. Chr.) erstellt und beeinflusste damit unter anderem Masaccio. Das Ergebnis dieses Einflusses sieht man in der Brancacci-Kapelle in der Florentiner Kirche Santa Maria del Carmine, die 1424 von Masaccio und und seinem Lehrer Masolino gemalt wurde.
„Dieses Werk ist so grandios, so expressiv und umstürzlerisch in Perspektive, Farbe, Ausdruck und Haltung, dass noch Jahrhunderte später die jungen Maler und Bildhauer (wie Michelangelo) zur Carmine-Kirche pilgern werden, um dort zu studieren.“ Quelle: Wikipedia.

Griechische VasenmalereiPerspektive, später die sog. Zentraperspektive sind also nicht durchgängig in der Geschichte der Malerei gegeben. Selbst nach heutiger naturwissenschaftlicher Theorie funktioniert Sehen in vielfältigen Verarbeitungsschritten, in denen die (physikalische) Information gebündelt, zusammengefasst und strukturiert wird, also nicht als einfaches Aufnehmen von Lichtinformationen im Auge, sondern als gesamter Verarbeitungsprozess.

Am Ende wird die strukturierte Information ins Gehirn weitergeleitet, wo es mit anderen Sinnesinformationen kombiniert wird, bevor es sich auf riesigen Hirn-Arealen festsetzt und damit unser visuelles Bild der Welt verkörpert. Unser visuelles Bild der Welt ist also nicht die Wirklichkeit an sich, sondern das, was durch den evolutionär bestimmten Verarbeitungsprozess herausgefiltert wird.

Die Antike hatte schon eine Art von Perspektive erfunden, eine Form der „Körper-Perspektive“ (B. Schweitzer). Die künstlerischen Methoden für die dargestellte Plastizität waren die – beobachtete – Verkürzung, z.B. bei Armen oder Waffen, und Überlagerungen, z.B. bei Gewändern oder Beinen.
Darstellungswürdig waren zunächst nur die Körper, nicht der sie umgebende Raum, der als bloßes „dazwischen“ minderwertig war (Platon). Es ist sicherlich kein Zufall, dass viele Bildwerke aus dieser Zeit auf Vasen zu finden sind, hat eine Vase doch kein links oder rechts, keine Mitte oder Seite und bietet keinen sehbaren Raum.

Masaccio - DreifaltigkeitsfreskoWertvolle Hinweise zum Thema Perspektive findet man bei Panofsky, der besonders gemalte Fenster in römischen Villen untersuchte. Nach der Panofskyschen Definition spielt es keine Rolle, ob der illusionistische Fensterdurchblick beobachtet oder konstruiert ist.

Demnach kann man bei der Wandmalereien in den römischen Villen von den ersten wirklich perspektivischen Bildern sprechen.

Wahrscheinlich kannten die Römer bereits ein Konstruktionsverfahren, kein zentralperspektivisches, dass sich dann erst in der Renaissance herauskristallisierte, sondern ein „winkelperspektivisches“ Verfahren. Die Fluchtpunkte dieser Bilder liegen meist auf einer vertikalen Achse verteilt.

Bereits im zweiten Jahrhundert nach Christus definiert Damianos die „Skenographia“ als einen Teil der „Optik“, der „untersucht, wie die Wiedergabe von Gebäuden in der Malerei beschaffen sein muss.“

Die Welt war also anders vor der Erfindung der Perspektive und wieder anders nach der Erfindung der Zentralperspektive.

Zu Beginn der Renaissance war die Erfindung der Zentralperspektive eine wahre Sensation. Bei Wikipedia heißt es:
„Die Dreifaltigkeit ist ein Fresko in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz. Es wurde zwischen 1425 und 1428 von Masaccio geschaffen. Es gilt als bahnbrechend für die europäische Kunst, da erstmals in der Malerei ein Künstler die Gesetze der Perspektive korrekt angewandt hat.“

Juan Gris - Harlekin mit GitarreDas Verschwinden der Perspektive aus der Kunstproduktion.

In der sog. Klassischen Moderne wendet sich das Bild erneut. Maler dieser Epoche wenden sich zunehmend der Abstraktion zu, Gemälde werden zunehmend wieder zweidimensional, zeigen keine Zentralperspektive mehr, allenfalls eine Erinnerung an die Körperperspektive griechischer Vasenmalerei.

Mit dem Verzicht auf Perspektive verzichten Maler gleichzeitig auch auf die Kraft der Kunstbilder, denn mit der Perspektive schuf Kunst sich selbst die unendliche Möglichkeit der „künstlichen“ Realität, wahrlich visionärer Kunsträume wie etwa im Hintergrund von van Gogh’s Mona Lisa. Und, Kunst hatte sich gleichzeit das schier unerschöpfliche Potential der visuelle Herausforderung des Betrachters gesichert, quasi ihr Monopol auf ihre Wirkung im wahrnehmenden und damit (nach)denkenden Menschen.

Zur gleichen Zeit kam die Fotografie auf und ihr wurde die Darstellung der augenscheinlichen Wirklichkeit überlassen, gleichsam als künstlerischer Restposten, dem Kameraauge vor die Linse geworfen. War die von Künstlern geschaffene Welt seit der Renaissance dreidimensional und ihre Virtualität eine nicht selten harte Provokation, die die Betrachter visuell und mental vor arge Herausforderungen stellte, ist die Welt heute von zweidimensionalen Bildern regelrecht überflutet.
Im Multimedia-Exzess digitaler Bildproduktion für TV, PC, mobilen Tablets und Smartphones gerät die Perspektive als konstruktives Prinzip, das Klischees der Vorstellung, Seh- und Denkgewohnheiten provoziert und auf sie selbst zurückwirft in Vergessenheit. Damit geht mehr unter, als Perspektive – Reflexion und damit Denken verschwindet.

Dagegen stellt Mario Feigel seine „Reflexionen“.

Mario Feigel Fotografie - Reflexion im Raum

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