Bernard Lokai – Neue Bilder 2017/18 - Seite 3

Bernard Lokai Malerei 2017/18Die Malerei wollte es also nicht bei dem Prozess der Destruktion allein belassen, sich allein auf die ultimative Erfahrung der kreativen Zerstörung – wie periodisch bei Richter – verlassen, gleichwohl eine Erneuerung, nicht werkimmanent, ohne diesen Erfahrungsprozess der Selbstzerstörung nicht auskommt.

Bei fast allen großen Malern erkennt man den Bruch in der Werkgenese, das Momentum der Erneuerung als Überwindung des Bestehenden. Überwindung ist wie der Ausdruck Werkgenese eine sprachliche Brücke über etwas, was sich schwer in Sprache fassen lässt. Was eher mit dem Ausdruck einer Neucodierung umschrieben werden kann. Darin enthalten ist eine Zerstörung eines Codes, einer Bildsprache, sonst wäre es eine Umcodierung.

Ein Merkmal der Erfahrung der Dekonstruktion in der Malerei ist, dass der Maler, die Malerin ihre Person, ihre autonome Entscheidung über das, was sie malt und wie sie malt zurücknimmt und sich öffnen einer Autonomie, die im künstlerischen Prozess selbst eingebettet ist. Sie entfaltet sich, wenn Abstraktion so weit wie möglich geht und in die gestische Aktion übergeht.

Dieser Transformationsprozess, in der stimmlichen Expression vergleichbar etwa mit der Atonalität der dadaistischen Lautmalerei, setzt das „Material“ frei, den Ton in der Sprache und im Gesang, die Farbe in den Genres der Malerei. Das sind gewissermaßen die bewusstseinserweiternden Substanzen der Malerei, die zugleich die Figurative wie Expressive in der Abstraktion überschreiten.

Bernard Lokai Malerei 2017/18

So kann die Malerei ein eigenes, autonomes Sein entfalten, so entfalten sich die Bildelemente, Farben und Formen, Perspektiven und Bildräume aus sich selbst heraus; das kann kein Affe. Der Maler geht an die Grenzen der Wahrnehmung im Experiment. Wohin der künstlerische Prozess den Maler führt, zu welchem Ergebniss die künstlerische Aktion kommt, sind zu Beginn völlig offen. Die experimentelle Kunst hat dies mit den Drogenexperimenten gemeinsam, sie öffnet sich einer möglicherweise neuen Erfahrung, zumindest einer anderen, als den bekannten. Künstler sind damit Teil einer kulturellen Praxis, die ohne das Experiment nicht auskommt. Das verbindet sie mit der ontologischen Dimension jeder menschlichen Praxis, die offen sein und immer wieder zu neuen Erfahrungen führen kann. Der Mensch als einzelner, die Person, wie auch eine Kultur als ganze kommen ohne Experimente nicht aus, nicht weiter. Bevor das „Genie“ Genie war, war es ein Experiment. Und nur wenige wagen das Experiment, werden Genies.

Deshalb ist auch die Erfahrung experimenteller Kunst nicht transzendent zum Menschen. Sie ist transzendent zur Erfahrung, insofern sie, die Erfahrung selbst nun wiederum transzendiert werden kann. Experimentelle Kunst lotet den bestehenden Erfahrungsraum neu aus. Und sie ist als dieser Prozess durchaus performant. Gestisches Malen ist daher wesensgleich mit Performance-Kunst, wobei den gestischen Handlungen wie auch den autonomen Farbperformances – wie auch den Klang- und Lautkaskaden in der Musikimprovisation – der gleiche grundlegende Status zukommt.

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Die experimentelle Kunst fand in den Performance-Künsten unweigerlich ihre Ausdrucksformen. Eine Art Grenzenlosigkeit und unwillkürlicher Neuschöpfungen in allen Genres, bis an die exzessiven Grenzerfahrungen eines Otto Mühl in der Malerei. Performance Art ist Kunst, künstlerisches Schaffen, das sich nicht wiederholt und auch nicht wiederholt werden kann, also letzte Form von experimenteller, künstlerischer Einzigartigkeit, die aber nicht im künstlerischen Genie, in der persönlichen Verantwortung des Malers liegt. Dieses „Genie“ performt, erneuert nicht, es optimiert, verfeinert, modifiziert, transformiert vielleicht Details und Elemente. Aber es schafft nichts Neues. Bevor Neues geschieht muss Bekanntes ins Experiment. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie war ein Gedankenexperiment. Und ist es für uns Laien bis heute, wie für Physiker das „Schwarze Loch“.

Man muss daher trennen jene Formen von Performance Art, die als offene künstlerische Experimente imponieren, aber deren Ablauf selbst aus performance-eigenen Dramaturgien und Konzepten kommt, von solchen, die aus sich selbst heraus Darstellende Kunst oder Musik sind wie die Musikperformances etwa von John Cage. In der Malerei erfährt der Maler den künstlerischen Prozess selbst als eine Performance in einer eigenen Zeit, die als körperliche Handlung, als gestisches Malen unwiederholbar und autonom abläuft und worin der Maler selbst zum Performancekünstler wird. Was der Maler so erfährt, ist Malen an seiner eigenen Grenze. Ohne Vor-Bild, ohne Vorgabe von gegenstandsbezogenen Vorstellungen, nicht einmal vagen Ideen, von dem, was werden soll. So hängt er buchstäblich in der Luft, im Nichts. Der horror vacui, also Malen aus dem Nichts heraus, ist keine leichte Erfahrung, zudem noch haltlos dem, was geschieht, ausgeliefert zu sein.

Mit Picasso begann eine neue Form des Umgangs mit dem Experiment. Es zuzulassen und den dann Prozess der experimentellen Kunst wieder einzufangen, wieder in die eigene Regie zu bekommen, war seit dem großen Spanier zur neuen Erfahrung in der Malerei geworden. Das war kein Rückschritt in die Zeit vor dem Action Painting, insofern allein die Erfahrung des Malers im Malen wieder zur Eigenverantwortung kam; sonst nichts. Die Abstrakte Malerei mit Elementen des Action Paintings und Informel ist heute integraler Bestandteil der Kunst der Moderne. Aber kaum jemand bemerkt die Heftigkeit, mit der der Maler durchgeschüttelt wird, wenn er aus einer Phase seiner Malerei in eine neue eintritt. Ängste von Verlust sind da selten. Selbstzweifel bis hin zur Selbstaufgabe ebenso wenig. Wer verkraftet so leicht den Verlust eines vertrauten Könnens? Wer setzt sich der Erfahrung des Neuanfangs aus?

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In der bürgerlichen Kunstgeschichte hat das „abgeschnittene Ohr“ den symbolischen Ort der Verzweiflung des Malers stellvertretend für alle übernommen und sich an die Stelle der Angst vor dem Verrücktsein gesetzt. Betrachtet man den heutigen Kunstmarkt und sieht in ihm einen Markt, der zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern eine faire Chance bietet, ihre Werke einer Öffentlichkeit zu präsentieren, dann müssten die Straßen voll von abgeschnittenen Ohren sein.

Aber auch bei dem einstigen Träger des berühmten „Partialobjekts“ – ob das je seine Integrität mit der Gesamtperson wirklich verloren hat, ist nach wie vor umstritten, und warum es denn kein Finger war, was näher läge bei einem Maler, blieb auch ungeklärt – galt der Schnitt mit dem Skalpell wohl eher den „inneren Stimmen“ als denen des Marktes.
Jene inneren Stimmen quälen nicht, weil der Maler nicht marktgängig genug ist, eher, weil die Erfahrung des Malens mitunter einer Selbstverletzung gleichkommt; die Ablösung der Erfahrung der künstlerischen Tätigkeit von dem Träger dieser Erfahrung, der Person.

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