Robin Weuste – Der Abschluss

Gegen die Tabus der Moderne

Im Sommer 2019 verlässt Robin Weuste die Düsseldorfer Kunstakademie mit einer Abschlussausstellung. Die zeigt nicht die gesammelten Arbeiten der letzten Jahre, sondern die Arbeiten, auf die es dem Künstler hier und jetzt ankommt. Die letzten Jahre standen also demnach im Zentrum der Frage nach der Bildkonzeption; weniger des Bildinhaltes. Weustes Weg zu einer ihm eigenen Auffassung von moderner Malerei verlief bis zu dieser Abschlussausstellung über die Erarbeitung einer Bildkonzeption, die ihren Ausgangspunkt in der illusionistischen Bildkonzeption des 19. Jahrhunderts hatte. Von dort gingen starke Einflüsse auf die abstrakte Malerei aus, die selbst bei den zeitgössischen Künstlern immer noch eine hohe Geltung, eine bestimmende Kraft im Bildwerk besitzen. Weuste nimmt daraus besonders die Malweise und die Farbgestaltung als bestimmende Kräfte und reiht sich ein in die moderne Kunst der gegenständlichen Malerei.

Bildkonzeption wird vorschnell und oft als eine rein formale Angelegenheit abgetan, aber sie ist es, in der die Auseinandersetzung zwischen dem Künstler und dem Betrachter die zentrale Rolle spielt. Es ist ein bestimmendes Element, allein schon die Blickrichtung des Bildsujets, hier der dargestellte Kopf und das Auge, gegen die Blickrichtung des Betrachters zu komponieren. Das ist in (fast) allen jungen Werken von Weuste so – mit den Ausnahmen: Dersim, Chloe und Babys with dogs – und wirkt wie eine Art Gegenfixierung des Betrachters auf das Bild, auf eine Bildpassage, von der sich der Blick des Betrachters befreien muss, um weiter durch das Bild zu wandern.

physiognomischen Syllogismus
Und diese Befreiung ist durchaus intendiert. Es findet sich zwar kein ‚vorgezeichneter‘ Weg zum nächsten Bildelement, aber der Blick des Betrachters findet seinen Weg dorthin auch per Zufall bzw. erlernter Lesung. Und was der Betrachter dann zu ‚lesen‘ bekommt, wenn sein Blick sich aus dem Widerstand der Fixierung an das Eintrittselement befreit hat, ist von ins Obszöne ragender Intimität. Nicht nur das männliche Geschlecht in der phallischen Symbolik, auch die intime Beziehung zwischen Mensch und Tier, zwischen einer weiblichen Gestalt und einer Ziege, einem Pferd, die wir aus den alten, griechischen Mythen kennen, treten so mit Wucht in den zweiten Blick.

Wenn viele von uns heute noch erschrecken, sich gegen intime Darstellungen von Mensch und Tier wehren, erkennen wir die Kraft des Tabus; eines der letzten der Neuzeit. Bildkompositionen mit Pflanzen und Tieren, Metamorphosen von Pflanze, Tier und Mensch existieren aber seit der Antike in den zahlreichsten Varianten und Ausprägungen.

Wir akzeptieren diese Darstellungen noch als Grotesken. Die Grotesken führen zurück auf die Entdeckung der Fresken des „domus aurea“ in der frühen Renaissance, die als Name und Bezeichnung überliefert wurden, weil man die Räume des „Goldenen Hauses“ damals für Grotten hielt. Aus Grotten mit Fresken wurden die Grotesken, die im 15. Jahrhundert von zahlreichen Malern aufgegriffen wurden. Von Luca Signorelli in Orvieto, von Pinturicchio in Siena und nicht zuletzt von Raffael im Vatikan. Anlehnungen an die Freskenmalerei in der griechischen Antike wurden zu einem dominierenden Stilelement der Renaissance und hier finden wir auch die Groteske wieder, in der Kompositionen, Zusammenstellungen aus Mensch, Tier oder Mensch und Pflanze wieder auftauchen.

Das Tier war oft Träger der Metamorphose eines Gottes, der wie etwa Jupiter in Gestalt von Tieren als Schwan, Adler oder Stier auftrat. In den Zeiten polytheistischer oder Naturreligionen galt noch die Vorstellung von der Kontinuität der Entwicklung von Mensch, Pflanze und Tier und daher waren Metamorohosen leicht vorstellbar und in der Vorstellungswelt der Menschen als Kombinationen von Mensch, Tier und Pfanzen alltäglich und ubiquitär.

Im Übergang von der spätgotischen Epoche der Malerei zur Renaissance finden wir diese universelle Metamorhose in den Bildern von Hieronymus Bosch, die nicht nur Mensch und Tier zu wahrhaft teuflischen Phantasiefiguren zusammenfügte und wie auf der Evolutionsklaviatur spielend die Monster der in Traumphantasie entschlafenen Vernunft gebar.

Della Porta, Bruno und Arcimboldo, um nur wenige zu nennen, reizten die Überformung der Physiognomie des Menschen bis über die Scheidelinie zu allen möglichen Hybridformen mit Tier- und Pflanzenelementen aus, die in Arcimboldos „Vertumnus“ (1590) ihre vielleicht höchste Form der allegorischen Bildsemiotik fand. Dann radikalisierte Descartes die Scheidelinie zwischen Mensch und Natur in „res cogitans“ und „res extensa“ und überlies der Malerei den Reiz, die Linie wieder zu überschreiten.

Die Wesensverwandtschaft von Mensch und Tier, die wir im Werk von Giacomo Della Porta entdecken und der den aristotelischen Syllogismus in die physiognomische Dialektik von Mensch und Tier getragen hat, sehen wir bei Weuste wieder aufgegriffen.

Es gibt hier in der Form von parallelen Portraitstudien diesen physiognomischen Syllogismus aber nicht nur der Ähnlichkeit und der Verwandtschaft nach, sondern auch der Conclusio, die in Fallada-Meer, Frau mit Ziege und Chloe das Tabu der Neuzeit aus seiner christlichen Tradition befreit: die Ähnlichkeit und Verwandschaft zwischen Mensch und Tier ist auf intime Weise tabulos schön.

Es ist noch nicht lange her, da galt die Vorstellung einer intimen Nähe zwischen Mensch und Tier als sanktionierbarer Tabubruch und wo heute die Grenze des Zumutbaren, des Zulässigen liegt, weiß niemand wirklich. Die Kunst jedenfalls kann diese Grenze ausloten und sogar überschreiten, solange sie es bei einer semantischen, aus der Bildsprache sich ergebenden Vorstellung belässt.

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