Venezuela – Colonia Tovar

Deutsche Enklave im Regenwald.

Fachwerkhäuser – Gartenzwerge – Schwarzwälder Kirschtorte

Die Colonia Tovar besuchten wir eher zufällig. Um so perplexer waren wir, als wir am Ortseingang von ein paar blonden, blauäugigen Buben zu unserem Parkplatz dirigiert wurden. Alle Venezuelaner denken, so sehen die Deutschen aus, sprach unser Freund und venezuelanischer Begleiter. So? Unverkennbar hatten hundertfünfzig Jahre Inzucht ihre Spuren in den Gesichtern der Jungs hinterlassen.

Colonia Tovar, VenezuelaColonia Tovar, VenezuelaDie Colonia Tovar ist eine Gemeinde mit ca. 14.000 Einwohnern, etwa 70 km westlich von Caracas auf ca. 1800 Metern Höhe im Bundesstaat Aragua gelegen.

Die heutige Bevölkerung sind Nachfahren deutscher Einwanderer aus dem Kaiserstuhl, die Mitte des 19. Jhds. in Venezuela anlandeten.

Der Weg hinauf zur Colonia Tovar führt durch die Küstenkordillere auf bis zu 2000 Meter Höhe unb ist auf jeden Fall den Weg wert. Gute Straßen führen durch den meist nebenverhüllten Regenwald mit seinen Baumriesen und den oft hörbaren Schreien der exotischen Waldbewohner, was eine eigenartige Atmosphäre zaubert. Urwald aber sollten Sie nicht erwarten.

Ursprünglich Bauern aus Forchheim und Umgebung kamen sie mit knapp 350 Personen, einem Dialekt der allemannischen Sprache, der Tradition der allemannischen Fastnacht sowie der Bierbraukunst des Kaiserstuhls über Le Havre 1843 nach Venezuela.

Einmal angesiedelt wurde die Gemeinschaft bald gänzlich vergessen und lebte für und von sich in ihren Fachwerkhäusern und mit komplett eigenen Gesetzen gleichsam als eine deutsche Enklave im fremden Land.

Mehr als ‚hundert Jahre Einsamkeit‘ endeten, als 1964 eine moderne Asphaltstraße in die Küstenkordiliere getrieben wurde. Heute pflegen die Tovarer wieder engen Kontakt mit ihrer badischen Heimat, mit der sie regen Austausch pflegen und sogar berufliche Ausbildungsprogramme für die jüngeren Tovarerinnen und Tovarer aufgelegt haben.

Die Caraqueños strömen seither in Scharen, vor allem an Wochenenden und zur Fastnachtszeit in die Stadt, um diese seltsamen Wesen zu besuchen, was neben der eigenartigen Form von mitleidender Berühmtheit den Bewohnern quasi als Ausgleich für’s Begaffen einigen Wohlstand eingebracht hat.

Da sitzen dann an Samstag Nachmittagen die Caraqueños in Familienstärke bei gigantischen Stücken selbstgemachter Schwarzwälder Kirschtorte und tuscheln schmunzelnd über die blonden Menschen, deren genetische Verwandschaft man unschwer erkennen kann und fragen sich, wie Deutschland mit solchen Anlagen es zum Exportweltmeister geschafft hat.

Abgrund T. Braaven

Sonderbar, er, Jorge, fühlte sich in dieser Sekunde das erste mal etwas näher verbunden mit den seltsamen Bewohnern der Colonia Tovar, die ein paar Kilometer von Caracas entfernt in den Bergen leben.

Er sah einige der Bewohner vor den von ihnen und den letzten hundert Jahren erbauten Fachwerkhäusern, die er zuvor in Lateinamerika nie gesehen hatte, stehen und lauschte ihrer seltsamen Sprache. Er meinte, so eine Sprache vielleicht schon einmal gehört, gar gelesen zu haben, zwar nicht auf den Giebeln von Häusern, über deren Türen mit dem Holzstößel eingeschlagen und mit Farbe herausgemalt, aber, ach, vielleicht doch nur im Traum als eine Erinnerung an eine Zeit der Märchen, als er noch sehr klein war und sein Vater ihm über die lange Reise seiner Urverwandten über den großen Ozean erzählte. Ihm erschienen die Menschen hier auf den sauberen und geschlossen mit Begrenzungssteinen versehenen Strassen, die es sonst nirgendwo in Venezuela in dieser Ausführung gab, mit ihren strohblonden Haaren und lichten, blauen Augen wie Wesen von einem anderen Stern. Blonde, blauäugige Menschen hatte er viele gesehen, zumindest sich oft vorgestellt, wenn er nach Vaters Erzählung allein in seinem Bettchen lag und nachdachte über das Gesagte, das Gehörte von drüben über dem Atlantik, den der Kupferstecher Alexander Benitez einst durchsegelt hatte.

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