Der Golem und das Judentum von Prag - Seite 3

Gegen das Vergessen

Tausend Jahre Unmenschlichkeit

Prag, jüdischer FriedhofPrag, jüdischer FriedhofDie jüdische Gemeinde von Prag blickt auf eine über tausendjährige Geschichte zurück. Das sind tausend Jahre, in denen die Kultur und das Leben der Stadt von Juden nicht unmaßgeblich mit gestaltet und geprägt worden sind.

Das sind aber auch tausend Jahre, in denen Verfolgungen und Progrome an den Juden nie ganz aufhörten; eine fatale, eine tragische Kontinuität von dieser Seite her betrachtet.

Ursprünglich war es den Juden erlaubt, sich frei in der Stadt anzusiedeln. Aber schon 1096 waren sie Opfer erster Übergriffe, die ihnen durch durchziehende Kreuzfahrer widerfuhren. Wer sich von den Juden nicht taufen ließ, der wurde einfach erschlagen; so machten das die Ritter im Namen Gottes in großer Zahl.

Aberwitzig aber war, das zeitgleich als die Juden in Angst und Panik die Stadt zu verlassen suchten, der damals herrschende und notorisch klamme Fürst Bretislav II. das jüdische Eigentum schnell konfizieren ließ, so dass die zur Flucht bereiten Juden völlig mittellos da standen und nur noch ihr nacktes Leben zu retten vermochten, wenn es denn überhaupt gelang – auf diese äußerst effektive Idee kam man in der tausendjährigen Geschichte immer wieder zurück.

Prag, jüdischer FriedhofDie wohl nachhaltigsten Konsequenzen ergaben sich für die Prager Juden – und weit darüber hinaus – durch das Konzil 1214 n. Chr. unter Papst Innozenz III.

Unter dem Hauptpunkt der Agenda des Konzils, der Ketzerbekämpfung, wurden zahlreiche Beschlüsse gefasst, die bis weit ins 19. Jh. gültig bleiben sollten.

Das waren das Verbot des Bodenbesitzes für alle Juden, das Verbot Handwerk und Landwirtschaft zu betreiben und das Verbot sich frei in der Stadt anzusiedeln.

So wurden die ersten Judenviertel gegründet und damit es der Administration leichter fiel, die Einhaltung der Verbote auch zu kontrollieren und effektiv durchzusetzen, wurde angeordnet, dass alle Juden sich auch äußerlich durch einen gelben Ring auf der Brust z. B. zu erkennen zu geben hatten.

Die meist klar abgegrenzten Judenviertel wurden so leicht zu imaginären Räumen von Verdächtigungen und Gerüchten sowie ein Nährboden für die wahnwitzigsten Spekulationen, aus denen heraus sich leicht weitere blutige Progrome anzetteln ließen.

Das wesentliche Element für die fortgesetzte Gewalt und Grausmakeit gegenüber den Juden aber war sicherlich die Tatsache, dass ihnen als eines der wenigen Gewerbe das des Geldverleihers geblieben war. Juden beherrschten bald notgedrungen und in Ermangelung anderer, beruflicher Alternativen das Verleihen von Geld gegen Zins und waren in kurzer Zeit als wohlbabende Bankiers die wichtigsten Finanziers des böhmischen Adels, des jeweiligen Herrschers. Sogar bis hinein in die böhmischen Handwerksbetriebe reichten die jüdischen Geldgeschäfte.

Prag, JudenviertelOhne die hätte es kaum einen wirtschaftlichen Fortschritt in Prag und Umgebung gegeben. Ohne sie, keine Investitionen, keine kurzfristige Liquidität, um Engpässe und Marktschwankungen, die es ja häufig und heftig wegen der andauernden Kriege gab, durchzustehen.

Ohne die kräftigen Finanzspritzen hätte kein Herrscher je zur siegreichen Schlacht rufen können, kein Adliger, ohne die Kapitalbeschaffung der Juden sein Schloss, seine Ländereien und seine Bediensteten halten können. Was es hieß: the party is over, sah man dann später nur allzu deutlich.

Man nahm aus vollen Händen und wenn dann der Zeitpunkt der  Rückzahlung  näher rückte, waren die Gläubiger schnell und einfach irgendeiner Schuld oder Machenschaft bezichtigt, so dass der vor der Alternative stand: Verzicht auf seinen Anspruch oder Kerker und Tod.

Und die wilden Sagen über die fremdartigen Riten und Bräuche in den isolierten Vierteln der Juden taten ein übriges.

Auf der Grundlage massivster Verleumdungen und einem ausgeprägten Chauvinismus ereigneten sich die blutigsten Progrome; ein erster Höhepunkt markiert das Jahr 1389 zur Zeit Wenzels IV. Katholische Geistliche behaupteten, dass Juden systematische Hostienschändung betrieben, so dass darauf hin die Ghettos von einer wütenden, aufgebrachten Menge gestürmt wurden und am Ende man mehr als dreitausend tote Juden und zahllose Plünderungen sowie Friedhofsschändungen zählte.

TerezinIm 17. und 18. Jh. nahmen die Vertreibungen der Juden aus Prag sprunghaft zu, wobei Maria Theresia hierbei nicht nur das größte Talent bei der Umsetzung war, sondern auch einen veritablen Zynismus an den Tag legte, der legendär blieb. Für sie waren die Juden die „ärgste Pest“ und 1745 erließ sie per Dekret deren vollständige Ausweisung.

Nicht lange danach wandten sich die Prager Stände gegen ihren Erlass, denn mit den Juden war auch eine nicht unerhebliche Menge an Kapital der Stadt verwiesen worden, der wirtschaftliche Schaden bald so groß, dass dieser Adlerlass Wirtschaft, Entwicklung und Wohlstand aller Schichten bzw. Stände wie das Herrscherhaus massivst bedrohte.
Also durften auf Druck der Stände die Juden ab 1784 wieder in die Stadt zurückkehren. Selbstverständlich ließ sich die nie gekrönte Kaiserin ihr Einlenken ordentlich vergolden und schröpfte die jüdische Gemeinde fortan mit jährlich über 200.000 Gulden für deren „Aufenthaltsgenehmigung“. Welch ein Zynismus!

So konnte die sich zum aufgeklärten Absolutismus bedingungslos bekennende Österreicherin aus dem Hause Habsburg noch ein paar kriegerische Ambitionen leisten – warum man Aufklärung und Absolutismus aber so sprachlich und vor allem in dieser Person Maria Theresia vereint findet, wird ein ewiges Rätsel bleiben, zumal es den Habsburgern allein um deren absolutistsische Herrschaft, also um ihre, von allen Gesetzen und den Ständen lösgelöste und nur von Gott abgeleitete Macht und Herrschaft ging.

Terezín-CrematoriumDer christlich religiöse Chauvinimus wurde dann später vom rassistischen Nazismus abgelöst und in aller Grausamkeit noch bei weitem übertroffen.

Vorher gab es aber noch ein knappes Jahrhundert der relativen Freiheit und Gleichberechtigung der Prager Juden unter Maria Theresias Sohn, Josheph II. der sich mit Beginn seiner Regentschaft in diesen Fragen seiner Frau Mama störrisch entgegesetzte und eher den Auswirkungen der Revolution von 1848 politisch klug folgte.

Das jüdische Ghetto löste sich alsbald auf. Zählte es 1837 noch zu 80% Juden – lediglich neun Christen wurden gezählt – so fiel ihr Anteil vierzig Jahre danach auf deutlich weniger als 30%.
Das Judenviertel verfiel in Armut, Kriminalität und Prostitution.

Die Juden, die dort übriggeblieben waren und jene aus anderen Vierteln der Stadt starben bestialisch dann in Theresienstadt und den anderen Konzentrationslagern der Nazis.
Von über 45.000 deportierten Juden kamen nur wenige nach dem Krieg wieder zurück.

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2 Kommentare
  1. Mario R. Feigel sagt:

    Lieber Herr Rieder.
    Ich habe Ihren Beitrag mit großem Interesse gelesen, hat er mir durch seine vielen Informationen dieses alte mystisch, magische Wort „Golem“ mit Leben erfüllt. Es ist wirklich erstaunlich festzustellen, wie dieses „ungeformte Bild“ andere kulturelle Gebiete durch die Jahrhunderte zu beeinflussen wusste. Was also hat der Rabbi Löw da heraufgeholt? Schon ein kurzer Blick in die Ägyptologie (Wikipedia s.v. Papyrus Vandier) lässt eine gewisse Atemlosigkeit spürbar werden (n.b. auf dem verso findet sich ein Abschrift des Totenbuches, in dem es immer darum geht den Verstorbenen auf seinem Jenseitsweg vor Dämonen und Unheil zu bewahren). Der Golem verdankt sein Auftauchen ja der Bedrohung durch offizielle Institutionen von Kirche und Staat. Die Vernichtung der jüdischen Gemeinschaft, die materielle Enteignung, der drohende Tod können in diesem Sinne als eine Paraphrase für die aus religiöser Anschauung des Ägypters Bedrohlichkeiten für sein ewiges Jenseitsleben verstanden werden.
    Die Urmasse Lehm, auch eine Vorstellung, die in den Schöpfungsmythen der Ägypter zu finden ist, ist amorph und wird durch rabbinischen Geist belebt, bleibt aber zumindest nach der Legende golem, unterwürfig, dienend und manchmal mit Tendenz zum Amok. Einerseits muss der Legendenbildner ihn auf dieser Stufe belassen, da er sich sonst gottgleich machen würde, schüfe er einen wirklichen Menschen, wie es seine Religion berichtet. Rabbi Löw ist somit etwas wie ein kleiner Demiurg, der sein Geschöpf aber auch wieder verschwinden lassen kann, ihm das interessante Siegel der Wahrheit entreißt. Ein eigenartiges symbolträchtiges Bild und erzählerisches Konzept.
    Das Eingebettetsein der Gestalt in die Zeit massiver jüdischer Pogrome in Prag durch das Haus Habsburg verlangt ebenfalls eine zeitgeschichtliche Annäherung von Seiten unbewusster kollektiver Heilsvorstellungen. Interessanterweise ist dieser Golem keine rettende Heldenfigur, wie sie die christliche Welt und die Volksmärchen hervorbringen, sondern eher ein „Knappe von armseliger Gestalt“, der aber über große Kräfte verfügt. Es wäre denkbar, dass der Golem insofern eine kollektive Doppelnatur des damaligen Prager Judentums darstellen könnte, wofür seine ungeschlachte, ärmliche Erscheinung spricht, die so das Bild der ausgeschlossenen, verachteten und verfolgten Juden der Ghettos retrospektiv wie prospektiv darzustellen vermag. Die Kraft, die ihn heraushebt spiegelt sich meines Erachtens in dem Finanzwesen, das den Juden überlassen wurde. Die Maria Theresia, die die Juden so verfolgte, wird abgelöst von Joseph II. und Rudolf II., die beide in ihrer Religionspolitik (Josephinismus) einen geschützteren Status für die Juden schufen. Die dunkle Figur des Golem scheint unter diesem zeitgeschichtlichen Aspekt die Wiederbelebung antiker Vorstellung: „per aspera ad astra“.
    Sie sehen an meinen Überlegungen, dass ich mich auch in das Netz von Deutungen, Variationen, Spekulationen nur zu gern einlasse und meinen Gedanken nachhänge. C.G.Jung nimmt Bezug auf den Golem aus dem Roman von Gustav Meyrink in Psychologie und Alchemie und interpretiert den nun mehr ahasverischen Golem als einen ewigen Geist, der dem Helden im Roman goldenen Körner in die Hand gibt, die dieser verwirft, weil er sie als Weizen verkennt. Aurum nostrum non aureum vulgo sagten die spirituell orientierte Adepten der Alchemie.

    • Rieder sagt:

      Herzlichen Dank, Herr Feigel, für den überaus anregenden Kommentar.
      Da habe ich ja in den nächsten Tagen ordentlich was zu tun …

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