Alberto Burri – Gibellina - Seite 2

Street Map of Destruction

Il Grande Cretto – Der tiefe Riss in der Kunst.

Die Straßen auf Sizilien abseits der Autobahnen und außerhalb der großen Städte sind rissig, übersäht mit Schlaglöchern, wenig komfortabel. Vorbei an blühenden Obstplantagen und Bäumen im Frühling, durch endlose Olivenhaine, die sich die Hänge hinaufziehen, nicht selten bis zu einer atemberaubenden Bergdorfkulisse, nähert man sich darauf Gibellina in der Provinz Trapani, ein Pulverfass in einer seismisch unruhigen Gegend mit nicht weniger gefährlichen, alltäglichen Aktivitäten der ansässigen Mafia, wobei letztere sogar noch das kleinere Übel für die Menschen dort darstellte.

Als das Erdbeben in das überwiegend von armen Bauern bewohnte Bélice-Tal kam, erschütterte es in einem Umkreis von über 100 Kilometern über ein Dutzend Orte. Die meisten wurden wieder aufgebaut an Ort und Stelle, Gibellina entstand neu, Gibellina Nuova, etwa 15 km weiter westlich.
Die Aufmnerksamkeit der Welt, mindestens der näheren sizilianischen Umgebung, die ja nicht weit von der Haupstadt der Insel Palermo liegt, wäre wohl kaum spürbar geworden, wären nicht eines Tages die Medien hier massenhaft aufgekreuzt. Das lag daran, dass die Kunst nach Gibellina kam. Nirgendwo sonst hin in das geschundene Tal, aber nach Gibellina.

Eingeladen hatte der damalige kommunistische Bürgermeister der Stadt, Ludovico Corrao, und die italienische Form des Kommunismus mit seiner Ideologie von einem besseren Leben gerade für das arme und geschundene Volk verband sich geradezu perfekt mit der Vorstellung von kunstgeformter Lebensqualität.
So kamen sie gerne, Rob Krier, Oswald Mathias Ungers, Pietro Consagra, Arnaldo Pomodoro, Renato Guttuso, Joseph Beuys; Architekten, Stadt-Designer, Maler und Bildhauer und wenn man heute in die Neustadt kommt, begrüßt einen von weitem schon die Porta del Belice von Pietro Consarga, wenn gleich auch ein wenig verrostet und der ursprünglichen Assoziationen beraubt.

Die Vorstellungen bezüglich Gibellina Nuova konnotierten mit einer neuen Stadt als Hort der und Inspiration durch Kunst, als Zentrum von Kultur, lebendiges Museum zeitgenössischer Kunst, worauf man andernorts im Tal wohl anfänglich einigermaßen neidisch gewesen war. Kunst machte den Ort unverwechselbar und mittlerweile zu einem kunstgeschichtlichen Denkmal, das schnell einen Ruf in die Welt sandte, dem zuerst die Medienvertreter und dann die Touristen in Scharen folgten.

Kunst kam wie es seit Jahrtausenden ihr Selbstervständnis und auch ihr eingebetteter Auftrag ist in die Öffentlichkeit und zu den Menschen und die Öffentlichkeit wie die Menschen nahmen die Einladung in die open air Ausstellung an, wenn gleich nicht immer sicher war und ist, ob die Menschen nicht eher den Vorstellung eines gänsehäutigen Gruseltourismus, heute Gaffer genannt, und die Öffentlichkeit nicht eher eines gesellschaftspolitischen Experiments wegen folgten.

Nun muss die Kunst sich ja nicht die Legitimität ihres Seins in der Öffentlichkeit und beim Menschen holen, aber sich mit beiden auseinandersetzen muss sie schon. Das gehört zu ihrem Wesen, sonst ist sie nicht wirklich Kunst. Die Bewohner der neuen Stadt wurden nicht gefragt, eine Volksabstimmung war auch nicht vorhergesehen; Kommunisten mögen so etwas ja auch ganz und gar nicht. Und dies alles muss Kunst auch nicht interessieren, sie kommt, setzt ihre Vorstellungen in den Raum und sich damit der Öffentlichkeit und dem Diskurs derselben aus; und das reicht.

Die Vorstellungen von Kunst und Kommunismus in Gibellina Nuova waren ambitioniert, eine Stadt mit mehr Lebensqualität und rund zwanzig avantgardistischen Kunstmonumenten aus Zement oder Metall zu schaffen, die den Schrecken des Eve of Destruction sowie der Armut und kulturellen wie geografischen Abgeschiedenheit vergessen lassen sollten.

Vergeblich sucht man heute nach sizilianischer Lebensart in Gibellina. Keine Piazza erwartet einen lautstark noch bevor man sie sieht und die das Forum der alltäglichen Zusammenkunft der Menschen in der Abendämmerung wie in fast jeder sizilianischen Stadt und jedem Dorf als ein geräuschvolles und bewegtes Foyer der Geselligkeit der Menschen vor Ort ist. Das Dolce Vita schlechthin scheint seit dem Tag der unterirdischen Erschütterung einen großen Bogen um das urbanistische Experiment zu machen, kompensiert allein von den oberirdischen Kunstwerken, die aber auch nicht verhindern konnten, dass Gibellina gleichsam trotzdem wie eine „Art Geisterstadt“ im doppelten Sinne wirkt.

Wo sonst das süße Leben nach den Stunden der erbarmungslos glühend heißen Mittagsstunden erblühte ist heute eine gut gezirkelte Schlafstadt entstanden, die keine Aussicht auf ein gewachsenes Stadtleben erahnen lässt. Ihren Bewohnern ist sie weitgehend fremd geblieben, gänzlich unsizilianisch. Ein paar Inseln in diesem erdachten Sistema könnten zu neuem Leben finden wie ein fast durchsichtiges Gebäude von Consagra, welches gleichzeitig als Bar, Sozialzentrum und Treffpunkt fungiert.
Oder der Palazzo di Lorenzo vom berühmten Architekten Francesco Venezia, der dort im Innenhof die Steinfassade des Palastes aus dem alten Gibellina integriert hat und wo alljährlich im Sommer Open-air-Veranstaltungen stattfinden. Auch der Versuch, alte Gebäudefragmente in neue Bauten zu integrieren, wie dies durch die nicht minder bekannte Architektin Marcella Aprile beim Bauernhof Case di Stefano unternommen worden ist, darf als gelungen und mit Aussicht auf urbane Belebung gesehen und gelobt werden.

Sonst aber ist das Projekt Gibellina misslungen. Seine Attraktivität außerhalb und seine Berühmtheit in Italien verdankt Gibellina einzig der Kunst. Aber schauen wir genauer hin. Gewiss, im Vergleich zu den ebenfalls neu entstandenen, äußerster Tristheit sich erfreuenden, hemmungslos durch ebensolche mafiöse Spekulation aus dem Boden gestampften Containerdörfer Montevago und Salaparuta fallen die Vorzüge Gibellinas durchaus deutlich ins Auge.
Auch ist es geradezu kathartisch für die Überlebenden des Bebens und der Kunstinvasion, dem großen Interesse, zumal von völlig Fremden aus einer anderen Welt der Bildung und dessen rastloser Besuchstätigkeit entgegengebracht, mit einem gewissen Stolz zu begegnen, was aber auch durch den Wunsch, einmal die Küche der „Mama Siziliana“ aus der Nähe zu betrachten sich unterschiedslos einstellten würde, nur halt auf bequemere und geschmackvollere Weise.

Gleichwohl die nach wie vor vorwiegend bäuerliche Bevölkerung also ihren fremdsprachigen Besuchern die Skulpturen und Monumente gerne und stolz zeigt und sie sich durch das ein wenig exotische Interesse daran sicherlich auch spürbar aufgewertet fühlt, verbleibt ihre Welt, il mundo nuova, doch eine fremde Welt, zunehmend auch deshalb, weil immer mehr die „Fremden“ sich nun auch ihrer neuen Welt, Gibellina Nuova, bemächtigen.

Nun gut, es zahlt sich für den einen oder anderen aus und ist auch eine, aus der unverhofften Wirklichkeit entstandene Attraktivität, vom Bauern im Nebenberuf zum „Kunstführer“ avencieren zu können, nicht von der Hand zu weisende „Lebensqualität“. Trotzdem hat man den spiritus rectus dieses neuen Lebens, den Bürgermeister Corrao, dann doch politisch abgewählt und jene, die trotz der kathartischen Sekundärbefriedungen ein unerfülltes Leben behielten, nicht davon abhalten können, sich zu wütenden Protestktionen zu versammeln, in deren Durchführung es immer wieder zu Beschädigungen bis hin zur Demontage der unzeitgenössischen Kunstobjekte kam.

Die faszinierende Idee vom Bürgermeister Corrao und den eingeladenen Künstlern fand immer weniger Gegenliebe; so kann es gehen mit der Kunst im öffentlichen Raum. Das ist keine Schande, weder für die Kunst noch für die „Rezipienten“; ein gänzlich falscher und verschleiernder Ausdrück für die Menschen, die der Kunst begegnen, woran man auch hier schon die Verfehlungen des Diskurses erkennen kann.

Ehrlicher und angemessener wäre der Diskurs, wenn man bemerkt, dass Burris fast den ganzen Bergrücken umfassendes Relief wie ein Todeslabyrinth die Straßenläufe des früheren, mittelalterlichen und bäuerlichen Zentrums Gibellinas vor dem Beben nachzeichnet. Und das jeder Besucher wie in einem Irrgarten seine Vorstellungskraft und jeder Bewohner seine Erinnerungen durchwandern und für sich selbst erforschen kann.
Dabei steht das Cretto als ein Zeichen für sich selbst und als ein Symbol der ständigen Begegnung des Menschen mit der Endlichkeit seiner Existenz und der Kontingenz, also dem rein zufällig hier und nicht dort sich Ereignenden wie jenes Beben 1968.  So ist es ein „Memento Mori“ und Todesdenkmal zugleich, dessen Suggestivkraft jeden Besucher nachdenklich macht.

Und gleichzeitig dient dieses Mausoleum des memento mori des menschlichen Daseins jedes Jahr zwischen Juni und Oktober als bizarre Kulisse für die Theaterfestspiele Orestiadi di Gibellina. Die „Orestie“ von Aischylos wird dann gegeben und mit jedem neuen Jahr, jeder neuen Aufführung und Inszenierung werden die Festival Regisseure bekannter und die Protagonisten international renommierter. Ariane Mnouchkine, Robert Wilson und der ehemalige Chef der Berliner Schaubühne, Peter Stein, haben hier gearbeitet und das Vermächtnis der Künstler der Stunde Null versucht, mit gewichtiger Unterstützung von privaten Finanziers, Sponsorengeldern und öffentlichen Zuschüssen ausgestattet, fortzuschreiben.

Warum der Aischylos, wird man sich fragen? Manche meinen, das was das alljährliche Spektakel so einzigartig macht, wäre die Kulisse, also Burri, und damit die Kunst, auf der der Tod auf seiner eigenen, ewigen Grabstätte seine Allgegenwart dem Menschen und seinem Hang zum Vergessen entgegenhält; mag sein. Aber vielleicht ist es doch eben dies Versagen der Kunst in diesem konkreten Fall, wofür die Tragödie und die Aufführungen hier stehen.
Die Tragödie insofern, als der Fluch der Rachegeister, der Erinnyen, eben nicht durchbrochen wird und stets auf’s Neue als Schicksal der zerstörten Stadt mit jeder Aufführung inszeniert wird. Orestes, oder die Kunst hier am Ort, wird nicht mit dem Tod bestraft, gleichwohl ein jeder mit dem Tod der Bewohner ein Geschäft zu machen versucht.

Ein wenig mag die ursprügliche Motivation des Engagements der diversen Künste die Rachegeister anfangs besänftigt haben, aber nun, einige Jahre später also, halten sich die Stimmen für und die gegen diese Idee, eine lebenswürdige Stadt durch Kunst und moderne Architektur zu erreichen, die Waage. Ob aber Athene wie im Orestes bei Stimmengleichheit zu dem gleichen Urteil im Falle von Gibellina kommt, nämlich Freispruch für die Kunst, steht unter starken Zweifeln.

Es sei denn, man hält die alltägliche Vespa-Rallye, bei der halbjugendliche, äußerst verwegene Roller-Artisten mit ohrenbetäubendem Geknatter ihrer 2-Zylinder-Boliden über die sonst völlig ausgestorbene Piazza del Comune e la Torre Civica fegen für das Zeichen erhöhter Lebensqualität.

Hier an diesem Wallfahrtsort für Kunstinteressierte stellen sich einige der Fragen an die Kunst aus einem anderen, vielleicht deutlicherem Blickwinkel. War das urbane Experiment jemals mehr, als ein Forum für die Ambitionen bekannter Künstler und Architekten? War es mehr als ein Übungsplatz für die Realisierung hypertropher Ideen vom besseren Leben durch Kunst und Architektur?

Gewiss, in dieser Hinsicht war Gibellina eine Provokation. Eben diese Provokation, was Kunst bewirken kann und ob und wie die Menschen die Kunst annehmen, und wann? Die Menschen von Gibellina haben bislang die Kunst eher als zusätzliche Einnahmenquelle, als Kunstort für beflissene Fremde entdeckt, von denen man profitieren kann. Als Idee, ein neues Zentrum ihrers alltäglichen Lebens zu sein, fristet Gibellina Nuova ein spärliches Dasein, dämmert eher vor sich hin, ist wie das alte Gibellina untergegangen bzw. erst gar nicht entstanden.

Und noch eins bleibt spannend. Nämlich die Frage: welche Bedeutung an Kunst hat der Diskurs? Es geht nicht darum, dass Kunst die Bewohner von Gibellina hätte erst fragen müssen, bevor man sie mit den Werken beglückt. Schauen wir uns den Zustand heute an. Solange Künstler jung oder noch nicht bekannt sind, bemühen sie sich sehr um eine Diskursöffentlichkeit, gleichwohl es eine solche viel zu wenig und selten inhaltlich angemessen für sie gibt. Akademierundgänge, Ausstellungen, Kataloge, Interviews, Diskussionen, Kontakte in Galerien und Öffentlichkeit, Medienpräsenz, wissenschaftlicher Diskurs u.a. stehen heute zur Verfügung. Über das Internet und die sog. Sozialen Medien in Sekundenschnelle weltweit.

Schwierig wird es selbst in der Zeit, in der Kunst noch unbekannt und unbesprochen ist, wenn es gerade um die Sozialen Medien und das Internet geht. Ein Werk besprechen zu wollen, kann zu einer Tortur werden und schnell mit einem Kontakt zu der Riege halbseidener Anwälte, bekannt als „Abmahnvereine“ führen. Es geht um das Copyright. Den Rechteinhaber aufzufinden ist schwierig, einen Kontakt herzustellen nicht minder. Antworten auf Anfragen nach dem Copyright bekommt man kaum. Und eine Vorstellung des Werkes, ohne Abbildung ist in den allermeisten Fällen Unsinn, also lassen wir das.

Nächtliche Küsse unterm Eifelturm

In den sechziger Jahren fuhr man mit seinen Freunden in einer „Ente“ in die Stadt der Liebe. Und dann, meistens am letzten Abend, hat einer der Freunde das Foto gemacht. Meine Freundin und ich romantisch vereint in einem Kuss unter dem Eifelturm zur Erinnerung an die junge Liebe, die ewig halten sollte, was sie leider nicht tat. Das Foto aber blieb im Schuhkarton als Symbol der ewigen Liebe, als Symbol für die die Stadt, aus welchen Grund auch immer, aber nach wie vor steht.

Beim Eiffelturm sind alle Urheberfristen abgelaufen. Kein Problem, ihn tagsüber zu fotografieren. Abends allerdings kann es ein Problem geben, denn die französische Firma, die die Licht-Installation entworfen hat, hat sich den nächtlich angestrahlten Eiffelturm schützen lassen. Hier muss man aufpassen, welche Fotos man veröffentlicht.
Die Betreiberfirma SETE (Société d’Exploitation de la Tour Eiffel) beansprucht die Veröffentlichungsrechte an dem illuminierten Eiffelturm für sich.

Nun kann man denken, ohne den Eifelturm keine Licht-Installation, genau so wie ohne das K21 in Düsseldorf keine Saraceno Ausstellung, aber so denkt man ja nicht. Jedenfalls nicht die Juristerei und die Europäische Union und man könnte auf den Gedanken von Heidegger kommen: die Wissenschaft denkt nicht und dies nicht nur für die Juristerei sondern auch für die Politik als gültig zu erachten. Beraten von der Juristere arbeitet das EU-Parlament zur Zeit an einer umfassenden Urheberrechtsreform, und es gab in diesem Rahmen Überlegungen, die strengen Regelungen zur Panoramafreiheit zum Standard zu machen.

Nun meinen einige, dass es derzeit überhaupt keinen Grund gibt, sich den fotografischen Liebeskuss in Ländern ohne Panaoramafreiheit verderben zu lassen, also nicht in Frankreich, Belgien oder Dänemark, wo man teure Abmahnungen bzw. sogar Strafen wegen Verletzung des Urheberrechts wegen eines Küsschens riskiert. Denn entgegen anderslautender Meldungen wären in der EU Novelle selbst bei einer Gesetzesänderung ohnehin höchstens Gebäude oder Kunstwerke betroffen, die tatsächlich noch urheberrechtlichen Schutz genießen. Das ist aber nur der Fall, wenn der Schöpfer noch nicht länger als 70 Jahre tot ist. Historische Gebäude wie das Brandenburger Tor dürften also auch in Zukunft weiter frei als Kulisse leidenschaftlicher Küsse fotografiert werden.

Überdies wäre allenfalls eine gewerbliche Nutzung untersagt. Die weitaus meisten Facebook-Profile und Accounts in anderen Sozialen Netzwerken dürften aber als privat einzustufen sein. Aber dennoch steckt der Teufel gerade hier im Detail. Denn die Frage der Gewerblichkeit wird gerade im Online-Bereich oft sehr unterschiedlich beurteilt. Eine Abmahngefahr ließe sich jedenfalls nicht ausschließen.

So kommt es, dass man eine Abmahnung in Höhe von eben mal 700 Euro riskiert, wenn man ein Foto vom hohen Foyer des K21 nach oben an die Decke macht, und man übersieht, dass diese leere, angestaubte Plastikkugel unter der Decke des Museums nach wie vor als Kunstwerk von Saraceno angesehen wird. In Orbit imponierte einst in der Ausstellung als „begehbares“ Kunstwerk, also mit Menschen, die darin wie im Orbit „rumturnen“. Dass diese gammelige, leere Plastikkugel heute noch als zeitgenössisch bedeutendes Kunstwerk – im Übringen gibt es gammelige leere Plastikkugeln unter Zimmerdecken schon seit Jahrzehnten – gilt, wer hätte das gedacht?

Die Kunst, insbesondere die zeitgenössische und die Moderne Kunst, zeichnet sich durch eine Vielzahl von Spielarten und unterschiedlichen Formen aus. Dabei ist Kunst nicht nur das klassische Bild, die Skulptur oder das literarische Werk, sondern auch die Performance, das Theaterstück oder das „Happening“. All diese Formen der Kunst sind durch das Urheberrecht geschützt. Dies bedeutet, dass eine unberechtigte Fotografie juristisch mit den Mitteln des Urheberrechts angegriffen werden kann.

Die ganze Sache aber ist noch viel komplizierter. Probleme könnten in Zukunft vor allem die Nutzer bekommen, die – sei es unwissentlich oder bewusst – Bilder verbreiten, deren Urheber sie nicht sind. Das deutsche Urhebergesetz ist da eindeutig: Derzeit macht sich fast jeder User, der zum Beispiel bei Pinterest oder Pictify Bilder ohne Erlaubnis der Urheber teilt, strafbar.

Um dem zu entgehen, gibt es Initiativen wie Wikimedia Commons, die  beispielsweise lizenzierte Fotos zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung stellen. Der Bedarf der Nutzer übersteigt aber bei weitem das Angebot und schaltet man den „Filter“ „Zur Wiederverwendung gekennzeichnet“ ein, bleibt bei manchen Anfragen nichts, aber auch gar nichts über wie z. Bsp. dies: Ihre Suchanfrage „burri trauma der malerei“ stimmt mit keinem Bildergebnis überein. Obwohl es die Ausstellung gab und wenn man den Filter ausschaltet, jede Menge Ergebnisse kommen.

Und selbst eigene Fotos, auf denen Werke von bildenden Künstlern zu sehen sind, können zum Problem werden. Ob eine private Aufnahme eines Kunstwerkes verbreitet werden darf, hängt vom Einzelfall ab. Zum Beispiel davon, ob die Fotografie mit Zustimmung des Künstlers entstand. Je bekannter ein Künstler ist, desto eher wird er Beschränkungen fordern, wir kommen gleich darauf zurück.

Zunächst einmal: worum geht es beim Gedanken (wir nennen das jetzt mal Gedanken) des Copyrights und der Panoramafreiheit? Beim Copyright schlicht und ergreifend um’s Geld. Nicht ganz richtig, es geht um’s große Geld, was nicht dasselbe ist. Und bei der Panoramafreiheit geht es um die Einzigartigkeit des Kunstwerkes. Aber der Reihe nach.

Für Museen und Kunstvereine gelten Sonderregelungen, etwa das Katalogprivileg. Weder für die Ausstellung, noch für den Abdruck der Werke in Katalogen oder die Veröffentlichung in Werbemedien sind Abgaben zu entrichten. Der Künstler profitiert jedoch vom Folgerecht. Bei jedem Verkauf des Werks, also auch beim zweiten oder hundertsten Mal, geht ein bestimmter Prozentsatz an den Künstler. So wird sichergestellt, daß dieser nicht leer ausgeht, wenn sein Werk zwischen zwei Verkäufen im Wert gestiegen ist.

Die Frage, was hat denn die Wertsteigerung bedingt, bleibt hierbei völlig aussen vor. Es ist egal, daß Kunst auch in öffentlich finanzierten und unterhaltenen Räumen wie Museen, Theatern, öffentlichen Plätzen stattfindet, also Wersteigerung etwa auch dadrurch entsteht, dass ein Werk den Weg aus dem Künstleratelier und einer privaten Galerie in ein Museum findet, das manchmal auch neben der Funktion als Ausstellungsort nur als wertsteigendende und kostensparendende (etwa von Versicherung, Aufbewahungskosten etc.) Aufbewahrung von mehrjährigen Leihgaben von völlig selbstlosen Besitzern bzw. Eigentümern benutzt wird.

Dauerhafte Kunstwerke im öffentlichen Raum.

Wie gesagt, die Sache ist nicht einfach. Versuchen wir trotzdem etwas Klarheit bereits hier in die Sache zu bekommen. Wenn ein Kunstwerk dauerhaft in den öffentlichen Raum eingebracht worden ist, dann sieht die rechtliche Situation für den Fotografen scheinbar besser aus. Bei Skulpturen, Denkmälern oder anderen dauerhaft im Erscheinungsbild einer Stadt verankerten Kunstwerken ist keine Erlaubnis erforderlich, wenn Fotos des Kunstwerkes erstellt und auch gewerblich genutzt werden sollen.
Bei den Fotos muss nur darauf geachtet werden, dass die sogenannte „Straßenperspektive“ eingehalten wird. Im Urheberrecht gilt die Panoramafreiheit, die in einfachen Worten besagt, daß ich alles, was ich von einer öffentlichen Straße aus sehen kann, auch fotografieren darf. Wenn jedoch die Straßenperspektive verlassen wird, greifen wieder urheberrechtliche Regelungen; alles klar?

Die Straßenperspektive wird verlassen, wenn man sich zum Beispiel auf einem Privatgelände befindet oder wenn man die Fotos von einem hohen Kran, einem Fernsehturm oder Ähnlichem aus macht. Ebenso liegt keine Straßenperspektive mehr vor, wenn man das Foto aus einem Haus heraus macht, selbst wenn man die Erlaubnis des Hauseigentümers hat. Was nun wieder gemeint ist damit: aus einem Haus heraus, kann im Einzelfall sehr schwierig werden. Eine Industrieruine, ist das ein Haus? Wenn man nicht weiß, wie es um die Rechtslage an einem Bauwerk bestellt ist, hilft nur eins: Das Foto besser nicht posten. Jedenfalls müsste man dann im Zweifel erst mal die Geschichte des Motivs googeln. Ein zentrales Verzeichnis über „geschützte“ Objekte gibt es nach meiner Kenntnis aber bislang nicht, weder bei Google noch sonst wo. Sie sehen, so einfach ist das dann auch hierbei nicht.

An dieser Stelle sei nur auf die Rechtsprechung und Problematik zum Schloss Sanssouci verwiesen. Hierzu empfehlen wir den Artikel: Die Abmahner von Sanssouci. Die Stiftung »Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg« kämpft gegen »wahlloses Fotografieren« öffentlichen Eigentums, will nach Gutsherrenart abkassieren und stempelt Bildagenturen als »Störer« ab.

Aber an dieser Stelle sei gesagt, dass aber in der Regel nicht die Museen oder öffentlichen Verwaltungen das Problem sind. Schreibt bzw. mailt man ein Museum wegen Urheberrechten an, bekommt man meistens schon nach ein paar Tagen Antwort und, wenn der Künstler bzw. seine Erben keine Einwände haben, auch die Freigabe für den Gebrauch von Abbildungen. Das ist natürlich selten der Fall und, wenn die Künstler eine hohe Bekanntheit haben, so gut wie nie.
Und hier liegt der Hase gleich noch gut gewürzt in einem anderen Pfeffer.

Einmal geht es um den Fall der journalistischen, tagesaktuellen Berichterstattung, verbunden mit der Unterscheidung zwischen temporären und nicht temporären Kunstwerken; nun gänzlich verwirrt?

Alora; so zügig auch eine Anfrage in einem Museum oder bei irgend einem anderen Rechteinhaber auch beantwortet werden mag, vorbei ist es mit der Spontaneität und Aktualität. Was Journalisten dürfen, dürfen Sie noch lange nicht. Warum? Keine Ahnung! Aber was immer Sie auch tagesaktuell posten möchten, etwa eine Protestaktion, eine alterantive Performance im Rahmen einer Ausstellung oder so, ein Wassereinbruch im Dachgeschoß, egal, Sie dürfen es nicht.

Nun gibt es aber Kunstwerke, die wie oben schon angedeutet, rein temporäre Kunstwerke sind. Und die sind juristisch besonders heikel. Im Gegensatz zu gemalten Bildern und Musikstücken können sie nicht beliebig oft reproduziert werden, sondern sind im Rahmen ihrer konkreten Ausführung einzigartig.

Dies wird besonders am Beispiel des verhüllten Reichstages deutlich (-vergleichen Sie durchaus mal mit der neuen Kunstaktion: Floating Piers, Google zwischen Bilder und Bilder zur Weitervewendung gekennzeichnet). Die Verhüllung des Reichstages durch das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude im Jahr 1995 war ein auf kurze Zeit angelegtes Kunstprojekt, bei dem der Deutsche Reichstag in Berlin zwei Wochen lang von besonderen Stoffbahnen verhüllt war, wodurch die besondere Form des Gebäudes einen einzigartigen Gesamteindruck bekam. Das Künstlerehepaar hat das gesamte Projekt mit dem Verkauf von Studien, Skizzen und Fotografien des verhüllten Reichstages finanziert. Als Einziger bekam der Fotograf Wolfgang Volz von Christo und Jeanne-Claude die Erlaubnis, Fotos des verhüllten Reichstages gewerblich zu nutzen und sie verkaufen zu dürfen.

Mit Erfolg gingen die Künstler gegen einen Fotografen vor, der den verhüllten Reichstag ohne Zustimmung fotografierte und die Bilder als Postkarten verkaufte. Nach Ansicht der Gerichte, auch des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe, stehen den Künstlern wegen des temporären (zeitlich beschränkten) Charakters des Kunstprojektes die ausschließlichen Nutzungsrechte zu. (BGH – Urteil vom 24. Januar 2002 – Az. I ZR 102/99)

Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit per se das Fotografieren von temporären Kunstaktionen ohne Erlaubnis des Künstlers verboten ist. Lediglich die wirtschaftliche Verwertung der Bilder ist nicht erlaubt. Wer privat Fotos für sein eigenes Archiv macht, muss keinen Ärger fürchten. Auch die journalistische, tagesaktuelle Berichterstattung ist nicht von dem Verbot betroffen. Wird das Foto jedoch außerhalb einer tagesaktuellen Berichterstattung wirtschaftlich genutzt, kann der Künstler dagegen vorgehen und eine Verwertung verbieten.

Wir halten also bis hierher fest: eine journalistische, tagesaktuelle Berichterstattung ist in den meisten Fällen nicht gegeben. Postkarte oder Poster wollen wir nicht drucken, aber vielleicht die Kunstaktion oder Ausstellung im Internet, in Blogs, Foren oder Sozialen Medien besprechen. Schon wird es schwer.

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Werke von Joseph Beuys. Die Aktionen des Düsseldorfers Künstlers zeichnen sich natürlich durch ihren temporären Charakter und ihre Einzigartigkeit aus. Dem Künstler steht das Recht zu, über eine wirtschaftliche Verwertung der Fotos seiner Aktionen zu entscheiden und eine unberechtigte Nutzung zu verbieten.
Mit dem Tod des Künstlers erlischt dieses Recht nicht, sondern geht auf dessen Erben über. Mit Beuys´ Tod im Jahr 1986 gingen die Urheberrechte an seinen Werken an seine Ehefrau, Eva Beuys, über. Sie wacht nun über das künstlerische Vermächtnis ihres Mannes und entscheidet, wer das Recht hat, Kunstwerke und Fotos von Kunstaktionen zu nutzen. Dieses Nutzungsrecht schließt auch das Recht mit ein, zu entscheiden, wer Ausstellungen über Joseph Beuys mit Fotografien seiner Aktionen veranstalten darf.

Verfolgen wir aus diesem Grunde einmal den Rechtsstreit zwischen Eva Beuys und der Stiftung Schloss Moyland. Beuys wird bei ihrem Verfahren gegen die Stiftung von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst unterstützt. Natürlich, denn die haben ja ein erhebliches wirtschaftliches Interesse. Eva Beuys möchte die Beuys-Sammlung, die zurzeit in Schloss Moyland am Niederrhein gezeigt wird, nach Düsseldorf verlegen. Die Stiftung Schloss Moyland ist damit nicht einverstanden und will weiter Werke von Beuys präsentieren. Dagegen wendet sich die Erbin und weigert sich, bestimmte, für eine Ausstellung benötigte, Fotografien freizugeben.

Der Rechtsstreit zog sich über mehrere Instanzen und wurde im Dezember 2010 vom Landgericht Düsseldorf zugunsten der Beuys-Erbin entschieden. Die Begründung des Gerichts lautete, dass auch das Fotografieren eine Handlung sei, die eine Bearbeitung der ursprünglichen künstlerischen Aktion darstelle. Somit greife sie in das Urheberrecht des Aktionskünstlers.

Das ist sicher eine etwas sperrige, im Grunde aber richtige rechtliche Würdigung. Zusammenfassend hat das Gericht entschieden, dass Fotografien in das Urheberrecht des Aktionskünstlers eingreifen. Daher blieb als Fazit festzuhalten, dass ein Fotograf bei der wirtschaftlichen Nutzung seiner Fotos aufpassen muss, wenn sie temporäre Kunstwerke zum Motiv haben. Selbst wenn diese im Straßenbild aufgenommen worden sind, verstößt eine Verwendung ohne Zustimmung des Künstlers gegen das Urheberrecht.

Der Rechtsstreit um die Fotografien (2009–2013)

Der direkt auf das Zeigen der Fotografien im Ausstellungskontext folgende, fünf Jahre dauernde Rechtsstreit zwischen der Beuys-Witwe Eva und der VG Bild-Kunst einerseits und der Stiftung Museum Moyland andererseits entzündete sich an der Präsentation der Fotografien von Manfred Tischer, die dieser während der Live-Kunstaktion 1964 aufgenommen hatte.

Im Vordergrund stand die juristisch zu klärende Frage, wer das geistige Eigentum an diesen Fotografien habe. Eva Beuys und die VG Bild-Kunst argumentierten, es handele sich um das nicht rechtmäßige Zeigen einer künstlerischen Aktion, bei der in letzter Instanz die Erben des 1986 verstorbenen Künstlers die Urheberrechte hielten, und erwirkten damit eine einstweilige Verfügung, aufgrund derer die Fotografien abgehängt werden mussten. Die Begründung für diese Maßnahme: „Wenn ein Fotograf oder ein Museum Fotografien über die Aktion eines Bildenden Künstlers zum Gegenstand einer Ausstellung machen, ohne zuvor die Genehmigung des Künstlers oder seines Nachlasses einzuholen, verletzen sie die Urheberrechte des Aktionskünstlers.“

Dagegen vertrat die 2009 neu angetretene Direktorin des Museums Schloss Moyland, Dr. Bettina Paust, die Position der Tischer-Erben, dass es sich um dokumentarisches Fotomaterial, nicht um eine künstlerische Bearbeitung der Beuys-Aktion handele, bei dem entsprechend der Fotograf die letzte urheberrechtliche Instanz sei.

Nachdem in erster Instanz das Landgericht Düsseldorf im September 2010 den Klägern Recht gab (Az. 12 O 255/09), ging die Stiftung Schloss Moyland in Berufung. Auch die Fotografin Ute Klophaus, die 1965 in der Galerie Parnass in Wuppertal das als Abschiedsveranstaltung der Galeristen konzipierte 24-Stunden-Happening mit den Fluxus-Größen der damaligen Zeit im Auftrag der Künstler dokumentierte, ist der Ansicht, dass es sich bei solchen Fotografien nicht um eine „Umdeutung“ handele. Natürlich ist der fotografische Standpunkt immer auch eine Interpretation, aber „Ich bestehe auf dem Standpunkt: Die Aktion ist gemacht und dann ist sie vorbei.“

Das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts am 30. Dezember 2011 (Az. I ZR 28/12), wertete den Schiedsspruch als „Einzelfall-Entscheidung mit Bedeutung“ und ließ eine Revision vor dem Bundesgerichtshof zu, um die Frage um die Oberhoheit über die Fotografien, die anlässlich künstlerischer Aktionen angefertigt werden, grundsätzlich juristisch klären lassen zu können.

§ 23 Urheberrechtsgesetz (UrhG; Verwertung von Aufnahmen) und § 50 UrhG (Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe) stehen beispielsweise im Widerspruch zueinander. Denn – und um diese Klärung geht es im Grundsatz – das „Ermessen des Urhebers“ steht gegen das „Interesse der Öffentlichkeit“, wobei der Jurist Georg Lechler in seinem Urteilskommentar darauf hinweist, dass „dem Gesetz … nicht explizit zu entnehmen [ist], ob in solchen Fällen der Wille des Künstlers nach Vergänglichkeit Vorrang hat vor dem allgemeinen Interesse an seiner Kunst – oder er es im Interesse der Öffentlichkeit hinnehmen muss, dass eine Reihe von Aufnahmen einer Jahrzehnte zurückliegenden, öffentlichen Darbietung von Aktionskunst in einer ihn betreffenden Ausstellung gezeigt wird.“

Seitens der Stiftung Schloss Moyland wurde dieses Urteil als Präzedenzfall mit weitreichenden Konsequenzen für das Zeigen von Fotografien künstlerischer Aktionen gewertet, weshalb sie den Gang nach Karlsruhe antrat. Über die Revision des OLG-Urteils wurde dann auch am 16. Mai 2013 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zugunsten der Stiftung verhandelt.

In seiner salomonischenUrteilsverkündung erklärte der Vorsitzende BGH-Richter Joachim Bornkamm laut Handelsblatt, man hätte die gesamte Beuys-Aktion kennen müssen, um den Standpunkt der Klägerin beurteilen zu können, aber „Wir kennen nur einzelne Aspekte.“

Das Museum Schloss Moyland reagierte positiv auf das Karlsruher Urteil:
„Nach langen Jahren juristischer Auseinandersetzungen mit der VG Bild-Kunst und mit der Beuys-Witwe, Eva Beuys, wurde ein wichtiger Sieg für die Kunst errungen. Mit diesem Urteil ist die Gefahr gebannt, dass Fotografien von dynamischen Kunstwerken nicht mehr ohne Zustimmung des Künstlers oder seiner Erben ausgestellt werden dürfen. Der öffentliche und wissenschaftliche Zugang zu solchen Werken ist damit vorerst gesichert.“

Mit Inkrafttreten des Urteils dürfen nun von Kunstaktionen angefertigte Fotografien ohne das Einverständnis des Künstlers oder seiner Erben in Ausstellungen gezeigt werden, weil sie als eigenständige, selbst dem Urheberrecht unterworfene Kunstwerke gewertet werden, an denen der Künstler selbst kein Urheberrecht zu vertreten hat. Es bleibt weiterhin zu vermerken, dass Joseph Beuys sowohl die Macher der Sendung Die Drehscheibe im ZDF als auch den Fotografen Manfred Tischer seinerzeit eingeladen hatte, diese Aktion fotografisch und filmisch zu begleiten. Das ZDF strahlte diesen Beitrag bundesweit zur Prime Time aus, wogegen sich der Künstler hätte verwahren können – wenn gleich dann die Aktion im NRW-Landesstudio nicht stattgefunden hätte. Joseph Beuys hatte aber eindeutig mit der Wahl des Mediums Fernsehen die Öffentlichkeit gesucht und seinerzeit seine Zustimmung zur Verbreitung der Aktion erteilt.

Rezeption des Urteils

Das Schweizer Künstlerduo Caroline Bachmann und Stefan Banz setzt sich seit 2006 intensiv mit dem Werk von Marcel Duchamp auseinander. Sie kombinierten Duchamps im Philadelphia Museum of Art befindliche Arbeit: Die Braut von ihrem Junggesellen nackt entblößt, sogar (Das große Glas) (1915–1923) mit der Beuys-Aktion.
Ihre Arbeit: Das Schweigen der Junggesellen holt die flachen Gussformen aus der unteren Hälfte des Duchamp-Werkes in den dreidimensionalen Raum. Bei Bachmann und Banz werden sie schachfigurenartig zu lebensgroßen Metallfiguren, die vom Betrachter durch den Ausstellungsraum bewegt werden können. Auf der Wand angebracht findet sich der Wortlaut des Richterspruchs, mit dem das OLG Düsseldorf das Ausstellen der Fotos von Manfred Tischer untersagte.
Diese sind in einem weiteren Raum erstmals wieder seit der Revision durch den BGH zu sehen.

Bachmann & Banz reizte an der Auseinandersetzung vor allem die Urheberrechtsfrage: Der Name Marcel Duchamp ist, darauf wiesen sie im Gespräch mit Barbara Strieder hin, mittlerweile selbst urheberrechtlich geschützt. Es sei insofern eine „kuriose Geschichte“, denn
„wenn Beuys seine öffentliche Aktion – der er nachträglich den Titel Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet – gab, morgen Abend hier im Museum Schloss Moyland aufführen würde, müsste er streng genommen zuerst die Rechtsnachfolger von Marcel Duchamp für den Gebrauch des Namens um Erlaubnis fragen.Und deshalb ist auch die Copyright-Frage bezüglich des Inhalts der Tischer-Fotografien nicht eindeutig zu beantworten. Darüber hinaus wäre Beuys’ Aktion 1964 ohne das Werk und die Berühmtheit von Marcel Duchamp eine ganz andere gewesen. Der damals noch weitgehend unbekannte Beuys hatte Duchamps Namen auch in der Hoffnung benutzt, sich damit in den Kanon der Kunstgeschichte einzuschreiben.“

Berücksichtigt man den Hinweis auf den Urheberrechtsschutz zusätzlich für den Namen Marcel Duchamp, erhält das BGH-Urteil nochmals eine größere Tragweite für die Kunstwelt, denn deutlich wird, dass auch Joseph Beuys nicht im kunstfreien Raum agierte, sondern selbst auf einen anderen – weitaus bekannteren – Künstler zurückgriff, dessen Erben (wäre das OLG-Urteil rechtskräftig bestätigt worden) ebenfalls hätten Ansprüche geltend machen können.

Wir sehen, das Urheberrecht tut sich schon recht schwer in seiner juristischen Form. Faktisch markiert es „Rechtszustände“, die aber bei der Wertermittlung von Kunst und ganz generell bei der Frage, was ist Kunst sui generis, also aus sich selbst heraus? kaum einen Zustand, aber immer Transformationen und Übergänge markiert.

Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob Kunstwerke in einer Wald- und Wiesengalerie ihren Weg in die Öffentlichkeit finden, oder über eine rennomierte Galerei, oder über eine Ausstellung im Guggenheim Museum in New York City. Das Umfeld und die Geschichte der Locations haben erheblichen Anteil am Wert des Kunstwerkes.
Hinzu kommt, dass viele Kunstwerke der Moderne und der zeitgenössischen Kunst eine ganze Reihe, wenn nicht gar überwiegend aus sogenannten Kunstzitaten bestehen, also aus Anspielungen und Elementen vergangener Werke anderer Künstler.
Das Zitat gehört zur Kunst wie das Umfeld. Kurz gesagt: ein Kunstwerk ist immer Teil des Diskurses. Eines immanenten Diskurses, also einer selbstreferenziellen, künstlerischen Auseinandersetzung mit Kunst im Kunstwerk, und eines werk-externen Diskurses, zu dem natürlich auch die Kunstkritik, die Kunstbesprechung, die öffentliche, inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Werk und wiederum seinem inhaltlichen Anspruch gehört. Davon spricht die Rechtsprechung natürlich nicht, ist der Diskurs ja auch nicht Gegenstand ihrer Betrachtung.

Privat oder gewerblich?

Abschließend und der Vollständigkeit halber muß noch erwähnt werden, dass auch die traditionelle Unterscheidung zwischen privater und gewerblicher Nutzung mittlerweile obsolet geworden ist. Generell ist immer die „gewerbliche Nutzung“ von Fotografien von Kunstwerken problematisch und in den meisten Fällen untersagt. Die weitaus meisten Facebook-Profile und Accounts in anderen sozialen Netzwerken dürften z.B. zunächst einmal als privat einzustufen sein. Ebenso wie die sogenannten Internet-Blogs.
Aber dennoch steckt der Teufel gerade hier im Detail. Denn die Frage der Gewerblichkeit wird gerade im Online-Bereich oft sehr unterschiedlich beurteilt und ist mehr oder weniger eine juristische Einzelfallentscheidung. Eine Abmahngefahr läßt sich jedenfalls nicht ausschließen.

Fasst man dies alles zusammen, dann ergibt sich ein katastrophales Bild: ein offener Kunstdiskurs ist heute in unserer Wissens-, Informations- und Kommunikationsgesellschaft nicht mehr möglich. Mit dem Urheberrecht und der Einschränkung der Panoramafreiheit sowie den obsolteten Unterscheidungen zwischen temporären und nicht temporären Kunstwerken, zwischen privater und gewerblicher Nutzung von Fotografien von Kunstwerken, gleich welcher Herkunft und Absicht und zusätzlich der irrigen Zumessung des wichtigsten Abschnitts des öffentlichen Diskurses, nämlich der diskursiven Auseinandersetzung mit aktuellen Kunstausstellungen, Kunstaktionen und Aufführungen zur journalistischen, tagesaktuellen Berichterstattung kann von einem offenen Diskurs im Zeitalter der Digitalisierung und einer weltweiten Kommunikation keine Rede mehr sein.

Aber was heißt das für die Kunst? Für die Kunst heißt das letztlich, dass sie ihren inhaltlichen Anspruch zu verlieren droht; wenn nicht gar schon verloren hat.
Mehr noch, der Diskurs über die Inhalte von Kunst ist ersetzt, quasi überschieben worden durch einen öknonomischen Diskurs, dem der juristische zur Verwirklichung und Konkretisierung verhilft. Insofern folgt Kunst einer allgemeinen Affirmation, nämlich alles der ökonomischen Betrachtung zu subsumieren und darin das allgemeine Äquivalent jeder Art von Werthaftigkeit zu bestimmen. Wie oben schon angemerkt, betrifft dies weniger die unbekannten und im ökonomischen Sinne unbedeutenden Kunstwerke, besonders der zeitgenössischen Kunst. Um so mehr und umfassend aber alle anderen.

Mit der umfassenden Ökonomisierung von Kunst, also auch der sie begleitenden und treibenden Diskurse sowie der Fetischisierung von Kunst, also der Verherrlichung des mittlerweile schon perversen Geldwertes selbst mittelmäßiger Kunstwerke durch die Wertspekulation (was nichts kostet, ist auch nichts) hat sich ein weitgehend inhaltsleerer Kunstdiskurs aktuell durchgesetzt.

Wie immer und auch in vielen anderen Bereichen glücklicherweise noch existent wäre nun der Gegenpol zum vorherrschenden Diskurs der Ökonomie und Juristerei ein offener, kritischer und inhaltlicher Diskurs, der nicht der ökonomischen Totaleinschränkung unterliegt. Bei der Unterbindung dieses offenen Diskurses kommt der Kunst ein gerütteltes Maß an Selbstverantwortung zu.
Indem Künstler oder ihre Erben und Marktrepräsentanten fotografische Abbildungen innerhalb von diskursiven Auseinandersetzungen erschweren bis gänzlich verbieten.
Indem sie erlauben bzw. billigend hinnnehmen, dass „halbseidene“ Vertreter der Juristprudenz massenhaft Privatpersonen mit Abmahnungen verfolgen auf der Grundlage eines unzeitgemäßen Copyrights und einer schier lächerlichen, eingeschränkten Panoramafreiheit sowie einer oft unbegründet unterstellten, fragwürdigen „gewerblichen Nutzung“. Wer z.B. ist denn der tatsächliche „gewerbliche Nutznießer“ der Sozialen Medien? Bestimmt nicht jene, die dort neben Katzen-Videos auch Meinungen und Beiträge zur Kunst posten.

Solange Künstler und Juristen nicht die leiseste Ahnung haben über moderne Algorithmen, Big Data und den daraus enstandenen Möglichkeiten der Ökonomie und sich damit beschäftigen, private Post mit Fotografien von Kunstwerken zu verbieten oder deren Nutzung in selbsterstellten „Postkarten“ zu untersagen, feiert die aktuelle Ökononomie eine Party nach der anderen. Mit den rückständigen Gedanken zum Copyright verhindert Kunst (mit Hilfe der Juristerei) sogar noch jede Form der diskursiven Subversion dieser Ökonomisierung; im Gegenteil, „große“ Kunst unterstützt sie durch ihr unreflektiertes Verhalten sogar noch.

Besonders in den Sozialen Medien, aber auch weit darüber hinaus, findet die Ökonomie ihr äußerst attraktives und lukratives mediales Umfeld, gebildet aus Profilen und (zugehörigen, geteilten) Themen (und dem, was demnächst noch alles dazu kommt an Big Data), wozu gerne auch die Kunst gezählt wird, zur „Markenkommunikation und Absatzförderung“ ihrer Produkte, Dienstleistungen und Ideologien. Und sie ist gerne bereit, Unsummen dafür zu bezahlen, die in die Kassen von facebook, Google und Co. fließen, die dann wiederum als generöse Sponsoren von Kunstevents und als Sammler auftreten, viele dazu noch im Rahmen von Charity-Events ihre humanitas eitel feiern lassen.

Die Medien berichten über alles das tagesaktuell und affirmativ. Über die Unsummen, die die Kunstwerke bei Sammlern und über Auktionen erzielen. Mehr wird zum Werk meist nicht gesagt, allenfalls noch etwas gebildete Kunstgeschichte. Und die „große“ Kunst gibt sich dem allem entrückt. Sie hat in den letzten dreißig Jahren einen Standpunkt behauptet, mit dem sie sich nicht nur der lästigen Diskurse unbeschadet glaubt entledigt zu haben, sondern damit auch einen Raum von künstlerischer Authentik, jedenfalls für die Bildende Kunst, zugänglich erschlossen zu haben.

Dieser Raum behauptet ein Jenseits der Sprache und ein Denken außerhalb von Sprache und ist doch nichts anderes als ein Phantasma, ein Trugbild romantischer Vorstellungen. War es früher ein nicht unberechtigter Disput zwischen den Bildenenden Künsten und eines nicht selten abgehobenen kunsttheoretischen Diskurses über Kunst, hat die Kunst mittlerweile eine Position eingenommen, die nicht nur den Disput für unbrauchbar und beendet erklärt, sondern sich an einen vermeintlich authentischen und kunstgenuinen Ort versammelt wie in einer Landidylle einige ihrer Vertreter zu Beginn des letzten Jahrhunderts.

Das Phantasma behauptet, es gäbe ein Heraustreten aus dem trüben Wasser der Sprache in ein einfaches, klares Jenseits der Sprache, in der Kunst mit sich selbst identisch sei und in dem sie einem „göttlichen Funken“, einem ingenium sui generis, einer unbeschreiblichen wie unvergleichlichen Aktivität, nämlich der künstlerischen Schöpferkraft begegnet.

Nicht das dies alles echt alte Kamellen sind, hinzu kommt der Rückzug aus dem öffentlichen Diskurs, aus dem Streit und der Konfrontation wie auch der Subversion gesellschaftlich etablierter Kunstauffassungen. Wenn Kunst die Konfrontation mit der Vertrautheitsillusion, was „große“ Kunst ist, schon dadurch mit verhindert, dass an der öffentlichen Diskursspitze niemand mehr mitreden kann, es sei denn, er unterwirft sich des ubiquitären Copyrights und bewegt sich fortan in einem rein sprachlichen Raum, ohne Abbildungen und damit ohne phänomenologischer Nähe zu dem, worüber er zu sprechen versucht.

Sich vorzustellen, wie dieser bilderlose Diskurs aussieht, wenn mehrere Autoren Bezug darauf genommen haben, muss man kaum erwähnen. Eine sprachliche Tortur dauernder Bildbeschreibungen wäre unvermeidbar und das mediale Bild der Auseinandersetzung unansehnlicher als die Bleiwüste im Set ehemaliger Schriftsetzer des 19. Jahrhunderts.

Die offene, diskursive Auseinandersetzung mit Kunst gehört zum Wesen von Kunst selbst. Findet sie nicht statt, wird sie gar von einer affirmativen, ökonomischen Deskription überschrieben, hat Kunst allenfalls noch Berechtigung in ihrem selbstreferenziellen Diskursen, aber keinen kritisch aufklärerischen Charakter mehr.

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Oberbayer

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2 Kommentare
  1. Peter sagt:

    Ich war vor 10 Jahren in Gibellina und war und bin von diesem Ort sehr angetan , fastziniert und berührt.

    Als ich dieser tage die Bilder von dem Erdbeben in Mittelitalien sah, wie dort die Menschen flohen vor dem Erdbeben, mußte ich als erstes an diesen ergreifenden Ort Gibellina denken und an meine vor 3 jahren verstorbene Lebensgefährtin, sie war Sizilianerin aus der Region Trapani …

    In Memorandum Caterina

    • Rieder sagt:

      Lieber Peter,

      schade, dass Sie so schwere, traurige Erfahrungen mit dem Ort verbinden müssen. Die Bilder vom Erdbeben haben auch mich und bestimmt auch viele andere Menschen ergriffen.
      Ich wünschen Ihnen alle Kraft, dass Sie ihre schweren Erlebnisse überwinden.

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