Vathia

Unterwegs zu den Maniaten

Kennen Sie die Mani?

Griechenland - Peloponnes - Vathia Wahrscheinlich nicht, oder Sie waren bereits auf dem Mittelfinger des Peloponnes oder Sie sind eifriger Leser der Ilias von Homer. Dort ist der Ort Kardamili erwähnt, wohl einer der ältesten der Mani. A propos, die Mani ist die Landschaft, eher der Landstrich des Peloponnes, der besser als der „Mittelfinger“ bekannt ist und beginnt südlich der Stadt Kalamata und endet an der Spitze des Mittelfingers (Kap Tenaro, auch Kap Matapan genannt). Das Kap liegt südlicher als Tunis und ist nach Tarifa (Spanien) der südlichste Festland-Punkt Europas. Hauptort der Mani ist Areopoli.

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Griechenland - Peloponnes - VathiaBis auf 2.400 Meter hinauf ragen die Gipfel des Taygetos-Gebirges, welches sich schützend vor fremde Einflüsse und Kulturen gelegt hat und wo Piraten und Menschen auf der Flucht vor Verfolgungen beste Bedingungen fanden. Mani hat so in seiner Geschichte einen einzigartigen Menschenschlag und eine eigene Kulturform hervorgebracht, abgeschottet durch die besondere Topografie der Halbinsel. Aber der Landstrich war schon seit dem Neolithikum nachweislich bevölkert, Siedlungsspuren wurden in mehreren Höhlen gefunden, z. B. in den Apidima-Höhlen oder der Alepotrypa-Höhle.

Einen festen Bestandteil der maniatischen Kultur bildeten die traditionellen und bis heute noch rudimentär vorhandenen Totengesänge, die Mirologia. Miriologia sind Reden über das Schicksal, die nach dem Tod von Familienmitgliedern oder nahestehenden Personen im Kreise der Trauernden vorgetragen wurden. Oftmals ließen die „singenden Redner“ dabei das gesamte Leben des Verstorbenen noch einmal Revue passieren und sangen sich dabei in tranceartige Zustände. Meistens aber trugen Frauen die Totenklagen vor.

In der römischen Zeit war Kardamyli der Hafen für Sparta und viele kulturelle Entwicklungen kamen auch aus den Zeiten der Spartaner und deren Herrschaft über den Peloponnes. Die Mirologia können sicher dazu gezählt werden, wahrscheinlich auch die vielen kleinen mit zahlreichen Fresken später versehenen Kirchen, die viel früher bereits bestanden als das Christentum, welches auf Mani erst im 9. Jh. n.Chr. Fuß fasste.

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Griechenland - Peloponnes - VathiaGriechenland - Peloponnes - VathiaAuf jeden Fall aber steht die Wehrturmarchitektur in der spartanischen Tradition, dafür spricht, dass Kardamili nachweislich ein Ort mit einer über 3.000 Jahre alten Geschichte ist, der bereits in der Antike denselben Namen und dieselbe Lage hatte und ein archaischer Ort der Freien Lakioner und Byzantiner, sowie der Ort der Mani und deren Kapitäne war.
Die Archäologie übringens geht heute davon aus, dass die Totengesänge der Spartaner sowie die Gebete im Orakel von Kap Tenaro schon so klangen wie die Totengesänge der Maniaten.

Die Mani kennzeichnet wie nichts anderes das Überleben unter Besatzungen und die Blutrache. Besatzungen gab es viele. Dorer, Spartaner, Slawen (namentlich die Melinger), Franken, Venezianer und Türken besetzten die Mani.
Von ihrer Kultur und Architektur ist wenig erhalten, waren sie alle doch Feinde und Besatzungsmächte, die bekriegt wurden bis aufs Blut.

Die Nachkommen der Besatzer leben noch heute hier, aber keine der Besatzungsmächte konnte über die Jahrhunderte hinweg die Maniaten unterdrücken, im Gegenteil.
Besatzer blieben hier wie assimilierte Fremdkörper innerhalb der maniatischen Kultur, die Mani aber trotz Besatzung immer frei, wild, unberechenbar und wahrscheinlich aus ihrer kulturellen Besonderheit untereinander zerstritten.

Dieser Streit hat seine bis heute erhaltenen steinernen Zeugen in den teilweise sehr hohen maniotischen Wehr- und Wohntürmen, dem kriegerischen Erbe des Landstriches von den Spartanern bis heute – und die an die Architektur der toskanischen Wehrtürme von San Gimignano erinnern.

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Das Erbe der Mani ist auch die Blutrache, die wir als Vendetta aus Sizilien kennen. Aber hier auf Mani schrieb die Blutrache ein sehr viel längeres und grausameres Kapitel der maniatischen Kultur als auf Sizilien die Vendetta. Über Jahrhunderte durchzogen Morde und Blutrache die Mani, ausgelöst durch Streit um Land- und Einfluss sowie persönlichem Zwist zwischen verfeindeten Familienclans. Der Ablauf war immer gleich: Die Mitglieder des Clans versammelten sich, meistens durch ein einfaches Glockengeläute der örtlichen Kirche gerufen und erklärten der feindlichen Familie den Krieg. Das Ziel der βεντέτα bestand darin, so viele Mitglieder des feindlichen Clans umzubringen wie möglich. Frauen und Kinder durften nicht erschossen werden, wurden aber gewissermaßen hinter den Linien als Nachschublieferanten für Munition und Verpflegung eingesetzt. Die Männer verschanzten sich in den hohen Wohn- und Wehrtürmen, aus denen sie mit Hilfe von Pistolen, Gewehren und Kanonen versuchten, ihre Feinde sprichwörtlich auszurotten. Benötigte eine Seite eine sog. Treva (gr. Auszeit), z. B. für Beerdigungen oder die Ernte, so wurde eine Feuerpause ausgehandelt. Die Fehden endeten erst dann, wenn der feindliche Clan ausgelöscht war oder die Stadt verlassen hatte. Manche Blutrachefehden dauerten jahrelang und endeten oftmals mit mehreren hundert Toten. Durchschnittlich brachten es manche Clans auf bis zu 500 bewaffnete Männer, welche von ihren Müttern nicht Sohn, sondern Oplo (gr. Gewehr) genannt wurden. Die nachweislich längste Fehde fand in Vathia zwischen vier Familien statt. Sie dauerte über 40 Jahre und forderte mehr als 200 Opfer.

Die größte Treva wurde 1821 auf der gesamten Mani ausgerufen. Damals zog Petros Mavromichalis mit den vereinigten Clans der Mani in den Krieg gegen die Türken. Sogar die Osterbräuche in der Mani sind tief mit Blutrache und Rebellion verknüpft. Der Sage nach ermordeten die Osmanen in der Karwoche 1780 ein Oberhaupt eines mächtigen maniatischen Clans. Die Totenklage seiner Mutter galt nicht der Trauer oder dem Verlust, sondern lediglich der Blutrache: „… ich will keine Kränze in die Schürze oder rote Eier in den Korb, nur Gerechtigkeit für meinen Sohn, den Anführer der Manioten … erstecht alle Türken und verbrennt ihre Burg.“ Und so geschah es, am Ostersonntag 1780 wurden die Osmanen in einem blutigen Gemetzel vertrieben. Um den Schmerz des Verlustes zu vergessen, verlegten die Manioten deshalb mancherorts die Osterfeiern vom Ostersonntag auf den Ostermontag.

Mag sein, dass man hier die Wurzeln findet für das hoch-problematische Verhältnis von Türken und Griechen, das nicht nur auf Zypern seine fatalen Auswirkungen bis heute zeigt. Mag sein, dass die Blutrache sogar ein Relikt spartanischer Kriegerkultur ist, von der wir aber wenig wissen, da die Spartaner keine Aufzeichnungen ihrer Kultur hinterlassen haben und es eben diese Besonderheit der spartanische Geschichte ist, dass es keine schriftlichen Quellen aus der Hand von Lakedaimoniern selbst gibt, wodurch das Bild Spartas von oft feindlich gesinnten Zeitgenossen aus anderen Poleis oder von mitunter romantisierenden Geschichtsschreibern späterer Zeiten geprägt wurde.
Antike Autoren wie Platon, Xenophon oder Isokrates aber verweisen mit einiger Glaubwürdigkeit auf die als Agoge bezeichnete militärische Erziehung, die keine Gnade für den Feind kannte wie auch in der spartanischen Mythologie die Rache ein zentrales Motiv ist, wenn etwa Elektra Orestes bittet, die Ermordung ihres Vaters zu rächen und dieser acht Jahre nach der Bluttat das Orakel von Delphi eigens dazu befragte, das der Bitte Elektras entsprechend Orestes zur Rache riet. Rache und Vergeltung verkörperten die Erinnyen, die Rachegöttinnen, die auch die „Rasenden“, später als Eumeniden, bei den Römern als Furien (furiae) bezeichnet worden, wovon es in der griechischen Mythologie drei Rachegöttinnen gibt: Alekto, „die Unaufhörliche“, Megaira, „der neidische Zorn“ und
Tisiphone, „die Vergeltung“.

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