Castiglione d’Orcia - Seite 2

Die verschwiegene Welt im Oricia-Tal.

Rückkehr nach Castiglione d’Orcia – Teil II.

Italien - Toskana

Italien - ToskanaNach ein paar Tagen war man natürlich bekannt wie ein bunter Hund im Dorf und die Gespräche nahem zu, die Tipps der Menschen, man solle doch mal dies oder das aus der Küche bestellen und probieren – eine Karte gab es ja nicht – oder den oder jenen Ort besuchen; was man eben einem Fremden so empfehlen kann.
Man sprach später nach weiteren Tagen auch über die deutschen Gastarbeiter und die Kommunisten und die Frage blieb natürlich nicht aus, ob man auch zu den Socialista oder Communista in Deutschland gehöre; über die Fascista sprach man eher nicht, eher über Terrorista in Deutschland, über die Brigate Rosse hier wie dort. Dann brachten die Signoras noch etwas Brot und frisch eingelegte Oliven, etwas Käse dazu; politische Debatten sind zehrend, wussten sie.

Tagsüber konnte man stundenlag im September durch Sonnenblumenfelder spazieren oder, was einzigartig und unvergleichlich war, man ging am hinteren Ende des Dorfes einen verfallenen Weg aus Bruchsteinen und Holzscheiten hinauf zur ehemaligen Burg, von der neben ein paar Trümmern einzig noch ein imposanter Turm-Stumpf erhalten war.
Aber nicht, um diesen verfallenen Stummel der Geschichte zu bestaunen, sondern, um eine kleine Wegstrecke auf dem Rücken des Hügels durch Pinienwälder bis an den Fluss Orcia zu kommen, der dort leise gurgelnd, sanft über riesige, rundgeschliffene Felsen wechselnden Farben zwischen türkisblau und weißschimmernd entlangfloss und auf seinem Weg ins Tal sich in zahllose kleine Becken versammelt. Wenn der Ausdruch: locus amoenus je eine Bedeutung hatte, dann entstand sie wohl hier.

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Italien - ToskanaItalien - ToskanaMänner aus dem Dorf begegneten einem, sie grüßten mittlerweile freundlich, zeigten auf Stellen im Fluß, die besonders schön waren, sie waren auf der Jagd, begleitet von aufmerksamen Jagdhunden, die man später in der Dorfmitte erschöpf liegend und schlafend wiedersah.

Man nahm sein Buch in die Hand, setzte sich auf einen der Felsen, hielt die Füße in das erfrischende Wasser und begann zu lesen, während Dutzende von farbenprächtigen Libellen und Faltern einen umschwirrten.
Es war heiß noch Anfang September und man erfrischte sich mit einem Bad in einem der Becken, lehnte sich an eine Felsen, genoß die Ruhe, nichts hörte man als das Summen und Schwirren der Flügel, manchmal ein paar Schüsse aus den Gewehren der Jäger, und döste weg aus der Welt, nickte ein wenig ein und holten den Schlaf nach, den man abends beim Essen und den stundenlangen Gesprächen zu verlieren begann.

Castiglione d’Orcia lag geografisch ideal. Man konnte nach einem ruhigen Tagesbeginn in zwei Stunden mit dem Käfer nach Rom fahren, parkte, ohne langes Suchen, in der Nähe des Vatikans, ging, ohne sich anzustellen, einfach nach San Pietro in die Vatikanischen Museen und versank für eine kontemplative Stunde oder mehr in der Sixtinischen Kapelle.

Es war dan Mittag und noch sehr viel Zeit für eine der wichtigsten und größten Sammlung der Welt, die  orientalische Altertümer (Altes Ägypten und Assyrien), klassische Antike (griechisch-römische Kunst), etruskisch-italische Altertümer (heutiges Italien vor der Römerzeit), frühchristliche und mittelalterliche Kunst (3.–14. Jahrhundert), Kunst von der Renaissance (15. Jahrhundert) bis ins 19. Jahrhundert, zeitgenössische Kunst und eine völkerkundliche Sammlung umfasste.Man trank dann in Ruhe einen Kaffee, ein Glas Wein und aß ein italienisches Brötchen mit luftgetrocknetem Schinken und war abends zum Essen wieder zurück in San Quirico d’Orcia beim Brunello.

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Nach Siena war es höchstens eine Stunde, nach Florenz etwas mehr. Man besuchte ohne Hektik und Warteschlangen die Uffizien oder den Palazzo Pitti, genoß die Sünden im Nannini und beichtete diese dann im Dom unweit der Piazza del Campo; und war jeweils am späten Nachmittag zum Sfumato wieder zurück.
Dass die Straßen in der Toskana, vor allem die E35 so leer waren, dass Schlangen vor den Uffizien, San Pietro und den Museen des Vatikan fast unbekannt waren Anfang September, wenn die Ferien in Italien zuende waren, lag daran, dass die Massen im Tourismus noch nicht unterwegs waren. Kunst und Kulturgenuss damals waren wie heute zu Zeiten von Corona und man sieht daran, dass Kunst und Kultur schon mehr als vierzig Jahre im Lockdown sich befinden; wie lange soll das noch so weitergehen.

Italien - ToskanaMan hat in 2019 ermittelt, dass von den Millionen Besuchern des Louvres weniger als zwanzig Prozent weiter gehen als bis zur Mona Lisa, wie sie die geheinisvolle Schöne der Renaissance als Hintergrund für Selfies benutzen.

Die vielen Säle mit den zahlreichen Kunstwerken von Weltgeltung interessieren diese Banause und Dümmkopfe nicht die Bohne und all‘ jene, die gerne die Museen besuchen würden, haben frustriert aufgegeben. Im Sommer z.B., wenn man nach einer drei Monate vorher geglückten (klappt nicht immer) elektronischen Anmeldung, die so tut, als wäre sie eine Reservierung, die Alhambra in Grenada endlich besichtigen möchte, kann das Warten in der Schlange auch dann noch vier bis fünf Stunden dauern; und es kann heiß werden in Grenada.

Italien - ToskanaBei vierzig Grad in der Schlange kommen dann, um einem Hitzschlag vorzubeugen, Angestellt und versprühen per Schlauch Wasser über den Köpfen der Wartenden; Pech für Föhnfrisuren und BH-los unter weißen Blusen, die geilen Machos freut das natürlich um so mehr.
Nur San Gimingnano war auch Ende der 70er schon ein wenig voll, aber ein kurzer Ausflug z.B. nach Pienza verband die Überraschung, eine der architektonisch interessantesten Städte der beginnenenden Neuzeit in der Toskana mit dem ganz speziellen italienischen Flair der Renaissance zu verbinden; kaum Besucher sah man damals dort, nicht einmal auf dem Platz vor dem berühmten Dom. Alle heute so berühmten Städte der Toskana lagen in Reichweite, San Quirico d’Orcia, Grosseto, Perugia, der Lago di Bolsena mit der Sensation Pittigliano und der Lago di Trasimeno mit dem schönen Pozzuolo.

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Italien - ToskanaSan Quirico d’Orcia war jede Mühe wert, vor allem einen damals nioch beschwerlichen Weg zu den heißen Wassern, den Bagni di Vignone, die etwa 3 km außerhalb des Ortes liegen. Ein paar Italienerinnen und Italiener lälteren Datums genossen die Heilwässer, was uns Jungen damals weder bekannt war noch erstrebenswert erschien.
Wir wussten nichts von Wellness noch hatten wir ein Bewusstsein über die heilende Wirkung der Thermalwässer, die die Römer bereits seit zweitausen Jahren kannten. Also schauten wir den Badenden wohl ein wenig verständnislos aber wohlwollend ob ihres fortgeschrittenen Alters zu, nenossen die Landschaft und das Aqua Minerale zum Cappuccino später im Zentrum des Ortes.
Heute sind die Bagni di Vignone in ganz Europa bekannt und ein Plätzchen darin zu ergattern dürfte bald so schwierig sein, wie einen Eintritt in die Uffizien oder in die Alhambra.

Italien - ToskanaGegen Ende Semptember wechselte das Wetter in der Toskana, Regen und Gewitter zogen auf, der Himmel wurde für zwei-drei Stunden rabenschwarz und ordentliche Stürme liefen Überflutungen kurzzeitig vorweg; der Herbst zog ein und es wurde Zeit, zu gehen. Wenn man die Abfahrt zu sehr hinauszögerte, zeigten die kurvenreichen, schmalen Straßen durch die sanften toskanischen Hügel ihr zweites Gesicht und schnell steckte man fest in Wassern, die sturzbachartig die Straßen inner- wie außerorts herunterschossen, ein Weiterfahren war für Stunden, manchmal für Tage unmöglich. Felsen, Geröll, Sand und Gehölz verserrten die Weiterfahrt; strada ciuso.
Dann blieb man eben etwas länger und die Heimat durfte noch ein paar Tage auf die neuesten Narrative, so sagt man ja heute, und ein paar Liter unkonservierten Brunello warten, was eine fehlende Kanalisation und die Lust, die Heimfahrt noch etwas hinauszuzögern verursacht haben.

Alora, es war schön mal wieder in Castiglione d’Orcia gewesen zu sein.

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