Palermo - Seite 4

Faszinierendes, lärmendes Chaos

In der Albergaria. Normannenpalast und Capella Palatina.

Normannenpalast, Palermo, Sizilien
Normannenpalast-Palermo, SizilienDer Normannenpalast entstand im 9. Jhd. als Sommerresidenz des Emirs von Palermo, also in der Zeit der arabischen Besetzung. Er steht an der höchsten Stelle des mittelalterlichen Stadtgebiets auf einer Erhebung zwischen zwei Flussläufen und auf seiner Südseite zur Via del Bastione hin blickt man über die Dächer von Palermo, in Richtung Ostseite befindet sich vor dem Palast die Piazza del Parlamento, die in die Piazza Vittoria mit der Parkanlage der Villa Bonanno übergeht.

Sein offizieller Name ist: Palazzo reale, also Königspalast, und den hat er vom Normannen Roger II., der die Sommerresidenz des Emirs zu seinem Regierungssitz umbauen ließ.

Unmittelbar fällt der architektonische Stilmix auf. Man erkennt an einigen Stellen noch die alte Fassade aus der Normannenzeit, heute mit den sichtbaren Verzierungen von Blendarkaden. Im Blick zur Piazza del Parlamento, dem heutigen Regierungssitz, sehen Sie die Torre Pisana, den letzten noch erhaltenen Turm aus der Zeit der Normannenherrschaft.

Das südliche wie östliche Erscheinungsbild stammt aus der Zeit der Renaissance, die sich architektonisch fortsetzt hinter dem Haupteingang, der sich heute auf der Westseite des Palastes an der Piazza Indipendenza befindet, in einem mit Renaissancearkaden bestückten Innenhof.

Über den Innenhof im ersten Stock betritt man die Capella Palatina, von Roger II. einst als Hofkapelle im arabisch-byzantinisch-normannischen Stil errichtet. Sie ist ein sichtbares Stück typisch sizilianischer Geschichte, die an einigen Stellen die Architektur mehrerer Herrschaftsepochen erhalten hat.

Capella Palatina,Palermo, Sizilien, ItalienDie Wände der Capalla sind über und über mit Goldgrundmosaiken bedeckt und reich an Motiven aus byzantinisch-christlicher Zeit. Daneben findet man zahlreiche normannische Mosaiken, wie man sie kaum ein zweites Mal finden dürfte sowie Elemente aus den arabischen Epochen.

Ihre ganz außergewöhnliche Atmosphäre umgibt die Besucher gleich nach dem Betreten der Kirche und man fühlt sich, als würde man Teil einer räumlichen Ikone, als befände, bewegte man sich mitten in einem Kultbild des byzantinischen Ritus.

Wenn es Zweck der Ikonen ist, Ehrfurcht zu erwecken und eine existenzielle Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten zu sein, indirekt auch zwischen dem Betrachter und Gott, dann ist das hier in einem ikonografischen Raum gelungen. Entsprechend fällt auch die Stille, die Andacht auf, die sich in der Palatina sofort ausbreitet, gleich wieviele Menschen dort gerade anwesend sind.

Die Weihe der Palatina fand 1140 n.Chr. statt und das Mosaik in der Kupel ist auf 1143 datiert. Die Besonderheit dieser Kapelle liegt darin, dass sich in ihr die Tradition des byzantinischen und des römischen Rituals vorzüglich verbinden. Nach dem byzantinischen Ritual, das auf Sizilien seit dem 8.Jhd. vorherrschte, ist die Ikonografie vertikal zu lesen wie etwa in der La Martorana, die unweit der Quattro Canti an der Südseite der Piazza Bellini neben der Kirche San Cataldo liegt, also ausgehend von der Kuppel nach unten zum Boden. Nach westlicher, lateinischer Tradition ist sie horizontal zu lesen, also von vorne, der Apsis nach hinten wie etwa in der Kathedrale von Monreale, etwa 13 Kilometer von Palermo entfernt.

Capella Palatina,Palermo, Sizilien, ItalienWährend der Boden mit herrlichem Marmor und Porphyr, also vulkanischem Gestein, ausgelegt ist, zeigt die Decke erstaunliche arabische Schnitzkunst in Art von Muquarnas, wie wir sie auch in einigen Kirchen in Palermo finden und hier auf der Seite schon vorgestellt haben.

Beeindruckend die massiven Marmorsäulen mit korinthischen Kapitellen, einige zeigen arabische Sklaven, die die Last auf ihren Schultern tragen und die nach der normannischen Eroberung als Demonstration ihres Sieges angebracht worden waren.

Einige der Mosaiken an Kuppel und Wänden gehören zu den schönsten, die man heute auffinden kann. In der Kuppel findet man die Darstellung von acht Engeln, die sich um Christus als Pantokrator schaaren, an den Seitenwänden die Darstellung des Lebens Christi und seines Jüngers Paulus sowie weitere Episoden aus dem Evangelium.

Die meisten der Mosaiksteine bestehen aus farbigem Glas, das mit Auflagen von Blattgold verziert ist, was die einmalige und atemberaubende Stimmung in der Palatina neben dem farbigen Marmor mitbestimmt. Die Capella Palatina gehört in jedes Besuchsprogramm ob ihrer Einzigartigkeit und wegen ihres besonderen Stellenwert als kunst- und kirchengeschichtlich bedeutendes Bauwerk.

chiesa s.giovanni degli eremiti, Palermo, Sizilien Die Chiesa S.Giovanni Degli Eremiti ist ein normannisches Kirchengebäude, dessen Architektur aus mehreren Teil aus unterschiedlichen Epochen besteht. Sie wird gerne von den beiden sehr freundlichen Halsabschneidern vor dem Eingang im Mix mit der südlich des Komplexes stehenden barocken Kirche San Giorgio in Kemonia vermarktet.

Für die zehn Euro pro Person gibt es außer Unkraut im zerfallenen Klostergarten wenig zu sehen; aber freundlich waren sie schon, die beiden  Banditen. Dafür entschädigt der wunderschöne Kreuzgang, aber den hätte es auch umsonst gegegeben.

Die Eremiti suggeriert mit ihren roten Kuppeln auch eine ältere Tradition, die sie aber nicht hat. Die rote Farbe entstammt dem 20. Jhd. und der Profitgier, die zudem noch die Bewohnung durch Eremiten suggeriert, was auch nicht stimmt, geht der Name doch schlicht und ergreifend auf den heiligen S. Ermete zurück, dem die Kirche, die hier am Platze im 6. Jhd. einst stand, die aber spurlos perdu ist, gewidmet war.

Lange Zeit war die Kirche Kloster eines Benediktinerordens aus dem nahen Monreale und, nachdem man die im Mittelalter hinzugefügten Stuckarbeiten wieder entfernt hat, zeigt sie sich in ihrer ganzen normannischen Schlichteit eindrucksvoll.

Wer immer dieses Kirchenensemble mit soviel Lüge bzw. Halbwahrheiten zum Behufe der Einnahmensteigerung belegt hat, ist nicht bekannt; der Teufel soll ihn holen.

Chiesa del Gesù, Palermo, Sizilien

Chiesa del Gesù, Palermo, SizilienChiesa del Gesù, Palermo, SizilienChiesa del Gesù, Palermo, SizilienIn der Albergaria gibt es noch eine Kirche, die man auf keinen Fall unbesucht lassen darf, die Chiesa del Gesù. Zwischen 1568 und 1584 erbaut gilt die römische Gesù, deren Kopie die sizilianische fast genannt werden kann, als der Prototyp einer Jesuitenkirche.

Ihre Erbauung fällt in die gleiche Zeitphase wie die römische Mutterkirche, ihr Grundriss, ja ihre Innenausstattung fallen mehr als nur ähnlich aus. Ihre Gebäudestruktur war Vorbild für zahlreiche barocke Kirchenbauten in ganz Europa, wie beispielsweise auch in Deutschland die St. Michael in München, St. Ignatius und Franz Xaver in Mannheim und St. Martin in Bamberg.

Typisch für alle Jesuitenkirchen sind der kreuzförmige Grundriss sowie der dreischiffige Innenraum, der allen Gläubigen erlaubt, von jeder Stelle der Kirche aus der Predigt zu folgen und Sichtkontakt zum Altar zu halten.

Die Fassade ist schlicht gehalten und wird durch ein Gesims in zwei Sektionen geteilt.
Im unteren Bereich findet man drei Portale, darüber Nischen mit den Skulpturen von Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, einer Madonna mit Kind und Francisco de Xavier, im deutschsprachigen Raum bekannt als Heiliger Franz Xaver.

Er war einer der Wegbereiter christlicher Mission in Asien und Mitbegründer der Gesellschaft Jesu und lebte und wirkte ganz im Geiste der von Martin Luther ausgehenden Reformation.

Von reformativem Gedankengut ist allerding innen in der Gesù wenig zu erkennen. Hier überwiegt ausschweifender Barockstil aus vielfarbigem, fein gearbeiteten Marmor, üppige Stuckaturen und großdimensionierte Fresken. Insbesondere die marmornen Reliefs mit ihren figürlichen und ornamentalen Motiven an den Pfeilern und die perspektivisch angelegten Marmormosaike sind einzigartig und in einer Fülle vorhanden, die selbst in der sizilianischen Variante des Barocks selten zu finden ist.

Diese besondere Ausprägung des italienischen Barock wird gekennzeichnet durch eine Fülle an Masken und Putten, die mit ihren meist strahlenden oder lachenden Gesichtern häufig an Balkonen, Zierleisten oder an Säulen, hauptsächlich in Kirchen zu finden sind.
Marmorintarsien in jeglicher Ausführung gehören dazu wie Balkone und Geländer in aufwendigen, schmiedeeisenen Ausführungen von größter Qualität und Treppenaufgängen, die der Spanischen Treppe in Rom nachempfunden sind.
Zu den Marmorintarsien kommt fast immer der örtlich vorhandene Lavastein hinzu und mit seinen schwarzen oder grauen Einschlüssen im Gestein diente er der Zierde und unterstreicht die besondere Liebe des Barocks zu Licht- und Schattenspielen.

Ein gewisses Schmunzeln provozieren die seit dem Ende des 16. Jhs. von den sizilianischen Architekten gerne genutzten verzierten Steinoberflächen an Wänden und Säulen, die mit Reliefs von Laubwerk, Fischschuppen und sogar Süßigkeiten oder Muscheln geradezu übersäht sind, wobei Muscheln in späterer Zeit zum gängigen Dekorationselement des Barockstils aufstiegen.

Weitere Merkmale sind die auf den Kirchen oder in deren Dach integrierten und nicht mehr wie sonst in Italien üblich freistehenden Glockentürme, sowie abgeschrägte, nach innen oder außen gewölbte Fassaden der barocken Kirchen, die man auch an Villen oder Palazzi, wie etwa den Quattro Canti findet.

Bitte lesen Sie weiter auf Seite 5: In die Viertel La Loggia und Seralcadio.

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