München-Venedig - Seite 2

Zu Fuß über die Alpen

Das hält uns nicht ab, uns am nächsten Morgen früh auf den Weg zu machen und an der Förster Luitpold Alm vorbei über den Rißsattel und am Rißbach entlang zur Österreichischen Grenze zu wandern.
Ich darf an dieser Stelle eine – wenn auch ganz überflüssige – Empfehlung für die sehr leckere bayerische Küche aussprechen, die das Gasthaus Post in Vorderriß serviert. Die Empfehlung ist überflüssig, weil man an dieser Stelle der Wanderung – es ist Mittag – so ziemlich alles essen würde. Aber es ist eben nicht irgendetwas, sondern bayerisch vom Feinsten. Der Tag endet in Hinterriß beim Wein mit Blick auf die Hirsche im kleinen Wildpark des Jagdschlosses Hinterriß. Das Jagdschloss wirkt etwas verkommen. Wie man hört, streiten sich die Erben und keiner gibt Geld aus. Die Grenze nach Österreich liegt hinter mir.
Tags drauf durchwandert man den Kleinen Ahornbogen in Richtung Hochalmsattel. Eine Natursensation von einladender Schönheit. Ich habe Glück mit dem Wetter. Die Alpen zeigen sich von ihrer allerbesten Seite.

Der sechste Tag endet am Karwendelhaus. Die Wanderer, denen man unterwegs und auf den Hütten begegnet, sind eine ausgesprochen freundliche und hilfsbereite Spezies Menschen zwischen 8 und 80. Die meisten wollen natürlich nicht von München nach Venedig, sondern sind Tagesausflügler oder wollen vielleicht eine Woche mit Freunden das Karwendelgebirge erkunden.
Ein paar Tage später werde ich eine Mitte 70-jährige Wanderin treffen, die es mit ihrer Familie den gesicherten Klettersteig durchs wirklich steile Val Setus zur Lavazza-Hütte in den Dolomiten hinauf geschafft hat. Leute gibt’s!

Aber zurück ins Karwendel. Man nächsten Morgen wird es gleich am Schlauchkar richtig alpin. Der Aufstieg zum Schlauchkarsattel ist zwar relativ harmlos und doch die kräftezehrendste Sache der gesamten Alpenüberquerung. Es geht 1000 Höhenmeter rauf, aber das sind gefühlte 2000 Meter, denn man geht über sehr lockeren, rutschigen Schutt, wie man ihn nur hier im Karwendel und dann später wieder in den Dolomiten findet, auf dem man nach jedem Schritt aufwärts mindestens einen halben Schritt abwärts rutscht.
Ist das Raufgehen meditativ? Eher nicht. Man denkt in Schimpfworten.
Oben am Pass angekommen teilt man sich das Schnittchen mit den ersten Alpendohlen, die hier auf einsame Wanderer zu warten scheinen.

Ab hier wird der Weg ziemlich einsam. Die meisten der wenigen Wanderer, die bis hier gefolgt sind, wollen ins Karwendeltal zurück. In der anderen Richtung, beim Abstieg ins westliche Schlauchkar ist man dagegen allein. Übrig gebliebene Schneebrücken überqueren den Bach. Man mußte aufpassen, welche noch stabil sind. Hier möchte man nicht verloren gehen. Der Weg ins Tal ist nun wirklich meditativ. Ich war als Städter noch dabei, erste Bergerfahrung zu machen, hatte die Weglänge unterschätzt und nicht genug zu essen mitgenommen. Ich bekam Pudding in die Knie.

Unten biegt man ins Quelltal der Isar ein und erreicht die idyllische Kasten-Alm, bei gutem Wetter ein Paradies mit Milch und Bergkäse. Aber noch war der Tag nicht geschafft. Noch fehlten ein paar Kilometer ins Lafatschertal und zum Hallerangerhaus. An diesem Tag ist man ohne weiteres zwölf Stunden auf den Beinen. In dieser ersten Woche ist offenbar viel mit meiner Fitness passiert.

Beim Frühstück stehen die Lafatscher Berge schon in hellem Sonnenlicht. Am 8. Tag: Aufbruch zum beeindruckenden aber nicht gar so schwer zu gehenden Lafatscher Joch mit tollem Rundumblick. Das Joch liegt bei weitem nicht so hoch. Ein Spaziergang gegenüber dem gestrigen Weg, aber eine tolle Rundumsicht. Das Wetter zeigt sich nach wie vor von seiner besten Seite. Man sieht nach unten ins Inntal.

München-Venedig, zu Fuß über die AlpenIch hüpfe buchstäblich den Bergweg hinunter, so wie Kinder Kästchen springen. Meine Laune ist offenbar die beste. Am frühen Nachmittag komme ich in Hall in Tirol unten am Inn an.

Es ist Sonntag. Zunächst ist kaum jemand in der Stadt zu sehen, aber aus der Ferne hört man einen Chor in den mittelalterlichen Straßen singen. Was ist hier bloß los?

Niemand da, aber Schubert-Lieder klingen vom Markt her. Schnell finde ich den Grund. Heute läuft gerade ein Sängertreffen in der Stadt. Das lasse ich mir gefallen. Ein paar Straßen weiter, auch hier ist so gut wie niemand, aber auch hier hört man noch deutlich die Chormusik, suche ich mir ein Restaurant und lausche dem Konzert. Während des Essens draußen auf der Terrasse ist eine schwarz gekleidete Nonne der einzige Mensch, der sich blicken lässt und durch die leeren Straßen voll Musik auf mich zukommt.

Am kommenden Morgen geht es über die schöne alte Holzbrücke, die in Hall über den Inn führt, in Richtung des Lager Walchen wieder in die Berge. Hier übt die Nato, und die Gegend ist Sperrgebiet, aber nicht für einfache Wanderer.

Ich suche die Lizumer Hütte. Es ist noch recht früh im Wanderjahr, erst Mitte Juni, und die Hütte ist noch nicht geöffnet, hat aber einen Winterraum. Hier treffe ich auch meine anfänglichen Begleiter wieder, die ich ein paar Tage lang nicht gesehen habe. Jeder hat halt sein Tempo.
Jetzt nach mehr als einer Woche guten Wetters wird der Nachmittagshimmel wieder unsicherer. Ein Gewitter zieht auf. Zum Glück sind wir im Schutz der Hütte und nicht unterwegs.Außerdem habe ich offenbar etwas Falsches gegessen. Das hat die entsprechenden Konsequenzen.

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