Seßlach

Über die Macht

Die unbekannte Stadt im Brennpunkt der Geschichte.

Seßlach - Bayern

Seßlach - BayernSeßlach - BayernWir haben bereits die wichtigsten Punkte aufgeführt, die eine Verbindung schlagen zwischen einer deutschen Kleinstadt und der großen Geschichte Europas – nachzulesen hier. Was lässt uns diesen kleinen Ort im oberfränkischen Landkreis Coburg in den Rang einer paradigmatischen Betrachtung über Macht und Geschichte erheben?

Wir haben beschrieben, was dieser Ort in seiner Geschichte alles erlebt, erduldet ud erlitten hat. Angefangen im Jahr 873 mit einem Enkel Karls des Großen, dem Gaugrafen Asis, über den Elfstädtebund (1399), den Bauernkrieg (1525), den Dreißigjährigen Krieg (1640) bis hin zu dessen Vereinnahmung ins Königreich Bayern 1810 in den Zeiten der Napoleonischen Kriege.

Seßlach war über eintausend Jahre nichts anderes als ein Spielball der Macht wie unzählige Orte auf deutschem Boden auch. Was ist dem Ort geblieben von der blutigen Auseinandersetzung zwischen Karls großen Bestrebungen, die heidnischen Sachsen der römisch-katholischen Kirche, dem Papst, zu unterwerfen? Was hatte Seßlach von Karls imperialen Bestrebungen, mit der Unterwerfung der Langobarden das Weströmische Reich wiederenstehen zu lassen? Nichts! Was brachten die Dänen dem Ort und der Region? Was die Schweden? Was die Fanzosen? Nichts, außer Brandschatzungen, Plünderungen, Hunger, Krankheit und Tod.

Karls und mnittlerweile zugleich das deutsche Pantheon steht in Aachen, durchaus ein für deutsche Verhältnisse beeindruckender und geschichtsträchtiger Bau. Rom und Paris haben ihr Pantheon, Madrid den Palacio Real, alle großen europäischen Städte verehren ihre „Helden“ an bestimmten Orten, meist innerhalb ihrer Metropolen. Dort feiern die verschiedenen Mächte, religiöse und weltliche, sich selbst, werden Krieg, Leid und Tyrannei selbstherrlich als Siege gefeiert, bar jeder Einsicht in die Geschichte und die Evidenz ihrer maßlosen Gewalt und Brutalität.

Seßlach - BayernSeßlach - BayernSeßlach hat nichts zu feiern. Und so geht es allen Orten, Städten und Regionen in Deutschland. Siege wurden hier stets nur als vorübergehende Ereignisse gefeiert, wenn überhaupt. Wie soll auch in einem Gebiet, dessen Ausdehnung und Integrität in 7-jährigen, 100-jährigen, 30-jährigen Kriegen nebst Bauernkriegen und zwei Weltkriegen schneller wechselten als die Geschichtsschreibung und die Verwaltungsreformen hinterherkamen, etwas entstehen wie eine Identität? Wie soll ein nicht-revangistisches nationales Selbstbewusstein, gar etwas, auf das eine Nation noch stolz sein kann, entstehen, wenn große Niederlagen kleiner Etappensiege überdecken?

Bismark hat es versucht, der Kaiser und der „Führer“ auch und alle sind kläglich gescheitert. Wenn es etwas gibt an der Stelle nationaler Identität, wie dies in den europäischen Hauptstädten von Helsinki bis Lissabon, von London bis Athen aufzufinden ist, dann ist es die „deutsche Kleinststaaterei“ genannte Nicht-Identität.

Nicht-Identität bezeichnet einen jahrhundertelangen Proßess der Unterschiede in wechselnden Herrschaften, zahllosen Niederlagen, gescheiterten Bündnissen; daraus wird kein Nationalstolz, keine Grande Nation, keine Überlegenheitsphantasie mit ihren zallosen Narrativen; selbst wenn sie sich an die Zukunft richten wie das „Make Amerika great again“. Es besagt ja, Amerika war great and it is great. Die chinesischen Schwärmereien von einer Nation, die einst und bald wieder das Mittelreich der Welt war legen ebenso Zeugnis ab vom unbedingten Willen zur Macht seines uneingeschränkten Führers, Diktators, Tyrannen Xi Jinping; das hast er mit allen anderen Alleinherrschern gemeinsam.

Seßlach - Bayern

Seßlach - BayernSeßlach - BayernSeßlach - BayernSeßlach steht in keiner anderen als einer extrem negativen Beziehung mit allen diesen Vergleichen. Der Ort darf und muss sich vergelichen mit anderen Orten in Deutschland, die wir unter der Überschrift „Historische Orte“ in Deutschland aufgeführt haben. Dort finden wir Orte, die aus ihrer leidvollen Geschichte der Herrschaft und Unterdrückung durch Klerus und Adel ausgebrochen sind oder zumindest den Versuch machten. Orte, die bereits im Hochmittelalter Wege der Autonomie, der Selbstbestimmung, etwa in den Rathäusern, in den ständischen Entscheidungsgremien und politischen Aufständen gesucht, einige sogar gefunden haben. In Handelsorganisationen wie der Hanse genauso wie in und wenn auch nur lokal bedingten Verfassungen.

Aus diesen Unterschieden ist die deutsche Geschichte gemacht, nicht in Berlin oder in Aachen wie etwa in London, Madrid oder in Paris. Kleine Unterschiede sind die Elemente, aus denen die Kräfte von Fortschritt und Frieden entspringen. Dreimal hat Deutschland es groß versucht mit zwei Kaisern, Karl und Wilhelm, einmal mit einem selbsternatten Führer; dreimal ist Deutschland bzw. das, was Deutschland jeweils zu deren Zeiten war, gescheitert.

Seßlach hatte im Jahr 1840 gerade einmal noch 665 Einwohner, war bettelarm und hatte ein mittelalterliches Leprosorium auf einem „mons leprosorum“, das Nikolaus geweiht war und eine Sichkapelle.
Heute wohnen dort 4.140 Menschen ganz gut vom Tourismus und von den typischen deutschen klein- und mittelständischen Unternehmen, hat ein außergewöhnlich gut erhaltenes mittelalterliches Stadtbild und wurde als historische Filmkulisse bei manchen Cineasten überregional bekannt.

Nicht geschadet hat es dem Ort, als er sich am 09. April 1945 kampflos den anrückenden Amerikanen ergab. Selbstb die anschließende Teilung Deutschlands hat er überstanden, was nicht leicht war, verlor der Ort aufgrund seine Lage doch sein gesamtes Hinterland in Südthüringen. Als die Verbindungen dorthin und zur Nachbarstadt Heldburg abbrachen, orientierte man sich im Ort und in der Verwaltung mal wieder um und richtete seinen Blick gen Süden und Westen. Und nicht zuletzt seine Migrationspolitik, die für diese Region gänzlich untypisch war und ist, ließ durch die Ansiedlung zahlreicher Flüchtlinge und Heimatvertriebener das mittelalterliche Städtchen weit über seine historischen Stadtmauern hinaus wachsen, die Einwohnerzahl verdoppelte sich nahezu, große Neubaugebiete entstanden, neue Unternehmen siedelten sich hier an.

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