Was jeder gleich merkte, zwei Jahresabschlüsse waren ausgefallen wegen Corona. Um so freundlicher gelangen die Begrüßungen der Mitglieder untereinander, so, als hätte man sich schon länger nicht mehr gesehen. Fast schon verspätet wurde dann zu Tisch gebeten und ein üblicher Verlauf des Abends wurde erwartet. Aber wie kann man Beständigkeit erwarten und bewahren, wenn so vieles doch noch immmer im Fluss, im Umbruch ist?
Spätestens beim Verlesen der Namen der Verstorbenen aus zwei Jahren, die Bernd würdevoll vortrug und sich alle dabei von ihren Plätzen erhoben, wurde klar, es ist nicht üblich so wie die Jahre vorher. Die Liste war lang, entsprechend ruhig wurde es im Bistro. Manch einer an den acht Tischen kannte einen der Verstorbenen gut und erinnerte sich an zahlreiche Begebenheiten wie ich an die vielen angeregten Gespräche mit Hubertus von dem Knesebeck; R.I.P. Hubertus.
Natürlich wurde nach einem zeitlich angemessenen Abstand alsbald auch mit der obligatorischen Rede – hier Kings Speech genannt – unseres Leaders Bernd gerechnet. Die kam, aber nicht so, wie allenthalben erwartet worden war.
Da war wenig von einer vorweihnachtlichen Rückschau auf persönliche und sportliche Anekdoten, im Gegenteil. Bernd hatte ein durchaus auf solchen Anlässen unübliches Thema gewählt.
Etwas noch über Corona, etwas mehr über den Krieg in der Ukraine, aber überwiegend über den Stand unserer deutschen Politik im Hinblick auf die Resilienz der Marktwirtschaft – Kenner merkten schnell, es ging um die angesächsische Form, die liberale, nicht die soziale Marktwirtschaft.
Solch ein zu solchen Anlässen zumal unübliches Thema kann man kaum in einer, wenige Minuten dauernden, kurzweilig anekdotischen Weise präsentieren und so wurden, da zudem noch zwischen Vorspeise und Hauptgericht vorgetragen, nach zwanzig Minuten erste ermahnende Rufe laut: Bernd, mach Schluss, wir haben Hunger.
Hinzu kam, dass von den knapp 70 Anwesenden doch einige der Rede beiwohnten, die nicht allen Ausführungen von Bernd bezüglich der Situation und Zukunftsperspektive der liberalen Marktwirtschaft für uns in allem ungeteilter Meinung waren. Dafür stand allein schon der Zitatenbackground, den Bernd beim Volkswirt Sinn und beim Journalisten Steingart gewählt hatte.
Wie dem auch sei, ganz unüblich im Thema hatte sein Vortrag etwas von einer gutgemeinten Provokation im feierlichen Erwartungshorizont, allein es fehlte ein äußeres Zeichen dafür, eine dicke Zigarre in memoriam an den ehemaligen Kanzler Erhard, ein Joint zur Erinnerung an die Zeiten der Provokation in den 68gern o.ä. Man konnte sich des Eindrucks nicht werwehren, Bernd war durchaus vorbereitet für einen mehrstündigen Auftritt zur Marktwirtschaft, hatte aber dann doch ein Einsehen, den Bedürfnissen der Seniorinnen und Senioren nach dem Hauptgang zu entsprechen und sich einer Amtsenthebung im Tumult präventiv zu entziehen.
Dann kam ein üblicher Teil der Veranstaltung, der Hauptgang in gewohnter, hervorragender Qualität, für die Birgit und das Team aus Küche und Service einmal mehr gesorgt haben und was dann auch durch einen frenetischen Applaus mit hörbaren „Bravo“ Rufen bedankt wurde; Bernds Vortrag hatte diese leidenschaftliche Nähe der Anwesenden leider nicht ganz erreicht, aber der Magen ist in solchen Situationen dem Kopf ja stets um Längen voraus.
Unvermeidbar und wegen des Zweijahres-Turnus wurde die Siegerehrung der Netto- und Brutto-Sieger 2021 und 2022 zu einer zeitraubenden Veranstaltung, die kaum Raum ließ, für „Stimmung“ zu sorgen, bis auf das kleine narrative Sieger Tête-à-Tête, welches vom notorischen Brutto-Sieg Ursurpator Rolf Kämmerling dem ewigen Jahres-Zweiten, Alexander Görgel angetragen wurde. Die Übergabe von Tellern und Schalen, mit und ohne Gravuren, in Silber und Stahl-Ausführungen hinderte einige Zeit an der Ausgabe der Nachspeise, die einmal mehr überraschend gut gelungen war; Chapeau!
Und weil Bernd nicht nur ein Meister des provokanten Vortrages ist und durchaus Gehör und Gespür für die Stimmungen im Saal hat, schloss er seinen Ausblick auf das nächste Jahresabschlusstreffen 2023 mit dem Versprechen, sich dort kürzer zu fassen, was ich bedauern würde; er könnte, wie gesagt, ein wenig an der Performance arbeiten, es muss ja kein Joint sein.
Nach Vortrag, Obligos und Haute Cuisine war die Zeit schon weit an Mitternacht herangeschritten, auch unüblich angesichts des anwesenden Altersdurchschnitts. Trotzdem sah man an allen Tischen angeregte Gespräche und wenig Lust, die Veranstaltung ‚gen Home Life zu verlassen. Wir halten fest: es war eine schöne Veranstaltung mit starken Erinnerungsmomenten und jeder hofft wohl, dass weitere Ausfälle, aus welchen Gründen auch immer, nicht folgen werden.
