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Impressionen aus Lissabon

Lissabon - Portugal

Was sind Leben und Liebe in einer Stadt, die den Tod, Verlust und Zerstörung wie kaum eine andere kennengelernt hat? In einer Stadt, in deren Reihe die Sonne einst nie unterging? Die da einst die Hauptstadt eines Weltreichs von grenzenloser Größe, Macht und unendlichen Reichtum war?

Im Jahr 1256 wurde Lissabon in der Regentschaft von Alfon II. zur Hauptstadt von Portugal, folgte Coimbra also, das seine Bedeutung als Sitz potugiesicher Macht verlor und in den Wissenschaften wiederfand. Der Macht folgten 1344 erst Erdbeben dann on September 1348 bis Anfang 1349 die Pest. Danach war die schöne Hauptstadt fast völlig zerstört, die Bevölkerung von ganz Portugal um ein Drittel leichter, Lissabons Leben war dezimiert.

Die Liebe in der Stadt am Tejo war stets tragisch, geführt durch Macht und Ranküne, getrieben von Eroberung und Verlust wie das ganze Land. Sie blühte kurz auf in der Zeit der Ferdinandinischen Kriege und dem nie enden wollenden Zwist zwischen Ferdinand I. von Portugal und den Königen des Hauses Trastámara um den Thron von Kastilien. Der brachte Heinrich II. durch Mord an seinem Halbbruder Peter I. im Ersten Kastilischen Krieg auf den Thron und besiegelte im Frieden von Alcoutim Liebe und Leben der portugiesische Adligen Leonore Teles de Menezes. Sie hatte Ferdinand I. aus Liebe geheiratet, obwohl ihr Vertrauter den Frieden durch seine Verpflichtung, eine Tochter Heinrichs II. zu heiraten, persönlich besiegelt hatte. Verärgert über den Vertragsbruch griff Heinrich II. nach der Hochzeit Ferdinands mit Leonore Portugal an und plünderte im Jahr 1373 Lissabon. Welch‘ schweres Schicksal für Liebe und Land.

Kaum zehn Jahre später kam die königliche Macht das erste Mal unter die Räder einer Revolution, vielleicht der ersten „bürgerlichen Revolution“ auf eEuropas Kontinent, lange vor der berühmten, französischen. Leonores Liebe verlor dabei ihr Leben und die Witwe nahm sich Macht und Liebhaber an dessen statt. Für ganze sechs Wochen hielt dies „Bündnis“, bis Bürger und niederer Adel von Porto und Lissabon gemeinsam auch die letzten Reste einstigen Ruhms und Ehre hinwegfegten, allen voran an der Spitze des Aufstandes der spätere König Johann I.Er tötete eigenhändig Leonores Liebhaber und zwang Leonore ins Exil nach Kastilien.

Leonore Teles de Menezes hatte nun alles verloren. Als Ehefrau König Ferdinands I. von Portugal war sie von 1372 bis 1383 Königin und nach dem Tod ihres Gatten von 1383 bis 1384 nach Theresia von León die zweite Frau, die Portugal als Regentin regierte. Nach ihrem Sturz undx dem Ende der Macht des Hauses Avis, hatte sie auch ihre zweite Liebe und zudem ihr Ansehen verloren und wurde fortan bis heute von den Portugiesen „a aleivosa“, die Betrügerische genannt.
Mit ihrem Ende begann unter dem vierten Sohn des portugiesischen Königs Johann I. und seiner Frau Philippa of Lancaster, Bruder von Ferdinand dem Heiligen und des portugiesischen Königs Eduard I., Heinrich der Seefahrer, die große Zeit der portugiesischen Seefahrt. Heinrich legte um 1430 die Grundlagen für Portugals Aufstieg zur Seemacht und Lissabon florierte als deren wichtigster Hafen.

Fünfhundert Jahre überdauerte die portugiesische Kolonialgeschichte, die das erste tatsächliche Weltreich und das am längsten bestehende Kolonialreich Europas beschreibt und ihren ersten Höhepunkt fand, als Vasco da Gama 1498 den Seeweg nach Indien entdeckte. Portugal wurde durch den Handel mit Indien zur führenden Handels- und Seemacht des 15. und 16. Jahrhunderts. Bis in das 17. Jahrhundert erwarb es Kolonien in Amerika, Afrika, Arabien, Indien, Südostasien und China, bis Briten, Franzosen und Niederländer bereits im 17. Jahrhundert das Ende des portugiesischen Kolonialreichs einläuteten.

Wer denkt in solchen Zeiten an Identität, wenn Unbeständigkeit das einzig Beständige ist? Als in der Mitte Europas die Idee der Aufklärung sich durchsetzte und die Idee eines freien, mit sich selbst seelisch vertrauten Bürgers auf den Barrikaden der Bastille die neue Zeit politisch erkämpfte, lagen Portugal und der alte Seehafen von Lissabon in den Scherben ihrer Geschichte. Lissabon erfand da den Fado neu. Und viele Jahre später sang Fernando António Nogueira de Seabra Pessoa den alten Fado in die neuen Gedichte und die Sonetten, in die literarischen Vorstellungen seiner Figuren Alberto Caeiro, Álvaro de Campos und Ricardo Reis.

Literaturwissenschaftler nehen Reis, Caeiro und Camos ihre Namen und ihre Leben und nennen sie Heteronyme; welch‘ ein Verbrechen! Reis, Caeiro und Camos sind so sehr Pessoa, dass er selbst sich von keinem der Dreien mit der Zeit mehr unterscheiden konnte; auch nicht wollte. Wer lüstern auf Identität die Vier betrachtet, wird nichts zu sehen bekommen. Und dabei ist doch alles so einfach: So weit Pessoa sich erinnert, wurde Ricardo Reis im Jahr 1887 in Porto geboren. Leider blieb Pessoas Erinnerung lückenhaft, sein Ordnungssinn mangelhaft und somit der Monat und der Tag der Geburt unbekannt; wo Pessoa die genauen Geburtsdaten hin verlegt hat, blieb unbekannt. Reis wurde Arzt und lebt gegenwärtig in Brasilien.

Zwei Jahre später kam Alberto Caeiro zur Welt, die er, so viel scheint sicher, bereits nach 26 Jahren wieder verließ. Zeitlebens war er ungebildet und ohne Beruf. Besser erging es da Álvaro de Campos. Er wurde 15. Oktober 1890 um 1:30 Uhr nachmittags geboren, das wissen wir genau. Auch dass er in Glasgow studiert hat, als Schiffsbauingenieur gearbeitet hat und nun in Lissabon lebt, ohne einer Tätigkeit nachzugehen.

Für alle drei ist Pessoa der Meister. Für Pessoa sind ihre drei Identitäten, ihre Lebensgeschichten nicht leicht nachzuvollziehen und deshalb ist auch seine Beziehung zu den Dreien rätselhaft. So wie die Gedichte, die meist ohne Rhythmus sind. Wie alltäglich urbanes Leben sich in lyrischen Erzählungen auflösen. Wie Genie und Wahnsinn allerorts sich zu begegnen scheinen wie Zwillingsgeschwister. Und okkulte Vorstellungen und heidnische Handlungen inmitten portugiesischer Geschichte sich treffen.

So blieb es folgerichtig auch einem der drei geschwisterlichen Freunde überlassen, die Verse auf das Grabmal Pessoas im portugiesischen Nationalheiligtum, dem Hieronymus-Kloster in Belém, wo seine Gebein die letzte Ruhe fanden, zu setzten. Dort steht:
„Nein: ich will nichts. Ich sagte bereits, dass ich nichts will. Kommt mir nur nicht mit Schlussfolgerungen! Die einzige Schlussfolgerung ist der Tod.“

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