Weiße Stadt am Meer?
Vorsicht! Sanierungsarbeiten.
Was man zu allererst festhalten muss: Hier will uns jemand etwas weißmachen. Heiligendamm befindet sich noch in der Phase der Sanierung, vor allem an den Villen der Strandpromede.
Und was (fast) ein Skandal ist, in Beiträgen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wie in einigen Reiseführern wird so getan, als wäre Heiligendamm bereits völlig ausgebaut und bei bester Kondition. Dem ist ganz und gar nicht so.
Die „Schöne“ an der Ostseeküste, die „weisse“ Stadt wie sie gerne und oft genannt wird, hat erhebliche Flecken auf ihrem hübschen Sonntagskleidchen. Auch stören nicht unerheblich die Rammarbeiten am Strand die Ruhe am Ort und mit jedem Wellenbrecher, der zum Schutz vor den stürmischen Unbillen des Meeres in den Ostseeschlick gerammt wird, wird auch die Hoffnung der belogenen und so gebeutelten Urlauber auf entspannte Erholung zerstört.
Heiligendamm ist, was das angeht, ganz und gar nicht „heilig“ und hat bezüglich Marketing und Kommunikation so gar keine „weiße“ Weste.
Die Seebrücke hat man damals wohl auf Merkel’s Geheiß noch rausgeputzt und mit edlem Bangkirai belegt wie die Gebäude um das Grand Hotel hübsch hergerichtet und weiß gestrichen bis zur Sterilität eines OP-Saals. Aber wie das Politgeschäft um den G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 ein Riesenbluff auf Kosten der deutschen Steuerzahler war, bei dem man natürlich das internationale Publikum nicht über Bauruinen, Lärm und Schimmelfassaden informieren wollte, so ist der Ort bis heute als Urlaubsort ein Fake.
Wie das Kanzleramt es geschafft haben mag, die Presse davon abzuhalten, zu zeigen, wie es in Heiligendamm an der Strandpromedae wirklich aussieht, ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich haben die weiblichen und männlichen Pressehostessen der G8-Politik hübsche Zimmer und nettes Gebäck dort erhalten und als Folge der generösen Gipfel-Luxus-Verwöhn-Partizipation die Kameras immer schön vom Bau weggeschwenkt.
Vor dem Gipfel nächtigte der damalige US Präsident George W. Bush nach einem Besuch von Stralsund im Kempinski Grand Hotel, das aus einem Ensemble von 5 historischen Gebäuden besteht. Nach dem Gipfel, für den sogar die historische Villa Perle abgerissen wurde, die man heute wieder zur Sanierung fertig sehen kann, stieg die Kempinski-Gruppe 2009 aus dem Projekt wieder aus und stellte den Betrieb des Hotels wieder ein.
Unter den Hotelbetreibern, Einwohnern, Gästen und Lokalpolitikern war vorher so viel Zoff über das hübsche Örtchen entstanden, dass eine sinnvolle wie wirtschaftliche Nutzung der historischen Orts-Hinterlassenschaften über keinen gemeinsamen Nenner mehr kam.
Und selbst Dobbeljuh Bush, dem auch sonst außenpolitisch nichts gelungen ist, konnte mit seiner Übernachtung zur Besänftigung beitragen. Im Gegenteil. Der Betrieb des Hotels kam unter die nachfolgenden Eigentümer und so unter die Räder, dass, von endlosen, öffentlichen und gegenseitigen Vorwürfen gezeichnet, die „Grand Hotel Heiligendamm GmbH & Co. KG“ Ende Februar 2012 Insolvenz anmelden musste.
Nun führt ein Hannoveraner Steuerberater das Grand Hotel, die Villa Perle, einstiges Logierhaus, und sieben weitere, denkmalgeschützte Villen an der Promenade sollen historisch getreu nachgebaut werden. Finanziert werden soll das ganze über den Verkauf von in den Villen eingerichteten Ferienwohnungen.
Wie dem auch sei, als G8 Gipfel hat es funktioniert, als Urlaubsdomizil ist das Örtchen bis heute, also nach mehr als 9 Jahren nur bedingt geeignet. Wie man hört, streitet sich nach wie vor die lokale Politprominenz über die „Nutzung“, über die Frage, was aus Heiligendamm insgesamt in Zukunft werden soll, wie die Kesselflicker.
Dabei ist doch wohl klar, dass die, die die nicht unerheblichen Sanierungsarbeiten schlussendlich bezahlen werden, die G8-Follower, die sog. Investoren und Appartment-Eigentümer, natürlich auch die geeigneten Restaurants und Geschäfte nach sich ziehen werden und das erste Seebad Deutschlands und Kontinentaleuropas damit ein „mondäner“ Ort werden wird, hier gleichbedeutend mit steril und nichtssagend.
So wie die „nützliche“ Lüge hat die exklusive Ästhetik des Sterilen – schöner Widerspruch – hier lange Tradition. Im 19. und 20. Jahrhundert war das Seebad vornehmlich vom europäischen Hochadel im Gefolge des mecklenburgischen Herzog Friedrich Franz besucht und somit die Atmosphäre im Ort von Exklusivität und fürstlichen Riten geprägt. Mit der Wahrheit nahm man es sowieso nur dann ernst, war sie einem nützlich und so versuchte man damals schon, die eigene, rein auf materielle und genetische Faktoren beruhende Exklusivität durch bedeutende Kulturleistungen zu untersetzen. Dies gelingt natürlich dann um so besser, je mehr Vertreter aus Kultur und Kunst, damals vor allem der Literatur, die eigene, bloß formal bzw. rituell gebildete Anwesenheit bereicherte.
So kursierten Geschichten über Soirees mit Friedrich Schiller, Marcel Proust und Franz Kafka, die regelmäßig ihre Urlaube in Heiligendamm verbracht haben sollen, nur fand sich bislang kein Eintrag in Gästebüchern noch andere Belege.
Auch das hartnäckige Gerücht, dass der russische Zar hier gebadet und der reputationssüchtigen Community großen Glanz überzogen habe, ist mittlerweile nachweislich falsch.
Es hält sich noch das Gerücht, wenn nicht der Zar selbst, so wenigstens die russische Großfürstin Maria Alexandrowna Romanowa sei hier zu Besuch gewesen. Aber selbst das blieb bis dato unbestätigt.
Kein Zar, keine russische Großfürstin; aber, ja, der Rainer Maria Rilke war, bestätigterweise, unter den Gästen des Seebades; na also, wenigstens einer. So muss der Dichter für ordentliche Wertsteigerung der noch verwahrlosten Immobilien sorgen, obwohl auch das so ganz und gar nicht in seinem Sinne und Vermächtnis war.
Jenseits von Gerüchten und unwahren Geschichte sowie der unlauteren Lock-Kommunikation der Tourismusbranche hat die Wirklichkeit in Heiligendamm auch Vorteile. Ruinen, Zoff, fehlende Infrastruktur, also wenige Übernachtungsmöglichkeiten zu bezahlbaren Preisen, keine nennenswerte Zahl an Restaurants im Ort – aber eine tolle Eisdiele an der Promendae – und sonstige Annehmlichkeiten für Urlauber, ist Heiligendamm auch nicht überlaufen, ganz und gar nicht.
An der bildschönen Küste kann man fast allein in der Hochsaison zehn Kilometer in eine Richtung laufen, ohne mehr als einem Dutzend Menschen zu begegnen. Die paar Strandkörbe, die es zu mieten gibt, sind meist leer. Also auch am Strand wenig los.
Besitzer von deutschen Dackeln und anderen Kläffern nutzen den weiten Auslauf, ein paar Nackte ihre FKK Parzelle, beide an den jeweils deutlich beschilderten Strandabschnitten. Viele wohnen in Bad Doberan und besuchen Heiligendamm und Kühlungsborn für Tagesausflüge; nicht die schlechteste Entscheidung, wenn es um’s liebe Geld geht.
Also, Heiligendamm ist kein Vergleich mit dem letztgenannten Seebad; ehrlich! Sie finden den Link zum Artikel über Kühlungsborn demnächst in der Sidebar rechts.