Hering mit Mayonnaise.
Viele denken, das gibt es nicht. Doch, das gibt es. Am alten Hafen in Wismar bekommen Sie Hering mit Mayonnaise. Vielleicht muss man hier geboren und verwachsen sein, um darin eine Delikatesse zu sehen; nicht jedem Fremden gelingt das. Sollten Sie dann doch lieber Dorsch, schwarzen Heilbutt, Seelachs und als Süßwasserfisch Zander bevorzugen, dann finden Sie hier am wunderschön für den Tourismus restaurierten Alten Hafen jede Menge Restaurants, aber auch Fischerboote am Kai, die sich auf die Zubereitung dieser Fische spezialisiert haben.
Vom Kai aus haben Sie einen herrlichen Blick in den Sonnenuntergang Richtung Insel Poel, die der Wismarer Bucht Schutz vor stürmischer See und den gefürchteten Nord-Ost-Winden gibt.
Schutz war in Wismar immer ein großes Thema. Als 1276 die erste Siedlungsphase beendet war hatte Wismar eine alle Viertel umschließende Stadtmauer, deren Lage auch heute die Begrenzung der Altstadt darstellt und ursprübglich mit fünf Wehrtürmen versehen war, von dene aber nur einer noch steht.
Schutz war auch das Thema, als am 6. September 1259 sich in Wismar die Gesandten aus Lübeck und Rostock trafen, um über sich gegen die zunehmende und ruinöse Seeräuberei zusammenzuschließen; für Wismar datiert dieses Treffen den Beginn der Hansezeit. Wismar wurde im Mittelalter ein enorm wichtiges Mitglied der Hanse, dessen Bedeutung durchaus heute noch im Stadtbild sich erahnen läßt. Von 1238 bis 1250 entstand die Wismarer Neustadt und bereits in dieser Zeit erreichte die Stadt ihre bis ins 18. Jh. gültige Ausdehnung.
1280 bildete Wismar an der Hansischen Ostseestraße zusammen mit Stralsund, Rostock, Lübeck und Hamburg den Wendischen Städtebund, der der Sicherung der Handelswege zu Land und zur See diente und der gleichzeitig die Keimzelle der Deutschen Hanse war. Die Hanse bescherte ihren Verbündeten enormen Wohlstand über mehr als zwei Jahrhunderte, führte aber auch zu machtpolitischer Ränke, vor allem mit dem damaligen starken Dänemark. Bevor es zum Krieg kam, war es zunächst der dänische König Waldemar IV., der sein Land von der Fremdherrschaft durch Holstein, Mecklenburg und Schweden befreit und damit auch den Handel auf der Ostsee wieder sicherer gemacht.
Mit der Eroberung Schonens und der Brandschatzung Visbys (Gotland) und dem Entzug bedeutender Privilegien waren die Hansestädte aber in ihrem Handel stark eingeschränkt und erklärten in Verhandlungen in Greifswald unter Leitung des Lübecker Bürgermeisters Johann Wittenborg, an denen auch der Deutsche Ritterorden sowie Gesandte Schwedens und Norwegens teilnahmen, den Dänen im September 1361 den Krieg. Der endete 1362 mit dem Sieg der Dänen unter König Waldemar IV., wurde später verlängert, blieb aber wertlos für die Hanse, da die Dänen deren Handel weiterhin stark behinderten.
Das ging so bis zum Hansetag am 19. November 1367, der in Köln stattfand und auf dem sich ein Bündnis, die sog. Kölner Konföderation, zusammen fand, bestehend aus 57 Hansestädten. Die Konföderation schloss in Lübeck ein Kriegsbündnis mit König Albrecht von Schweden, obwohl der seine Zusage, Johann Wittenborg im letzten Krieg zu unterstützen, nicht eingahlten hatte, nebst norddeutschen und dänischen Adligen.
1368 fuhr die hansische Flotte mit 37 Schiffen und 2000 Bewaffneten nach Dänemark, nahm schnell Kopenhagen ein und zerstörte es. Es folgten Schonen, Südjütland und Norwegen, nur die Stadt Helsingborg wehrte sich tapfer noch etwa ein Jahr, bevor die Hanse im Verein mit den Schweden auch sie besiegte. König Waldemar musste fliehen.
1370 besiegelten die Vertreter des Reichsrates des Königreichs Dänemark unter Henning Podebusk und die in der Kölner Konföderation vereinigten Städte den Stralsunder Frieden, welcher für lange Zeit die starke Rolle der Städte festschrieb.
Die Freiheit Visbys wurde wiederhergestellt, Dänemark hatte der Hanse den freien Handel auf der Ostsee, auch gegen die Umlandfahrer zu garantieren.
Gerade diese Umlandfahrer waren der Hanse ein Dorn im Auge und mächtige Wettbwerber um den kleinen, silbrig glänzenden salzigen Fisch, den, weiß Gott warum, man hier so leidenschaftlich gerne mit Mayo isst.
Die Umlandfahrer, das waren hauptsächlich englische und niederländische Fernkaufleute bzw. Handelgesellschaften oder deren Vorläufer wie etwa der berühmten, auf Aktien basierenden Britischen Ostindien-Kompanie, die mit ihren Schiffen den Weg von der Nordsee um die Halbinsel Jütland herum in die Ostsee nahmen; deshalb Umlandfahrer.
Die Hanse konnte sich so ab 1370 das Monopol im überaus bedeutenden Heringshandel auf der jährlich stattfindenden Schonischen Messe (dt. Schonenmarkt) in Skanör-Falsterbo auf der Halbinsel Falsterbo im damals dänischen Schonen sichern.
Der Friede von Stralsund markiert den Höhepunkt der Macht des hansischen Städtebunds im Ostseeraum, die ganz wesentlich ihre ökonomische und politische Grundlage im Monopol des Heringsfangs in der Ostsee hatte. Der Hering und der Aufstieg der Hanse zur regionalen Wirtschaftsmacht gehörten untrennbar zusammen. Die Salzheringproduktion sowie der Handel mit weiteren Fertig- und Halbfertigprodukten führte unter anderem auch zum Bau der Alten Salzstraße und des Stecknitzkanals zwischen Elbe und Trave, einem der ersten Kanalprojekte in Mitteleuropa, für den Antransport des Lüneburger Salzes via Lübeck nach Schonen. Die dortigen hansezeitlichen Verarbeitungsplätze, Skanör und Falsterbo, wurden während der Saison im August und September zu Großstädten mit bis zu 20.000 Menschen, was für damalige Zeiten außerordentlich beachtlich war.
Der Hering war als eiweißreiches Nahrungsmittel und Fastenspeise im Mittelalter überaus begehrt. Durch Einlegen in bis zu einem Fünftel aus Lüneburger Salz oder Salzlake in Fässern aus mecklenburgischem und pommerschem Holz, zertifiziert mit dem eingebrannten Siegel der Stadt Lübeck, konnte er gut gelagert und bis Nürnberg und Regensburg gehandelt bzw. transportiert werden. So war die Versorgung besonders zu den umsatzstarken Fastenzeiten gesichert, die im Mittelalter sehr ausgedehnt waren und in vielen Gegenden die Dauer von bis zu einem Drittel des Jahres umfassten. Ab etwa 1500 n.Chr. verminderten sich stetig die Heringsschwärme in der Ostsee, bis sie Mitte des 16. Jhd. fast völlig ausblieben.
Heute hat der Hering wieder seinen Platz in Wismar. Es gibt ihn nicht nur überall, sondern auch in allen Zubereitungsvarianten. Und das sind viele. Auch die mit der Mayonnaise. Nebem dem ungekrönten Star behauptet sicherlich der Dorsch Platz zwei und der schwarze Heilbutt folgt nah auf. Restaurants mit „Fischkompetenz“ findet man zahlreich, aber wenn man eins mit der unverwechselbaren Atmosphäre von Weite, Seeluft, Sonnenuntergang und Backsteinarchitektur sucht, dann wird man hier im Alten Hafen fündig.