Essen Zeche Zollverein Geschichte

Das einzig Beständige ist der Wandel.

Melting Pott.

Grubenarbeiter im Pott - Nordrhein-Westfalen

Der Pott, wie das Ruhrgebiet von seinen Bewohnern genannt wird, auch heute noch, hat seinen Namen zu Recht.
Hier wurden Erze und Möller zu Eisen und Stahl verschmolzen, hier leben heute Menschen aus einhundertsechzig Nationen mit den unterschiedlichsten „Migrationshintergründen“.

Die Zeche Zollverein ist exemplarisch dafür, dass Migration im Pott etwas anderes ist, als man gemeinhin damit bezeichnet.

Migration tut so, als kämen da Menschen aus einem anderen Land und werden mehr recht als schlecht in eine bestehende Bevölkerung integriert. So sagt’s die Soziologie.

Bergleute - Grubenarbeiter im Pott - Nordrhein-WestfalenEinhunderdreißig Jahre, von 1851 bis 1986 wurde hier in Zollverein Steinkohle abgebaut und verarbeitet. Heute sieht man dort ein Architektur- und Industriedenkmal bestehend aus der Kokerei Zollverein, den Schachtanlagen 12 und 1/2/8 der Zeche, die seit 2001 zum Welterbe der UNESCO gehört. Zollverein ist Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur und ein gelungenes Mahnmal des grandiosen Scheiterns im Umgang mit der Geschichte von Kohle und Stahl hier und in der Region und besonders mit denen, die diese Geschichte maßgeblich geschrieben haben: die Kumpel im Pott.

Kumpel, das ist Ruhrdeutsch oder ein Regiolekt wie dies die Sprachwissenschaftler bezeichnen und damit eine Übergangssprache meinen. Diese Linguisten, nee, nee, die haben echt noch nie watt kapiert; datt is kein Übergang! Der Pott und der Kumpel gehören zur Geschichte Deutschlands und Europas wie die Römer und das Colloseum; glaub et mich!

Grubenarbeiter im Pott - Nordrhein-WestfalenDer Industrielle Franz Haniel war es, der die Gründung der Zeche Zollverein betrieb. Er brauchte zur Stahlerzeugung unbeding Koks und im Jahr 1834 fand er im Raum Katernberg ein besonders ergiebiges Kohleflöz, welches nach dem 1833 gegründeten Deutschen Zollverein benannt wurde. Haniel war treibende Kraft, hatte aber bei den Miteigentümern der Hüttengewerkschaft Jacobi, Haniel & Huyssen, der späteren Gutehoffnungshütte, nicht nur Gleichgesinnte. Das Grundstück für den Bau der ersten Zollverein-Schachtanlage wurde durch den ebenfalls an der Gewerkschaft beteiligten Grundbesitzer Schwartmann gen. Bullmann bereitgestellt. Daher wurde das Gelände der Gründungsschachtanlage bald die Bullmannaue genannt und der Name ist heute im Strassennamen der Zufahrt zum Gelände noch erhalten.

Grubenarbeiter im Pott - Nordrhein-WestfalenUnd dann brauchte man Arbeiter, jede Menge. Leute, die einfahren und ihre Gesundheit und ihr Leben riskierten. Die gewillt waren, ihre eigene Lebenssituation zu verbessern und die ihren Kindern eine bessere Zukunft bieten wollten.

In die nördlichen Gebiete des Ruhrgebiets drang der Bergbau erst gegen Ende des 19. Jhd. vor, da hier die Kohleschichten tiefer lagen und die Förderung aufwendig war.
Das Gebiet war damals kaum besiedelt, Zechen und Bergarbeitersiedlungen fanden genügend Platz zur Entfaltung. Es bildeten sich zahlreiche Industriedörfer mit jeweils Zehntausenden von Einwohnern. Viele Bergwerksgesellschaften legten attraktive Bergarbeiterkolonien mit Zwei- bis Vierfamilienhäusern, ausgedehnten Nutzgärten und Kleintierställen an, die den Bedürfnissen der zuziehenden Bergleute entgegenkommen sollten.

Moschee - EssenDas Ruhrgebiet lockte mit seinem explosionsartigen Wachstum Millionen von Menschen mit der Aussicht auf gutes Geld für harte Arbeit. Und sie kamen von überall her. Aus Polen, Schlesien, Italien. Aus Ostpreussen und der Türkei.
Wie kaum eine andere Region Deutschlands wurde das Ruhrgebiet durch Einwanderung geprägt. Zwischen 1852 und 1925 vervielfachte sich die Bevölkerung im Revier von ca. 375.000 auf über 3,7 Millionen Menschen. Die meisten von ihnen kamen aus ländlichen Regionen, zunächst aus der unmittelbaren Nachbarschaft, dann aus den angrenzenden deutschen Ländern, schließlich aus dem Ausland.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren im Revier für den Bau von Eisenbahnen, Tunnels und Kanälen vor allem qualifizierte Arbeiter gefragt. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden nicht mehr so sehr Experten mit Fachwissen, sondern vor allem Massen von Arbeitern für einfache körperliche Tätigkeiten gesucht

Noch in den 1830er Jahren wurde das fruchtbare Gebiet zwischen Ruhr und Lippe sowie zwischen Duisburg und Hamm hauptsächlich agrarisch genutzt, Essen kam um 1800 nicht auf 5.000 Einwohner. Mit der Entwicklung von Kohle und Stahl und vor allem dem Boom im Bergbau setzte eine nie da gewesene, gewaltige Umstrukturierung in Westfalen ein. Im Jahr 1808 wurde die erste Dampfmaschine im  Essener Bergbau eingesetzt und in den Jahren nach 1840 breitete sich der Bergbau über den alten Hellweg, das ist die Strecke Essen, Bochum, Dortmund, über das mittlere Ruhrgebiet weiter aus.

Margaretenhöhe Essen

© General Photographic Agency/Getty Images

1852 erreichte das Revier die bis dahin dünn besiedelte Emscherzone, die im Herzen des Ruhrgebiets lag und die Städte Hamborn, Oberhausen, Gelsenkirchen und Herne umfasste und überschritt auch den Rhein. Immer neue Zechen wurden abgeteuft, so dass es hier um 1850 bereits 300 von ihnen gab. Immer mehr Dampfpumpen mussten eingesetzt werden, da die Mergelschichten sehr viel Wasser führten und man sonst nicht an die Fettkohlenflöze herankam. Und mit der Dampfkraft war dietechnische Grundlage geschaffen, Eisenverhüttung im industriellen Maßstab aufzubauen. Aus der Kohle wurde in den Kokereien Koks erzeugt, der in den Hochöfen der Eisen- und Stahlhütten zur Roheisen- und Stahlerzeugung benötigt wurde.

Zechensiedlung NRW

Foto: Katrin Figge

Der Aufbau der Montanindustrie in jenen Jahren konnte nicht mit den Menschen, die vor Ort lebten, bewältigt werden. Ständig strömten daher Erwerbssuchende ins Revier, ganze Heere von Agenten waren nötig, um das „Ruhrvolk“ anzuwerben und in diesem europäischen Schmelztiegel anzusiedeln. Um die Mitte des 19. Jhd. kamen zunächst Erwerbssuchende aus ländlichen Regionen Westfalens und dem Rheinland, aus Hessen und Holland, wenig später wanderten Kumpel aus dem oberschlesisch-mährischen Bergbaugebiet ein. 1871/73 setzte der Zustrom von Landarbeitern aus Ost- und Westpreußen, aus Galizien, Posen, Russisch-Polen und Slowenien ein. Der Anteil der Ostpreußen wuchs überproportional und bildete schließlich die größte Gruppe aller Zuwanderer. Zwischen 1865 und 1933 verließen mehr als eine Million Menschen die Provinz Ostpreußen, von denen der größte Teil sich im Ruhrgebiet als Kumpel nierderließen.

Arbeiterhäuser Am Rübenkamp

Arbeiterhäuser Am Rübenkamp. Foto: RIK / R. Budde

Im Auftrag der Zechenunternehmer reisten Agenten in die ländlichen Gebiete Ostpreußens, um von dort junge verheiratete Kleinbauern und ledige Bauernsöhne für eine saisonale Arbeit in der Ruhrzone zu gewinnen.

Man bot den Ledigen freie Fahrt an, den Verheirateten wurde ein freier Umzug versprochen, dazu ein Handgeld bis zu 50 Mark, verbilligte Winterkartoffeln und als besonderer Anreiz sofort beziehbare, geräumige Zechenwohnungen am Stadtrand mit Stall und Garten, der gerade bei dieser Landsmannschaft besonders gut ankam.

Der gebotene Lohn entsprach dem Dreifachen eines Landarbeiterlohns in Ostpreußen. Zechen warben damals auch mit der Güte der Luft, was sich aber bekanntlich bald ins Gegenteil verkehrte und nur demonstriert, wie „professionelle“ man die Zielgruppe studiert hatte.

Zeche Zollverein - Essen - NRWZeche Zollverein - Essen - NRWBesonders in den Ostprovinzen des damaligen Deutschen Reiches – Posen, Ost- und Westpreußen sowie Schlesien – warben Agenten Tausende von Polen für das Ruhrgebiet an. Um 1910 lebten bereits über 400.000 polnische Zuwanderer im Ruhrgebiet.

Mit rund 100.000 bildeten die Italiener die zweitgrößte Gruppe von Ausländern. Die italienischen Zuwanderer blieben meist in regionalen Gruppen unter sich. Oft sprachen sie nur den Dialekt ihrer Herkunftsregion und suchten wenig Kontakt mit Einheimischen. Um 1910 hatte die italienische Migration ins Ruhrgebiet ihren Höhepunkt überschritten.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs zogen die meisten Italiener wegen ihrer Einberufung zum Militärdienst oder auch aus Furcht umgehend nach Italien zurück, weil Italien Kriegsgegner des Deutschen Reiches war. Ihre Zahl sank bis 1918 auf unter 25.000 ab. Nach Kriegsende erschwerte die neue deutsche Regierung die Zuwanderung ausländischer Arbeiter ins Deutsche Reich. Nur wenige Italiener entschieden sich dafür, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Viele Italiener kehrten dem Ruhrgebiet den Rücken.

Besonders stark war die Abwanderung aus dem überwiegend protestantischen Masuren in die Städte an Rhein, Ruhr und Emscher. Bis 1914 betraf dies ein Drittel der dortigen ursprünglichen Einwohner, insgesamt rund 180.000 Menschen.

So gut wie jede Familie hatte Verwandte im Ruhrgebiet und diese Tatsache sowie, dass sie an besonders harte Arbeit gewohnt waren, nutzten viele Unternehmer und stellten bevorzugt Masuren ein. Es prägte auch ein Menschenbild, dass aus Bildungsmangel, Religiosität und Anspruchslosigkeit dieser Menschen bestand und das mit den späteren Bevölkerungsgruppen von überwiegend politisch links orientierten Menschen wenig gemein hatte.

Zechensiedlung NRWZechensiedlung NRWAus Sicht der Zechenbetreiber waren Masuren die ideale Besetzung, da sie sich den Verhältnissen meist widerstandslos anpassen und wenig geneigt waren Streiks anzettelten.
Neidenburger und Ortelsburger siedelten sich fortan vorwiegend in Gelsenkirchen an, Lötzener in Wanne-Eickel, Osteroder in Bochum. Um 1930 war jeder vierte bis fünfte Gelsenkirchener ein Ostpreuße. Bedeutend war auch der Zuzug von Ostpreußen nach Essen. Werden, Steele, Witten und Wetter.

Sämtliche Bergarbeitersiedlungen im Ruhrgebiet waren bereits um 1900 stark herkunftsgeprägt. Die Städte Herne und Bochum waren Hauptzentren der polnischen Zuwanderung, Arbeiter aus Westdeutschland gingen in die nördliche Zone am alten Hellweg, wo auch die später größten Städte lagen: Duisburg, Mülheim, Essen, Bochum und Dortmund.

Das Ruhrgebiet verstehen, heißt auch die landsmannschaftlichen Besonderheiten und Verbundenheit der Einwanderer aus jener Zeit zu verstehen.

Bis um 1900 wurden in der Statistik alle slawischen Ostauswanderer einheitlich als Polen geführt. Auch für die hier seit langem ansässigen Einheimischen waren die polnisch sprechenden Einwanderer und Saisonarbeiter, also Masuren und andere Polen, sämtlich „Ruhrpolen“ und die geschichtlichen Tatsachen blieben einfach aussen vor.
Da aber Polen nach drei Teilungen bis 1795 aufgehört hatte zu existieren, gab es keine polnische Staatsangehörigkeit mehr, sondern lediglich eine polnische Volkszugehörigkeit.

Doch die Masuren beherrschten meist außer ihrer Muttersprache, einem altpolnischen Dialekt, auch die hochdeutsche Sprache und wegen ihrer evangelisch-lutherischen Religionszugehörigkeit nahmen sie unter den Zuwanderern aus dem Osten Europas eine Sonderstellung ein. Anders als die polnischen Katholiken legten die Masuren viel Wert auf eine religiöse Zugehörigkeit auch im privaten Bereich, man mischte sich nicht mit katholischen Bekenntnissen.

So blieben diese Landsmannschaften bis zum Niedergang der Montanindustrie als starke Arbeitsgemeinschaften und darüber hinaus mit homogenen Siedlungsgebieten und kulturellen Besonderheiten als Teile der heutigen Metropole Ruhr erhalten. Manchmal sieht man sie noch, die alten polnischsprachigen Werbeschilder über Geschäften und an den zahllosen Trinkhallen. Mittlerweile aber ist die Assimilation der Bevölkerungsgruppen so weit fortgeschritten, dass allein eine historische Erinnerung noch deren Unterscheidung ermöglicht.

Umgebung - Zeche Zollverein - Essen - NRW

 

 

 

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