Ratingen

Dumeklemmer und Industriespione

Another Kleinstadt.

Ratingen - Nordrhein-Westfalen
Man mag meinen, man ist umzingelt von lauter Kleinstädten ohne große Bedeutung, wie dies auch typisch ist für ein Land, in dessen Geschichte fast nur die Irrungen und Wirrungen von Kleinstaaterei geschrieben stehen; weit gefehlt. Wer Ratingen nicht kennt – und das sind außerhalb der engeren Region bestimmt recht viele – wird überrascht und erstaunt zugleich sein, was hier an Geschichte sich über mehr als tausend Jahren versammelt hat.

Ratingen - Nordrhein-Westfalen

Rheinische Post vom 2009-01-24 (Quelle unbekannt, gemeinfrei)

Ratingen - Nordrhein-WestfalenRatingen - Nordrhein-WestfalenHistoriker haben die Sage vom „Dumeklemmer“ (leider) widerlegt. Sie stand wohl den Ratingern besser als die Tatsache, dass Ratingen im Mittelalter über Jahrhunderte hinweg Sitz der Gerichtsbarkeit des Bergischen Landes war. Dort war lange Zeit die Folter ein beliebtes Instrument der „Wahrheitsfindung“ – häufig unter Verwendung von Daumenschrauben. Daher seien die Ratinger im Umland als „Dumeklemmer“ bezeichnet worden; siehe hier.
Leider ist eine andere Geschichte dann doch wahr, nämlich die, wie es dazu kam, dass Ratingen als der Ort gilt, wo die Industrialisierung auf dem europäischen Kontinent begann. Das war 1783, als Johann Gottfried Brügelmann die Textilfabrik Cromford errichtete. Und das Konstruktionsprinzip der dort eingesetzten Spinnmaschine (Waterframe) hat er durch nichts anderes als durch Industriespionage erhalten; wie gerne würden die Engländer den Ratingern dafür die Daumenschrauben anlegen.

Was nicht mehr als gesichert feststellbar ist, ist der Beginn der Geschichte Ratingens im Sinne der ersten Besiedlungen. Das geht weit zurück über 150.000 Jahre, so alt sind hier gefundene Faustkeile und ander anthropogene Gegenstände nahe dem heutigen Silbersee, die belegen, dass dort bereits zu Beginn der letzten Eiszeit Menschen lebten. Es ist jedoch nicht sicher, ob diese Menschen hier bereits fest siedelten.

Weiterhin eine Vermutung ist, dass es etwa 500 v. Chr. bereits eine feste Siedlung gab, was Gräberfunde im Ratinger Zentrum jedoch vermuten lassen. Zu dieser Zeit war Ratingen ein Teil des Kampfgebietes im uralten Streit zwischen den Franken und den Sachsen, lange also bevor Kaiser Karl der Große diesen Krieg zwischen christlichem Glauben und Heidentum mit dem Schwert vorübergehend beendete.
Vorübergehend in diesem Fall meint aber wirklich nur vorübergehend. Denn der alte Streit um die richtige Lebensführung aus dem Geiste zog sich durchs ganze Mittelalter und auch die Neuzeit. Ausgetragen zwischen den Grafen, später den Herzögen von Berg und dem damaligen Bischof von Köln, dessen letzter Nachfahre heute der Kölner Kardinal Wölki ist, wurde im Prinzip eine Vorform der Aufklärung mit dem Schwert, bei der es aber in Wahrheit um den Primat des Glaubens ging.

Ratingen - Nordrhein-WestfalenRatingen - Nordrhein-WestfalenRatingen - Nordrhein-WestfalenRatingen - Nordrhein-WestfalenRatingen - Nordrhein-Westfalen Ratingen spielte im Kampf gegen den Erzbischof von Köln eine nicht unwichtige Rolle und so wurde der Stadt in weiser strategischer Hinsicht wegen seiner vorteilhaften Lage am 11. Dezember 1276 durch Graf Adolf V. von Berg die Stadtrechte verliehen. Elf Monate zuvor war der Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg in den Besitz von Stadt und Burg Kaiserswerth – heute zu Ratingen gehörend – gelangt. Graf Adolf V. wollte durch die Stadterhebung Ratingens ein Gegengewicht schaffen und das nördliche bergische Gebiet sichern, indem er den alten Kirch- und Gerichtsort, an einem Kreuzungspunkt wichtiger Straßen gelegen, Stadtprivilegien verlieh und befestigen ließ.

Ratingen nutzte seine Privilegien der Zoll- und Steuerfreiheit und der Monopole auf das Mahlen von Korn und die Herstellung von Grüt, ein damals zur Bierherstellung benötigter Stoff (Grütrecht), und baute die Stadt mit mächtiger Stadtmauer, großen Verteidigungstürmen und bis zu 8 m breiten Wassergräben aus. Ratingen stieg nach der Schlacht von Worringen als einer der vier Hauptorte von Berg neben Düsseldorf, Wipperführt und Lennep auf und eine wirtschaftliche Blütezeit begann. Ratingen erhielt Marktrecht, Zunftrecht, eine eigene Münze und ein Gericht.

Die Schlacht von Worringen hat mehr als jede andere in ihrer Zeit und in dieser Region Geschichte geschrieben, als sich Adolf V. auf die Seite des Herzog von Brabant schlug und mit seinen bergischen Bauern und dem Schlachtruf „Hya, Berge romerijke“ („Hoch, ruhmreiches Berg“) den Erzbischof Siegfried von Westerburg am 5. Juni 1288 in der Schlacht von Worringen besiegte. Diese Schlacht war die letzte große und mit Abstand blutigste Schlacht des Mittelalters. Am 14. August 1288 erhob er Düsseldorf als Anerkennung des Einsatzes ihrer Bewohner bei der Schlacht zur Stadt, nach Wipperfürth, Lennep und Ratingen (1276) die vierte in der Grafschaft. Der gegnerische Erzbischof Siegfried von Westerburg wurde 13 Monate auf Schloss Burg gefangen gesetzt.

Ratingens Entwicklung war begünstigt durch seine Lage nahe einiger Fernstraßen, die sich genau dort gekreuzt haben sollen, wo heute der zentrale Marktplatz und die Kirche St. Peter und Paul sich befinden, und dem Rheinhafen in Kaiserswerth, was Ratingen Zugang zum Handel mit der Hanse verschaffte; dass Ratingen selbst Hansestadt war, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Gesichert ist, dass in Ratingen die Zünfte der Schmiede und Schleifer – wie in so vielen Orten in der Grafschaft und des heutigen Bergischen Landes – blühten.

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Ratingen - Nordrhein-WestfalenMit der Kraft der Wässer von Anger und Schwarzbach wurden hier Messer und Scheren, aber auch Waffen und Musikinstrumente hergestellt und mit dem Wissen und der Erfahrung des kontinentalen Handels erfolgreich ins weite Ausland verhandelt. So nach Antwerpen im Westen, ins Baltikum nach Osten und Skandinavien im Norden. Überregionales Wirtschaften im Sinne von Handwerk und Handel waren in Ratingen ansässig, lange bevor ein unrühmlicher Spionageakt und ein Diebstahl von Know whow einen industriellen Neuanfag markierten.

Ratingen erlebte die verheerenden Folgen der Pest und des Dreißigjährigen Kriegs als die Stadt vollständig zerstört worden war. Nachdem die Burg Haus zum Haus, die bereits im 9. Jahrhundert am heutigen Standort als eine Wallburg bestand, vom kaiserlichen Melchior von Hatzfeld besetzt wurde, welcher die Stadt angriff und Häuser rund um die Stadt in Brand setzen ließ, hernach nur noch 140 Menschen damals in Ratingen lebten, wo 200 Jahre zuvor es noch über 1000 gewesen waren.

Und woher kommt der Name: Ratingen?
Die erste urkundliche Erwähnung der Siedlung fand vor 849 im Werdener Chartular (Quellen zur Geschichte des Klosters Werden a.d. Ruhr) statt, wo Ratingen als „Hratuga“ bezeichnet wird – siehe dazu Michael Buhlmann_pdf. Für den Namen existieren zwei Erklärungen: Er könnte eine Rodung im Wald oder eine „Siedlung des Hratan“ bedeuten.

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